Kapitel 5

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Jake

Diese Wut in mir, war noch nie so heftig, wie in diesem Moment.
Zu wissen, was sie ihm angetan haben, ist das eine, doch zu sehen, wie er auf ihn eingetreten hat, bringt das Blut in mir zum Kochen. Angespannt stehe ich immer noch im Haupthaus und starre mit verschränkten Armen vor mich hin.
Die Stimmen, die versuchen auf mich ein zu reden, nehme ich nur dumpf wahr. Sie haben ihm wehgetan. Dieser Hass in mir ist all gegenwertig. Ich muss wissen wer die anderen sind, um ihn schützen zu können. Seit ich ihn das erste Mal auf dem Arm hatte, habe ich mir geschworen ihn für immer zu beschützen.
Er ist alles was ich habe.
Trotz alle dem muss ich überlegt vorgehen. Genau in dem Moment öffnet sich die Haustür und Mr. Andrews und sein Balg kommen herein. Er ist groß für sein Alter. Mindestens einen Kopf größer als Reese. Selbst ich bin vielleicht gerade mal ein paar Zentimeter größer als er. Unsicher sieht er sich um, bis sein hektischer Blick an mir hängen bleibt und er schlucken muss.
Ja, präg dir mein Gesicht ganz genau ein. Er hat viele Muskeln, doch ich habe mehr. Ruhig gehe ich auf ihn zu und mustere seine widerwertige Fresse. Wie kann man einen offensichtlich unterlegenen so zurichten.
„Ich schätze mal du weißt wer ich bin...", fange ich monoton an zu erzählen. „J-Ja, Sir.", antwortet er unsicher. „Weißt du auch warum du hier bist?" „N-Nein, Sir.", stottert er vor sich hin. „Hm...", mache ich nur und schnalze mit der Zunge. „Bitte verlasst alle das Haus! Henry du bleibst.", ordne ich an. Sofort machen sich alle auf den Weg nach draußen, nur Henry, der Junge und sein Vater bleiben. „Sie gehen auch Mr. Andrews...", sage ich leise und starre den ängstlichen Jungen vor mir an. Ohne ein Wort, aber mit verstimmtem Gesichtsausdruck, begibt sich der Mann nach draußen. Still öffne ich das MacBook und spiele dem Jungen das Überwachungsvideo vor. Ich beobachte genau seine Mimik, wie bei jeder vergangenen Sekunde mehr Schweiß auf sein Gesicht tritt, wie er immer blasser wird und anfängt leicht zu zittern. Nachdem das Video beendet ist, sieht er zu mir. „Wie ist dein Name?", frage ich ihn. „R-Rico, Sir." Verstehend nicke ich und lehne mich an den Tisch hinter mir.
„Erklär es mir.", fordere ich ihn ruhig auf. „E-Es war nur Spaß! Wirklich!", erzählt er mir. „Spaß?", lache ich kalt auf. „Sieht mein Bruder für dich aus, als hätte er Spaß?", ich packe ihn am Nacken, um sein Gesicht näher zum Computer zu drücken. „Sieht das für dich nach Spaß aus?", frage ich ihn jetzt wütend. Auf dem Video sieht man wie Besagter auf ihn ein tritt. „Fragen Sie Reese, er wird es bestätigen!", sagt er nun etwas selbstbewusster auch, wenn immer noch etwas Verunsicherung in seiner Stimme mitschwingt. „Das werde ich und, wenn er mir auch nur durch ein Zucken zu verstehen gibt, dass es kein ‚Spaß' war, wirst du es bereuen.", flüstere ich ihn drohend ins Ohr. Ich drücke ihn nochmal kurz runter, ehe ich ihn gehen lasse. Doch dann sehe ich wie einer seiner Mundwinkel kurz nach oben zuckt. Ohne zu überlegen trifft meine Faust sein Gesicht und er fliegt quer durch den Raum. Stöhnend kommt er auf und hält sich seine blutende Nase. Gerade als ich wieder auf ihn zu gehen will, hält mich Henry zurück. „Überleg doch mal, wenn du ihn jetzt zusammenschlägst, könnte das Probleme mit sich bringen. Wir brauchen die Bestätigung von Reese! Ehe dem könnte das schwerwiegende Folgen haben, die Ältesten beobachten dich. Du darfst dir keine Fehler erlauben, da sie eh schon skeptisch sind, weil du so jung bist, also beruhig dich!", zischt mir Henry ins Ohr.
Wütend reiße ich mich von ihm weg und gehe auf den Jungen zu, doch anstatt weiter auf ihn ein zu schlagen, gehe ich nach draußen und spüre wie der Wolf von mir Besitz ergreift.
Noch während des Sprungs verwandle ich mich und renne in den angrenzenden Wald.

