55| Zack. Weg.

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Lump Sum
Bon Iver

Percy

»Das heißt«, mampfte Darcy, die neben mir her schlurfte, »das Sam eine Weile bei uns wohnt?« Ich nickte, beäugte sie und ihren Haufen kleiner Tüten kritisch. Sie hatte praktisch den ganzen Automaten gekauft. Hätte ich sie nicht frühzeitig gefunden, hätte sie ihn wahrscheinlich komplett leer gekauft. Ich fuhr mir durch die Haare, als ich mit ihr zurück zum Zimmer spazierte. Sam war nach seinem Geständnis in einen tiefen medikamentösen Schlaf gefallen. Er war einfach... Zack. Weg.

Und ich? Ich hatte keine Ahnung was ich mit unserem Gespräch anfangen sollte. Ich meine, die Hälfte davon schien den Medikamenten verschuldet zu sein, doch was er da gesagt hatte... Seufzend sah ich zu Darcy, die Probleme hatte alle Tüten in ihren Armen  zu transportieren. Ich würde mit ihm darüber reden müssen, wenn er wieder er selbst war. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er darüber sehr begeistert sein wird.«, warf sie ein. »Hast du ihm das schon gesagt?«

Ertappt verzog ich das Gesicht. Nadine war vorhin bereits sehr aufgewühlt aufgebrochen und hatte mir praktisch die Verantwortung für ihn übertragen. Sie hatte nie etwas davon gesagt, dass Sam bei uns wohnen soll, aber... Wie sollte ich sonst ein Auge auf diesen Workaholic werfen können? Ich war mir sicher, dass er sich selbst mit einer Schusswunde ins Büro schleppen würde.

»Nein«, gestand ich und Darcy verzog vielsagend die Stirn. »Aber er hat keine andere Wahl. Und was soll er schon machen? Davon laufen?«
»Also, ich würde es.«, murmelte sie und ich wurschtelte ihr empört schnaubend durch die Haare. »So schlimm ist es jetzt auch nicht. Und du kennst seine Wohnung. Bei uns wird es wie Urlaub für ihn.« Darcy schlug grinsend meine Hand weg, »Ja, aber du musst mit einbeziehen, dass er bei uns wohnen wird.«
»Na und?«
»Dad. Eine zwölfjährige und sein Boss? Das ist nicht gerade die Traum-WG, die man sich nach einem Überfall wünscht.«

Schnaubend rollte ich meine Schultern. »Ach Schwachsinn. Wir sind toll.« Darcy kicherte amüsiert. »Wie du meinst. Du bist aber derjenige der ihm die Neuigkeiten beibringen muss.« Ja, Sam würde wirklich nicht gerade begeistert sein.

Ich runzelte die Stirn, »Warten wir damit lieber noch ein bisschen.«

•••

»Y-yo siempe tango r...azón?«, brachte Darcy mühsam hervor, gefolgt von Sam's tiefem Lachen. »Fast.«
»Man, sag doch einfach nein!« Grinsend lehnte ich meinen Kopf gegen die Wand, lauschte weiter dem Gespräch im Zimmer. Nachdem Sam für mehrere Stunden nicht aufgewacht war, hatte ich mich bereit erklärt etwas zu essen zu holen - etwas anderes als diesen Krankenhaus-Fraß. Darcy hatte darauf bestanden bei dem Patienten zu bleiben, der nun wieder bei klarem Verstand zu sein schien. Jedenfalls klang seine Stimme danach. Als ich  hörte, dass er wach war, war ich vor der Tür stehen geblieben, zögerte den Raum zu betreten.

Ich redete mir selbst ein, den Beiden noch eine Weile ihren Moment zu gönnen. Es war schon lange her, dass ich ihn so lachen gehört habe.

»Es war schon sehr nah dran.«, motivierte er meine Tochter. »Du musst das R mehr rollen. Hier. Tiefer im Rachen. Yo siempre tengo razón.« Darcy schnalzte genervt mit der Zunge. »Angeber.« Ich schloss die Augen, als er erneut auflachte. »Ich habe eben einen Heimvorteil.«
Ich stieß mich von der Wand ab und umrundete die Ecke, trat durch die Tür.

»Hat jemand Hunger?«, begrüßte ich die Runde. Darcy saß wieder auf der Matratze. Doch Sam saß dieses Mal aufrecht im Bett, sein Äußeres wieder näher an seinem üblichen Selbst. Als unsere Blicke sich trafen wandte er den Blick ab. Ich hielt inne. Er erinnerte sich.

