57| Ein alter Schuhkarton

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Jonah Kagen

Percy

Unschlüssig lehnte ich gegen die Tür von Sams Apartment und beobachtete, wie er hin und her huschte um seine Sachen zu packen. Er hatte mich den Rest der Fahrt angeschwiegen, aber das hatte ich verdient. Ich verstand warum er so reagierte, aber ich bereute meine Entscheidung keines Wegs. Seufzend beobachtete ich wie er im Bad verschwand, um dort das Nötigste zusammenzusuchen.

Eigentlich hätte ich seine ganzen Besitztümer sowieso demnächst holen lassen, aber er bestand darauf, dass Wichtigste selbst zu packen. Seine Möbel, die noch funktionstüchtig waren, würden in ein Lagerhaus gebracht werden, bevor die neuen Mieter nächste Woche einzogen, um von dort an dann weiter in seine neue Wohnung gebracht werden.

Sam kam aus dem Bad und zog weiter ins Schlafzimmer. Ich stieß mich ab und schlenderte ihm zögerlich hinter her. Erneut blieb ich im Eingang stehen und lies meinen Blick seinen Bewegungen folgen. »Ist das alles?«, fragte ich verwirrt, und in nickte Richtung der Box die er nun auf seine Matratze stellte. Ein paar Sweatshirts, Anzüge, seine Zahnbürste und weitere Hygieneartikel waren alles was er zusammen packte? Sam wandte sich zu mir um. »Ich brauche nicht viel.«

Nicht viel? Das dort sah aus als würde er nur für ein paar Nächte verschwinden.

Aber nicht nur sein Karton war spärlich. Ich sah mich um. Seit mehr als 10 Jahren wohnte er hier, und kein einziges Bild hing an seinen Wänden. Das hier war seit einer gefühlten Ewigkeit sein Zuhause, doch es war absolut leer. Es war mir beim ersten Mal als wir hier waren kaum aufgefallen, aber es schien so unbewohnt. Sam Cortez liebte seine Ordnung, doch selbst ein Ausstellungsraum eines gewissen schwedischen Möbelhauses hatte mehr Charakter.

Wie als würde er meine Gedanken widerlegen, zog er etwas unter seinem Bett hervor. Vor Neugier unruhig, schlich ich um sein Bett herum um über seine Schulter spähen zu können. Sam setzte sich auf den Fußboden und strich die dünne Staubschicht von dem vergilbten Schuhkarton. Ich dachte nicht, dass er ihn öffnen würde, doch seine Finger zogen sachte den Deckel beiseite, und enthüllten Stapel von feinsäuberlichen sortierten Fotografien. Zögerlich setzte ich mich neben ihn.

Nicht sicher, ob er wollte das ich das hier sah, richtete ich meinen Fokus auf ihn. Ein Schatten eines Lächelns lag auf seinen Lippen. Als wäre seine Emotion selbst auch nichts mehr als ein vergilbtes Foto. Ein verblichener Schatten von dem was mal war. Er zog sachte ein paar hervor und als er keine Anstalten machte, sie vor mir zu verstecken, huschte mein Blick wie automatisch zu dem bedruckten Papier.

Das erste Bild, zeigte einen recht erwachsenen Samuel, mit seinem typischen professionellen Blick der in die Kamera spähte, neben ihm eine breit grinsende Nadine, die ihm anscheinend gerade in ein Selfie zog. Überrascht sah ich auf, als er es zu mir weiterreichte, »Das war vor zwei Jahren«, begann er zögerlich zu erzählen und ich nahm es vorsichtig an mich. »Das war am Sommerfest mit den Kindern.« Die Pflegekinder im Gemeindezentrum. »Big Sam.«, erinnerte ich mich und sah lächelnd zu ihm auf.

Er war großartig mit den Kindern gewesen. Er würde es niemals zu geben, aber das hier, diese Eigenschaften an ihm, bewies, dass er so viel mehr war als ein nur ein loyaler Mitarbeiter.

