89| Vom Verschwinden und Bleiben

1.8K 264 32
                                    

That Cut That Always Bleeds
Conan Gray

Percy

»Verschwinde!«, Darcy atmete tief durch, nach dem sie das letzte Wort ausgesprochen hatte. Als wäre ihre eine schwere Last von den Schultern gefallen. Die Stille, die den Raum durchflutete, fühlte sich an wie eine tickende Zeitbombe. Darcy war die Erste, die sich aus der Szene riss und mit einem donnernden Türschlagen in ihrem Zimmer verschwand. Ich sah ihr nach, ihre Worte immer noch in meinen Ohren klingend. Ich schämte mich dafür, dass ich es nicht erkannt hatte. Ich hätte wissen müssen, dass sie nicht so gut mit der Situation klar gekommen war, wie sie es vorgegeben hatte.

Ich wandte mich wieder zu Milena und traf auf ihren wartenden Blick. Sie sah mich an, als würde sie nun etwas von mir erwarten. Aber ich schwieg. Alles was gesagt worden musste, war bereits gefallen. Als sie realisierte, das von mir nichts mehr kam, schnaubte sie enttäuscht, bevor sie an mir vorbei schritt und dabei gegen meine Schulter rumpelte.

Ich verweilte für einen Atemzug in der Küche, ließ das Geschehene auf mich sacken, bevor ich mich umdrehte und ihr zügig folgte. Milena zog fantastisch ihren Koffer unter dem Bett hervor, als ich im Türrahmen stehen blieb. Das Bild das sich mir bot, versetzte mich 5 Jahre zurück in die Vergangenheit. Auf einmal war ich wieder ein naiver Idiot, der noch dachte, dass man alles würde klären können. »Du gehst?«, stellte ich fest. Milena schnalzte abfällig mit der Zunge, als sie durch den Raum eilte um ihre Sachen in den Koffer zu werfen. »Du hast gehört, was sie gesagt hat. Anscheinend bin ich nicht ihre Mutter.«

Ich beobachtete, wie sie ihre Pullover aus dem Schrank zog, ihre Sachen packte. Genau das, war es vor dem ich von Anfang an Angst gehabt habe. Dass sie kommen würde, nur um wieder zu gehen. Aber diesmal war es anders. Diesmal, spürte ich absolut nichts bei dem Anblick ihres offenen Koffers auf dem Bett. Es scheint, als wäre ich endlich abgestumpft für ihre Abgänge. Alles was ich spürte, war eine bereits erwartete Enttäuschung. »Sie ist ein Teenager, Millie. Weißt du, wie oft sie schon zu mir gesagt hat, ich soll' zur Hölle fahren?«

Sie sah mich nicht an, packte einfach weiter. »Du meintest, dass du Teil unseres Lebens sein willst, aber du gehst schon bei dem ersten Streit?« Ruckartig blieb sie stehen, wirbelte zu mir herum. »Denkst du wirklich, es ist nur wegen diesem beschissenen Streit?«, sie lachte kalt auf. »Verdammte Scheiße! Seit dem ich hier bin, versuche ich mein Bestes! Himmel, ich reiße mir den Arsch auf: geh' mit ihr shoppen! Koche euch Essen! Aber ihr-!«, sie trat auf mich zu, bohrte mir ihren Zeigefinger in die Brust, »Ihr behandelt mich immer noch wie einen Feind!«

Ein seltsames Gefühl von Mitleid erfasst mich, als ich zu ihr hinab sah. Verstand sie es denn wirklich nicht? »Was erwartest du denn von uns? Das es so wird wie früher? Gott, Milena! Du hast uns verla-«
»Verlassen!«, schrie sie, und fuhr sich aufgebracht durch die Haare. »Verlassen, Percy! Als würdet ihr mich das jemals vergessen lassen!« Ich trat einen Schritt in den Raum, spürte, wie es mir schwerer fiel Luft zu holen. »Du hast nicht einfach nur vergessen, sie von der Schule abzuholen, oder so was! Du bist einfach für Jahre ihres Lebens verschwunden! Glaubst du, dass vergisst man einfach so, nur weil du einen beschissenen Eintopf kochst?«, donnerte ich und ihre Gesicht verzog sich vor Schmerz

»Es war ein Fehler! Okay!« Aufgelöst warf sie ihre Arme in die Luft. »Auf einmal war ich schwanger und du und deine Familie, wart so zuversichtlich, aber -Ich - Ich hatte Panik! Ich war noch so jung und mein Leben war bereits vorbei, okay! Ich war gefangen in dieser Rolle und ich konnte nicht- ich konnte einfach nicht!«, sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, bevor sie sie zu mir ausstreckte, »Und du- du warst du gut mit ihr, ich war mir sicher dass du- aber ich machte alles falsch! Ich-«
»Denkst du etwa, ich hatte alles Kontrolle?« keuchte ich, der Zorn wie eine Faust um meinen Hals. Der Frust, wie kalte Finger, die sich in meine Luftröhre drückten. Aufgebracht schritt ich auf sie zu. »Denkst du etwa-!«
»Verdammt, ich war doch nur ein Kind!«
»Ich war auch nur ein Kind, Milena!«, brüllte ich und sie zuckte zurück.

