66| Vom Vermissen

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Family Line
Conan Gray

Sam

Darcy rollten dicke Tränen über die Wange, die sie fanatisch versuchte wegzuwischen. Doch sofort bahnten sich neue, hatten die alten den Saum ihrer Jacke gerade erst durchtränkt. Ich schob mich vor sie, schielte sie von der Menge ein wenig ab. Ich sagte kein Wort, ließ zu das sie alles raus lassen konnte. Ich kannte den Ausdruck in ihren Augen nur zu gut. Es war die Art von Wut, die entstand, wenn die Trauer zu lange in einem schlummerte. Die Art von Zorn die aus tiefem Schmerz hervortrat. »Ich vermisse sie so sehr.«, gestand sie, ihre Stimme ein gebrochenes Flüstern. »Ich würde alles dafür geben, nur damit sie mich wollen würde.« Mein Herz brach. In tausend kleine Scherben, die sich in meine Lungen bohrten, wie Glas. Kein Kind sollte sich so fühlen. Vorsichtig fuhr ich ihr das dunkle Haare nach hinten.

»Es ist okay sie zu vermissen.«, raunte ich und sie schüttelte den Kopf. »Es ist so dämlich! Sie interessiert sich nicht mal für mich! Und ich- ich fühle mich so,« sie zerrte an ihrem Shirt »nur weil sie mir so eine dumme Nachricht schreibt. Ich-«
»Sie ist deine Mom, Darcy.«, flüsterte ich und sie schluchzte auf. »Es ist okay ihre Zuneigung zu wollen.« Ihre Unterlippe zitterte, als sie mich aus glänzenden Augen aus ansah, bevor- Ich hielt mich gerade noch aufrecht, als sie ihre Arme um mich schlang, ihren Kopf in meiner Schulter. »Dad tut sein Bestes.«, kam es vermummt. Vorsichtig strich ich ihr über den Rücken. »Aber... Manchmal will ich einfach nur meine Mom.« Ich drückte sie an mich, hielt sie fest, blinzelte in den Himmel.

Ihre Schluchzer bebten durch ihren Körper und erst als sie abebbten, schob ich sie vorsichtig ein Stück zurück. »Weißt du, manchmal sind Menschen nicht dazu gemacht Eltern zu sein. Aber das ist niemals,« ich lehnte mich vor, musste sicher sein, dass sie mich verstand, »niemals die Schuld des Kindes.« Sie nickte, »Ich weiß, aber manchmal denke ich... wenn sie mich wenigstens kennenlernen würde, dann würde sie uns vielleicht eine Chance geben. Wenn sie es nur wenigstens einmal ernsthaft versuchen würde, dann...«, sie senkte den Kopf, ließ ihre Haare wie einen Vorhang über ihr Gesicht fallen. »Jeder könnte sich glücklich schätzen dich als Tochter zu haben,«, raunte ich mit fester Überzeugung. Sie schnaubte, »Das sagst du jetzt nur so.«  Ich schüttelte den Kopf, »Jeder der das nicht erkennt, hat definitiv was verpasst.«

Als wäre ihre Wut verblasst, sackte sie nach vorne, lehnte sie sich gegen meine Schulter. »Vermisst du sie auch?«, fragte sie schließlich. »Deine Eltern?« Ein leichtes Lächeln bahnte sich auf mein Gesicht. »Immer
»Selbst nach all der Zeit?« Ich strich ihr beruhigend über den Rücken. »Ich glaube,« begann ich, »es gibt kein Alter ab dem man sich nicht mehr nach der Liebe der Eltern sehnt.« Auch wenn man dachte, dass man irgendwann zu erwachsen, zu alt, ist. Man vermisst immer die Wärme eines Zuhauses. Selbst wenn man nie das Glück hatte, es am eignen Leib zu erfahren. Vor allem dann.