~

Ich habe keine Ahnung wie spät es ist oder wie lange ich schon durch den Wald renne. Doch die untergehende Sonne zeigt mir, dass es schon später Nachmittag sein muss. Reese ist mittlerweile bestimmt zu Hause. Somit ändere ich meine Richtung und laufe zu uns nach Hause. Im Garten angekommen, gehe ich in eine unserer Hütten, in den wir immer Wechselklamotten bereitliegen haben. Erschöpft verwandle ich mich wieder zurück und schlüpfe in eine schwarze Jogginghose und ein graues T-Shirt. Seufzend stütze ich mich an einem Regal ab. Wenn es um Reese geht, kann ich mich einfach nicht kontrollieren. Langsam mache ich mich auf den Weg zu unserer Terassentür und schiebe sie leise auf. Genau in dem Moment kommt Reese ins Wohnzimmer mit einem Eisbecher und einem Löffel im Mund. Breit lächelnd sieht er mich an. „Da bist du ja, ich dachte du wolltest schon 16 Uhr kommen?", fragt er mich und geht aufs Sofa zu. Er nimmt einen großen Löffel seines Cookie Doughs und schmeißt sich dann auf die Couch. „Gib mal her.", ich deute auf das Eis und setze mich neben ihn. „So schlimm?", fragt er mich schmunzelnd und reicht mir die Eiscreme mit Löffel. „Frag nicht...", seufze ich und stecke mir den vollen Löffel in meinen Mund. Erst jetzt bemerke ich, dass ein Film auf dem Fernseher läuft. Irgendein StarTrek Film, den ich an den vielen hässlichen Kobolden erkenne. Warum ihm so etwas gefällt, verstehe ich bis heute nicht. Reese rutscht die Lehne nach unten und bettet sein Kopf auf meinen Beinen. Sofort durchströmt mich eine wohltuende Wärme und ich lehnen mich entspannt zurück. „Wie war die Schule?", frage ich ihn und mit einmal erinnere ich mich an den Grund, warum ich später als gedacht nach Hause kam.
„War ok.", sagt er schlicht, doch ich höre sein Herz ein wenig schneller schlagen. Leise stelle ich den Eisbecher auf den kleinen Tisch neben mir und streiche ihm ruhig durch die Locken. „Weißt du, Mr. Andrews hat heute behauptet du hättest seinen Seitenspiegel kaputt gemacht.", fange ich an zu erzählen. „Das tut mir leid, ich muss wohl irgendwie dagegen gekommen sein. Ich werde den Schaden bezahlen.", sagt er. Er dreht sich um und schaut hoch in mein Gesicht. „Bist du jetzt böse?", fragt er mich unsicher. „Reese, du bist nicht irgendwie darangekommen, einer deiner Klassenkameraden hat dich gestoßen." Ich kann einfach nicht verstehen wieso er mich anlügt, es verletzt mich, dass er sowas tut. Beschämt schaut er an die Decke und vermeidet meinen Blick. Sachte streiche ich über seine Augenbrauen, über seine Augen, die er geschlossen hat, bis zu seinen schmalen rosa Lippen.
Weiß er eigentlich wie schön er ist? „Du weißt ich mag es nicht, wenn man mich anlügt, also was ist wirklich vorgefallen?", kleine Tränen lösen sich aus seinen Augenwinkeln, die ich sofort wegstreiche. Es ist das Schlimmste auf der Welt, ihn weinen zu sehen. „Ich habe das Überwachungsvideo von Mr. Andrews gesehen und ich habe auch gesehen, wie dieser Rico auf dich eingetreten hat. Also bitte Reese, sag mir die Wahrheit.", flehe ich ihn fast schon an. „E-Es war nur Spaß.", flüstert er und ich kann es einfach nicht fassen. Meine Hände greifen unter seine Armbeugen und ich setze ihn aufrecht auf meinen Schoß. „Man schlägt andere Leute nicht zum Spaß!", sage ich und nehme sein Kopf in meine Hände, da er sein Gesicht von mir abgewandt hat. Traurig schaut er nach unten und kleine Tränen finden den Weg aus seinen haselnussbraunen Augen. „Das ist nicht so einfach, Jake.", schnieft er. „Was ist nicht so einfach? Rede endlich mit mir!", flehe ich ihn an. „Ich kann nicht." murmelt er und vergräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge. „Haben sie etwas gegen dich in der Hand?" Er zuckt kurz zusammen, schüttelt jedoch mit dem Kopf. „Ich habe mit deinen Klassenkameraden gesprochen und...", weiter kam ich nicht, denn Reese richtet sich plötzlich auf und schaut mich erschrocken an. „Du hast was?!", fragt er fassungslos. „Ich habe mit Rico gesprochen und...", wieder unterbricht er mich. „Warum hast du das getan?", fragt er mich jetzt wütend und springt von meinem Schoß auf. „Ich wollte dir doch nur helfen...", versuche ich ihn zu beschwichtigen und gehe auf ihn zu.
Meine Hände versuchen ihn zu berühren, doch er schlägt sie mir weg. Das versetzt mir einen tiefen Stich. „Hör auf mich immer beschützen zu wollen! Ich brauche deine Hilfe nicht! Wie konntest du das tun, ohne erst mal mit mir darüber zu reden?! Weißt du, was du mir damit angetan hast? Ich brauche dich nicht!", brüllt er. Nicht in der Lage auch nur irgendetwas von mir zu geben, versuche ich ihn erneut zu berühren, denn es fühlt sich an, als würde er mir entgleiten und das kann ich nicht zulassen.
Doch er macht einen Schritt zurück und meine Hände haben keine Möglichkeit mehr ihn zu erreichen. „Fass mich nicht an!", zischt er und rennt die Treppen hoch in sein Zimmer und ich höre nur noch die Tür zu schlagen.
Was habe ich nur getan?

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