Ich schnappte nach Luft, als rote Punkte vor meinen Augen tanzten. »Ich war 19! Fucking 19! - als du uns zum ersten Mal zurück gelassen hast!«, ich fuhr mir mit beiden Händen die Haare nach hinten, um das Zittern  zu verbergen. »Denkst du etwa, ich hatte eine Ahnung? Von irgendwas? Was man macht, wenn sie anfangen zu rennen, oder wenn sie ihre Zähne bekommen? Oder wenn sie in der Schule gemobbt werden, oder - denkst du ich hatte irgendeinen Plan?«, schrie ich. Sie sah mich mit vor Schreck geweiteten Augen aus an, als ich versuchte meine Wut unter Kontrolle zu bekommen. Fuck!

»Die Hälfte ihres Lebens hab' ich mich gefühlt, wie der schlimmste Vater auf der Welt. Aber sieh sie dir an!«, ich deutete auf die Zimmertür. »Sie ist wundervoll! Sie ist lustig und schlau - so verdammt schlau, dass sag ich dir!- und so unheimlich mutig, dass ich mich manchmal frage, wie sie mit mir verwandt sein kann! Das heißt, ich konnte gar nicht so beschissen gewesen sein, oder nicht? Und willst du wissen, woher ich das weiß?« Stumm liefen Tränen über ihr Gesicht. Aber ich war noch nicht fertig: »Dass weiß ich, weil ich hier war! Nicht nur eine beschissene Nachricht auf einem Handy um mein Gewissen zu beruhigen! Ich war hier! Bei jedem Trotzanfall, bei jedem Wutausbruch, verdammte Scheiße!«, zischend holte Ich Luft, sah Richtung Decke.

»Das ist nicht fair.«, flüsterte sie brüchig und ich lachte kalt auf. »Nein, dass ist es nicht. Aber es ist die Wahrheit.«

Ich wich vor ihr zurück, ging zu ihrem Koffer um verächtlich meine Finger darüber wandern zu lassen. »Wenn dir Darcys Worte dort draußen wirklich etwas bedeuten hätten - wenn du dich wirklich geändert hättest- wärst du nicht beim ersten Anzeichen von Problemen deinen Koffer packen gegangen.« Ich sah zu ihr auf. Sie stand verloren in diesem Raum, als wäre sie komplett Fehl am Platz. »Ich gebe mein Bestes.«, gestand sie. Ich nickte schwach, »Das ist okay.« Das war es wirklich. Manche Menschen konnten die Rollen schlichtweg nicht erfüllen, die ihnen die Welt zuteilte. Ich musste auf die schmerzhafte Weise lernen, dass man diese Leute nicht dazu zwingen konnte, etwas zu sein, was sie nicht waren. »Aber du musst, verstehen dass uns dein Bestes nicht mehr reicht.« Wir hatten mehr verdient.

»Was willst du jetzt von mir hören, Percy?«, fragte sie und wischte sich frustriert die Tränen von den Wangen. »Von dir? Gar nichts.« Kopfschüttelnd schloss ich ihren Koffer. »Ich denke, du hast deine Entscheidung bereits getroffen.« Bittend legte ich den Kopfschief.

»Ruf uns mal an. Wünsch uns frohe Weihnachten, oder - keine Ahnung?- frag mal nach dem Rechten, aber... Wenn du jetzt gehst, war's das letzte Mal.«, raunte ich. Ein Ultimatum.

Wie vor 5 Jahren. Doch...

»Milena,« bat ich. »Wenn dir langweilig wird...Versuchs mal mit Schach? Oder Stricken? Nur bitte! - Stell nicht wieder unser Leben auf den Kopf.« Die Tränen fort blinzelnd, schnaubte sie, fast schon amüsiert. »Uns wird es gut gehen,« versprach ich nickend. »Darcy wird es gut gehen.«

Denn zum ersten Mal in meinem Leben, wusste ich, dass ich gut in dem war, was ich tat.

Eine Weile sah sie mich an. Doch dann nickte sie schwerfällig und schnappte sich ihren Koffer vom Bett. Bevor sie an mir vorbei schritt, blieb sie ein letztes Mal vor mir stehen. Ein schwaches Lächeln legte sich auf ihre Lippen, ein Lebewohl:

»Mach's gut, Percival.«

Not your Secretary! [BxB]Where stories live. Discover now