Seltsam erleichtert ließ ich mich auf einen der Stühle sinken. Ich wusste nicht, wie es jetzt weiter ging, aber ich denke, wir beginnen erst einmal mit den Burgern. Ich warf Darcy die Tüte zu, die sie triumphierend auffing.

Mit einem breiten Grinsen holte sie ihr Essen hervor und drückte es, als wäre sie kurz vor dem verhungern, gegen ihre Brust: »Herr, ich danke dir für Dad's Kreditkarte und Cheeseburger.«

•••

Zögerlich klopfte ich gegen den Türrahmen. »Kommst du klar?« Sam saß mit gesenktem Kopf am Rande der Matratze. Er drehte sich nicht zu mir um, während er nickte. Es war der nächste Morgen und das erste Mal, seit seinem völlig vernebelten Gebrabbel, dass wir wieder allein waren. Auch wenn Darcy stark protestiert hatte, musste sie zurück in die Schule. Es war besser so, doch nun fehlte der Puffer, der die Situation nicht ganz so angespannt machte.

Mir war aufgefallen, wie er gestern meinem Blick ausgewichen war, wie er unruhig wurde, wann immer sich unsere Blicke kreuzten. Darcy schien nichts von der schrägen Stimmung aufgefallen zu sein, die zwischen uns herrschte, denn sie hatte den ganzen restlichen Tag damit verbracht uns heiter zu zu texten, bevor ich sie irgendwann aus dem Raum zerrte, mit der Begründung das Sam Ruhe brauchte.

Aber nun blieb ihm nichts anderes übrig, als mir seine Aufmerksamkeit zu schenken.

»Ich hab hier deine Entlassungspapiere.«, erkläre ich und stieß mich von der Tür ab, betrat den Raum. Sam versuchte sich aufzurichten, schwankte dabei aber gewaltig. »Woah, hey.« Ich eilte an seine Seite, doch da stand er bereits aufrecht. Ich musterte ihn besorgt, als ich vor ihm zum stehen kam. Er war immer noch bleich, aber er sah definitiv bereits besser aus als gestern. Seine Wangen zierte nun statt dem üblichen gepflegten, ein zerstreuter drei-Tage-Bart. »Wo ist Nadine?«, fragte er und sah sich suchend um. Verwirrt legte ich den Kopf schief, »In Texas? Hast du's vergessen?« Ich hatte ihm bereits gestern gestanden, dass seine Schwester weg musste.

Die Erinnerung schien ihn wieder einzuholen, denn er nickte verkniffen und ging um mich herum, schnappte sich seine Jacke. »Du musst mich nicht nach Hause bringen. Ich nehm' mir ein Taxis.« Ich wirbelte zu ihm herum. »Auf gar keinen Fall. Ich fahr dich.« Sein Rücken verspannte, »Das ist nicht nötig. Ich-«
»Sam.«
»Ich komm schon klar.« Bullshit.

»Du wurdest vor nicht mal 50 Stunden von einem Messer attackiert. Ich fahre dich.« Sam wandte sich wieder zu mir. »Ich bin tougher als ich aussehe.«, grummelt er und ich hätte beinahe aufgelacht. Samuel Cortez sah aus, als würde er sich in seiner Freizeit Bösewichten stellen, oder aus fahrenden Autos springen. Wenn dann war es andersrum. »Ja; und ich bin nerviger als ich aussehe. Und jetzt komm schon.« Ich klimperte demonstrativ mit meinen Schlüsseln. »Ich bring dich nach Hause.

»Du wirst es nicht gut sein lassen, oder?« Demonstrativ trat ich an ihn heran, bis uns nur noch Zentimeter trennten. Sam wich nicht zurück, aber ich merkte wie seine Atmung stockte. Mit einem schiefen Grinsen wischte ich ihm einen Fussel von seiner Jacke. »Niemals

Ich klopfte ihm aufmunternd auf die Brust, bevor ich mich umdrehte um aus dem Raum zu marschieren, Sam hinter mir ergeben aufseufzend. Und dabei hatte ich ihm noch nicht mal gesagt, zu welchem Zuhause wir nun fahren würden.

Oh man, das konnte witzig werden.

Not your Secretary! [BxB]Where stories live. Discover now