Ich wusste nicht warum er diese Bilder mit mir teilte, oder sich generell wieder dazu entschlossen hatte mit mir zu reden, aber ich würde es nicht in Frage stellen. Sam ging ein paar weitere Bilder durch, bevor er mir ein anderes reichte. Es zeigte einen Teenager mit dunkeln wilden Haaren und einem finsteren Gesichtsausdruck. Er lehnte an einem alt aussehenden Wagen, seine Klamotten voller Ölflecken. »Da war ich 15. Hab den ganzen Sommer bei einer Pflegefamilie in Boston verbracht.«, er tippte auf ein Detail am oberen Rand des Bildes. Francis' Autowerkstatt. »Hab's gehasst.«, raunte er und sein Blick fand meinen.

Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. Dass er damals schon aussah, als stamme er direkt aus einem Renaissance Gemälde? Dass ich mir wünschte, ich hätte ihn damals bereits kennengelernt, auch wenn ich mir sicher war dass der 15 jährige Sam dem 15 jährigen verzogen Percival wahrscheinlich eine verpasst hätte? Dass ich mir wünschte, dass er seine Sommer nicht von einer Familien zur nächsten verfrachtet hätte werden sollen, wie eine billige Arbeitskraft? Tausend Antworten ratterten mir durch den Kopf, aber es schien als würde er auch meine Stille verstehen.

Sam brach den Blickkontakt ab und ging weiter die Bilder im Karton durch. Als er eines vom dem Grund der Box herauszog, wusste ich, warum er diese Bilder unter seinem Bett versteckte wie einen Schatz; verbarg und behütete, wie alles was tiefer lag, als seine Krawatte und sein höflich gesäuseltes Sir. Eine Frau lächelte breit in die Kamera, schwarze dichte Locken und braune Haut, die von Leben nur so strotze, neben ihr ein Mann mit markanten Zügen und freundlichen Augen, der gerade dabei war ihr einen Kuss gegen die Schläfe zu drücken. Und ein kleiner Junge, der auf den Schultern des Mannes saß, seine Hände lachend in dessen Haare gekrallt.

Ich wusste, wer diese Menschen waren auch, wenn der Mann nicht genauso ausgesehen hätte wie Sam. Ich erkannte es an der Art, wie er vorsichtig über das Bild strich, ein zitternder Atemzug, als wäre es das kostbarste was er besaß. »Meine Eltern«, wisperte er und irgendwas in meiner Brust füllte sich mit einer Melancholie, die mir die Luft aus den Lungen drückte. Mit einer Sehnsucht, einem Vermissen, das nicht meines war.

Das Licht der Mittagssonne fiel durch die kaputten Jalousie seiner Wohnung in Streifen zu uns hinab auf den Fußboden, beleuchtete Sam von hinten. Und in dem Moment, in dem das Licht Teil seiner Silhouette zu sein schien, war er nicht mehr der stets perfekte Samuel Cortez, der immer alles im Griff zu haben schien, nein, in dem Moment war er einfach nur Sam, ein kleiner Junge der einfach nur seine Eltern vermisste.

Sam reichte mir die Fotografie, und ich sah ihn fragend an: Bist du dir sicher? Sam lächelte schwach. Es war mehr als ein Foto was er mir reichte. Das wussten wir beide. Als wäre es etwas heiliges, schloss ich meine Finger um das Papier, sah darauf hinab. »Du siehst genauso aus, wie dein Vater.«, murmelte ich, ohne wirklich darüber nachzudenken, weil es schlichtweg nicht zu leugnen war.

Erst als ich merkte, dass Sam erstarrt zu sein schien, hob ich erneut den Kopf. Er lächelte, nein er strahlte, als hätte ich ihm das wohl schönste Kompliment der Welt gemacht. Das Antlitz eines Jungen schimmerte durch seine Augen.

»Tatsächlich?«

Not your Secretary! [BxB]Where stories live. Discover now