»Bitte erzähls' nicht Dad.«, murmelte sie in mein Jackett. »Er würde das nicht verstehen.« Ich runzelte die Stirn, »Doch, ich glaube, dass würde er.« Percy wurde ebenfalls von Milena verlassen. Es war zwar nicht seine Mutter, die ihm im Stich gelassen hat, aber es war ein ähnlicher Schmerz. Die beiden hatten nur sich. Also würde Percival verstehen. Da war ich mir sicher. Darcy atmete tief aus, schloss die Augen, bevor sie mich wieder ansah.

»Ja, aber nicht so wie du

•••

Percy

Ich zerrte an meiner Krawatte. Gott, ich vermisste die Jahre in denen mir die Meinung unserer Kunden noch relativ egal war. In denen ich in ihren Augen noch keine wichtige Person war, sondern nur ein Sohn, der in der selben Firma seines Vaters arbeitete. Ich vermisste die Zeit, in denen meine Berichte noch nicht 100 Prozent perfekt sein mussten, und mir nicht jeder am Arsch geklebt ist, als hätte ich mich in Honig gesetzt.

Ich trat hinauf in die Terrasse, als ich mich endlich davon stehlen konnte. Es war bereits dunkel, und ich fragte mich wie viel Zeit schon gegangen war. Und selbst nach all den Stunden war Sinclair nie aufgetaucht. Ich würde Lancelot am liebsten gleich nochmal in den Pool schmeißen! Ich fuhr mir müde über die Stirn und machte mich auf die Suche nach meinen Leuten.

Ich fand sie versteckt hinter einer riesigen Topfpflanze in einer Ecke am Boden hockend. Hätte ich Sam's ordentlich polierte Schuhe nicht dahinter hervor ragen gesehen, würde ich sie wahrscheinlich immer noch suchen. Mit einem erleichterten Lächeln schloss ich zu ihnen auf, nur um Überrascht inne zu halten. Sam lag an die Wand des Apartments gelehnt, eine schlafende Darcy halb auf ihm zusammen gerollt. Er hatte sein Jackett sachte als Decke über sie gelegt.

Irgendwas an dem Anblick brachte etwas in meiner Brust zum stolpern. Der komplette Stress schien auf einmal so weit entfernt. »Hey.«, raunte ich leise. Sam sah zu mir auf und lächelte, und es war wieder so, als wäre es das erste Mal, dass er mich so ansah. Ich rieb mir über meine Brust, fragte mich, ob es wohl jemals leichter sein würde ihn anzusehen. Ob es sich jemals nicht so anfühlen würde, als würde man die ersten Sterne an einem Nachthimmel entdecken. »Hi.«, raunte er und ich war verloren.

»Du hast mich dort drinnen ziemlich allein gelassen.«, stellte ich flüsternd  fest und vergrub meine Hände in meinen Taschen. Nach dem ich einigermaßen getrocknet war, hatte er mich gnadenlos wieder den Haien vorgeworfen, nur um sich im nächsten Moment leise davon zu stehlen. »Bin ich der nächste Geschäftsführer, oder du?«, höhnte er und ich verdrehte die Augen. »Ha ha. Sehr lustig.«

Vorsichtig hievte er Darcy in seine Arme, sorgte dafür, dass das Jackett nicht von ihren Schultern rutschte, bevor er sich verstohlen zu mir hinab beugte, als würde uns irgendjemand hinter den Topfpflanzen sehen können. »Wir sollten jetzt wirklich langsam nach Hause. Ich und Darcy gehen schon mal vor.«, er lächelte als wäre es ein Spiel. »Folge uns unauffällig.«

Ich sah ihnen hinter her, bis sie in der Menge verschwanden. Mit den Händen in meiner Tasche, sah ich hinauf in den Himmel. Es war bewölkt aber das war mir egal.

Nach Hause.

Ich fühlte mich wieder wie ein unbeschwerter Teenager, als ich zu den Sternen hinauf grinste.

Not your Secretary! [BxB]Where stories live. Discover now