27| Erschöpfte Verantwortung

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Christian Leave

Sam

Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der so abgrundtief erschöpft aussah. Vielleicht war das auch der Grund, warum ich lediglich von den Akten aufsah, als Percy schlichtweg schlafend gegen meine Schulter sackte und dort weiter schlief, als wäre es nichts ungewöhnliches. Mein Blick huschte zum Fahrer und ich signalisierte ihm stumm, beständiger zu fahren.

Es war mittlerweile Februar. Das hieß in anderen Worten, ich arbeitete nun schon seit einem halben Jahr für Percival Moreau. Ein Halbes Jahr. Die Hälfte der Zeit war bereits rum und bis jetzt sah es sehr gut für uns aus. Doch die letzten Wochen schienen stressiger den je. Ich versuchte nicht auf den schlafenden Mann auf meiner Schulter zu achten, doch mein Blick huschte immer wieder zu ihm. Seine Haare waren länger geworden und seine Augenringe tiefer. Ich wünschte, es müsste nicht so anstrengend sein. Widerwillig huschten meine Gedanken voraus: Wie es wohl in Zukunft sein würde? Würde mich Percy immer noch als seinen Assistenten arbeiten lassen, würde er die Stelle bekommen? Oder vielleicht, wäre ich dann überfällig und er braucht mich dann gar nicht mehr. Ich sah wieder nach vorne.

Es wäre gut, wenn er mich nicht mehr benötigen würde. Aber ... Ich holte tief Luft. Wie auch immer. Es lag nicht an mir, dass zu entscheiden. Ich- »Shit, bin ich eingeschlafen?«, murmelnd hob Percy seinen Kopf und sah zu mir auf. Ich sah den Moment klar in seinen grauen Augen, als er realisierte, wie nah er meinem Gesicht war. Als er realisierte, worauf er gerade geschlafen hatte. Ich dachte, er würde zurück weichen, sich entschuldigen, doch er blinzelte nur ein paar Mal, bevor er seinen Kopf zurück auf meine Schulter legte, »Du bist gemütlich.«

Mein Blick huschte zur Decke des Autos. »Percy.«, ermahnte ich. Vor sich hin grummelnd, löste er sich von mir und lehnte sich stattdessen ans Fenster, »Schon gut.« Ich lies ihm noch 10 Sekunden seinem Schlummer, die kürzeste Gnade die ich ihm gewähren konnte, bevor ich ihn erinnern musste, »Wir sind gleich da.« Percy öffnete nicht einmal die Augen, »Tatsächlich.«

Ich ließ meinen Terminkalender zu knallen und er zuckte zusammen. »Es ist wichtig, dass du-«
»Meine beste Seite zeige? Es Ernst nehme?«, raunte er und rollte seinen Kopf langsam wieder in meine Richtung, sah mich aus halb geschlossenen Liedern aus an: »Das ist nicht mein erstes Rodeo, Sammylein.« Ich rieb mir über meine Nasenbrücke, »Und rede nicht so.«
»Wieso denn nicht?«
»Niemand redet so.«
»Ich kenne viele Menschen, die-«
»Percy.«, ermahnte ich und er zog sich seufzend an der Krawatte. »Zudem ist es nur Vivian. Sie kennt mich leider zu gut, als das ich ihr was auftischen könnte.« Ich sortierte meine Akten, als wir in die Tiefgarage fuhren. »Du tischt gar nichts auf. Du zeigst einfach nur deine professionelle Seite.« Percy sah mit einem fast schon vernebeltem schwachen Lächeln zu mir auf, »So naiv.«

Der Wagen parkte und ich schubste ihn auffordernd Richtung Tür, »Los! Los! Komm ja nicht zu spät!«
»Ja nicht!«, höhnte er und löste seinen Gurt, »Wir wollen ja nicht, dass Vivian 2 Sekunden warten muss.« Ich warf ihm einen bösen Blick zu, bereit ihn erneut aus dem Wagen zu schieben, bevor mein Blick auf etwas anderes fiel, »Warte. Percy!« Fragend drehte er sich bereits wieder zu mir um, doch da hatte ich seine Krawatte bereits in den Händen. Mit gerunzelter Stirn richtete ich seinen Knoten, »Wieso sitzt die nie gerade?«, murmelte ich mehr zu mir selbst und sah wieder zu ihm auf.

Percys Blick lag beriets auf mir und ich stockte. Das lächeln auf seinen Lippen war anders, als das breite Grinsen das er sonst so zuversichtlich trug. Es war ... zerbrechlich. Bevor ich länger über seine Lippen nachdachte, als angebracht wäre, schob ich ihn erneut Richtung Tür, »Na los! Auf was wartest du denn?«

•••

Percy

»Du siehst absolut beschissen aus.« Seufzend lies ich mich in die unbequemen Stühle ihres Büros fallen. »Ich dachte, im Zuge unserer Zusammenarbeit könnte ich mich zu Beginn äußerlich auf deine Ebene hinablassen.«, brummte ich, nicht wirklich in Stimmung mich mit meiner Schwägerin zu streiten. Ihr Lächeln wurde dünn, als sie ihre Hände verschränkte und mich durchgehend musterten. Das Meeting war endlich vorbei und die wichtigen Dinge waren geklärt. Ich wusste nicht, warum mich Vivian umbedingt noch in ihrem Büro sehen wollte. »Du hast schon immer zu viel für dein eigenes Wohl geredet, Percy.« Ich hob skeptisch die Augenbrauen, »Himmel, Vivian. Das klingt fast schon wie eine Drohung.« Sie lehnte sich vor, »Vielleicht ist es eine?«
»Nah.«

Ihre Augen verengten sich, doch sie ging nicht weiter darauf ein. Ich konnte nicht behaupten, dass ich das beste Verhältnis mit der Verlobten meines Bruders hatte, aber es war keine Feindschaft. Sie mochte mich nicht und ich erwiderte diese Abneigung. Aber mehr war es auch nicht - lediglich eine Abneigung. Wir tolerierten uns. Nicht nur auf geschäftlicher Ebene, sondern auch am Tisch der Familienessen. Im großen und ganzen konnte man sagen, dass wir uns sehr egal waren, zwang man uns nicht gerade zusammen zu arbeiten. So wie jetzt.

Vivian klatschte mir eine Akte vor die Nase. »Es gibt ein Problem mit Mr. Gollow.« Verwirrt griff ich nach dem Papier, schlug es mit einem mulmigen Gefühl auf. Das konnte nicht sein. Wir hatten alles schon geklärt. Er hatte zugestimmt in diesem Projekt unser Partner zu sein. Er konnte keinen Rückzieher mehr machen, das würde der Firma ein Vermögen kosten. Ich ließ meinen Blick über den Bericht wandern, bevor ich fassungslos wieder zu ihr aufsah. »Es ist ihm zu teuer?« Als wäre Mr. Gollow nicht einer der reichsten Partner mit dem Moreau zusammen arbeitete. Vivian zuckte lediglich mit den Schultern, »Die Besitzer der ursprünglichen Grundstücke haben Wind davon bekommen, dass wir interessiert sind und denken jetzt, sie können sonst was verlangen.« Ich legte die Akte zurück. »Ursprünglich? Heißt, dass-«
»Es gibt eine Planänderung.« Sie reichte mir ein weiteres Dokumenten.

Ich starrte auf das Papier hinab, »Ist das dein Ernst?« Genervt wirbelte sie einen Stift in ihrer Hand, »Das ist der beste Weg.«
»Und denkst du Mr. Gollow sagt dazu ja? Diese Familien-« Vivian lies den Stift lautstark auf die Tischplatte fallen. »Mr. Gollow wird zusagen so lange es günstig ist. Wir werden ihm das Ganze Morgen in der Besprechung einfach nur gut verkaufen müssen.« Ich starrte weiter hinab auf ihre Lösung. Sie hatte Recht. Wir konnten nicht riskieren ihn zu verlieren. Aber das ...? »Percy.«, ihre Stimme war scharf. »Dieser Deal ist überaus wichtig. Und ich weiß, dass du und Gwaine diesen komischen Wettstreit habt-«
»Es ist nicht wirklich ein Wettstreit.«, warf ich ein, doch sie ignorierte mich. »Ich biete dir hier eine Lösung und einen Vorteil gegenüber meines eigenen Verlobten! Sei nicht dumm! Du musst nicht einmal was tun, sondern nur diese Änderung hier unterschreiben.«

Ich holte tief Luft, meine Hand verkrampfte um das Papier. »Ich weiß nicht, Vivian.«, gestand ich unruhig. Wütend erhob sie sich, »Ist das dein Ernst? Sag mir nicht, dass du vorher noch mit deinem Assistent darüber reden musst.« Ich erhob mich ebenfalls. »Sam hat hier mit absolut nichts zu tun.« Sie schnaubte, stützte ihre Hände auf die Tischplatte, »Ach wirklich? Denn für mich sieht es so aus, als würdest du alles nur mit seiner Zustimmung machen! Ich dachte, er wäre dein Assistent und nicht dein Babysitter.« Meine Hände ballten sich zu Fäusten, »Vivian-« Ihre dunklen Augen blitzten auf, »Du willst doch Geschäftsführer sein? Dann fang endlich an, dich auch so zu verhalten!« Sie hielt mir die Akte entgegen, doch ich nahm sie nicht an.

Sie atemte tief aus, fuhr sich durch die braunen Haare, als wäre ich ein Kind das sie belehren musste. Ja, sie passte wirklich perfekt zu meinem Bruder. »Mir ist egal, wer von euch beiden die Stelle bekommt,« behauptete sie, doch das kaufte ich ihr nicht ab. »Scheiß egal. Aber was denkst du, was passiert, wenn Mr. Moreau sieht, dass du nicht das Zeug dazu hast, die richtigen Entscheidungen für die Firma zu treffen, hm?« Sie klatschte mir die Akten gegen die Brust.

»Du hast die Verantwortung, Percival. Benimm dich verdammt noch Mal auch so.«

Not your Secretary! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt