01- der Typ der mich nicht versteht

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01- Der Typ, der mich nicht versteht

Es ist Mittwochnachmittag. Routinemäßig laufe ich nach Hause. Ich wohne in einem ruhigen Viertel, in einem kleinen Apartment. Die Wohnung ist groß genug für drei und lichtdurchflutet. Heute ist ungewohnt leise, als ich die Tür aufschließe.

Normalerweise schreit Ilayda, meine kleine Schwester, herum oder meine Mutter macht mit irgendetwas Krach. Ich glaube, das liegt in unseren Genen, dass wir nicht leise sein können.

»Anne? (Mutter?)«, rufe ich daher, während ich meine Schuhe ausziehe und gleich darauf meine Jacke in eine Ecke schmeiße. Sie wird schimpfen, aber das ist mir gerade egal.

»Aklima«, nennt meine Mutter meinen Namen. Ihre Stimme kommt aus dem Wohnzimmer und dort erblicke ich sie auch. Ihr Gesichtsausdruck zeigt mir schon, dass etwas nicht stimmt. Können wir wieder die Miete nicht zahlen?
Egal, wie oft ich es anbiete, mich arbeiten lässt sie nicht. Ich soll mich auf die Schule konzentrieren. Immer dieselbe Leier.

Meine Mutter ist aufgestanden. »Du bist spät«, bemerkt sie und setzt sich dann wieder, während ich das Wohnzimmer betrete, und sieht zu dem Gast, der auf der Couch sitzt. Ein Typ mit braunem Haar und einem Blick, direkt auf den Tisch gerichtet, als würde er darauf bestehen, mir ja nicht ins Gesicht zu sehen.

»Wer ist dieser Typ?«, frage ich sie also und blicke erwartungsvoll zu meiner Mutter.
»Sei nicht so unhöflich, dass du in der dritten Person sprichst, während er anwesend ist«, sagt sie mit gequältem Blick. Das sieht man nicht alle Tage. Meine Mutter ist eine starke junge Frau. Seit dem Tod meines Vaters trägt sie alle Last auf ihren zerbrechlichen Schultern, für ihr Töchter. »Setz dich hin, Aklima.«

Ich gehorche und lege den Kopf in den Nacken. Der Typ sieht mich noch immer nicht an. Sein Kiefer ist angespannt, wie seine gesamte Haltung.
»Was ist los?«, frage ich also ungeduldig.

»Aklima, das ist Zamir und er möchte dich heiraten.
»Was?«
Ich springe auf und muss anfangen zu lachen, weil das so ziemlich das lächerlichste ist, was mir passiert ist. Das ist entweder ein wirrer Traum und ich träume oft komisches Zeug oder es ist ein ziemlich schlechter Witz.

Der Typ sieht zum ersten Mal auf. Ich blecke die Zähne. »Sieh mich nicht so an. Ich werde keinen Flachwichser wie dich heiraten!«
»Aklima!«
»Was!?«
»Du brauchst ihn nicht zu beleidigen!«, ruft sie und fährt sich durchs Haar. »Er kann dich sowieso nicht verstehen.«
»Was soll die Scheiße, willst du mich komplett verarschen!?«

Sie atmet aus. Meine Mutter, die nur das Beste für mich will. Meine Mutter, die alles aufgibt für mich. Diese Frau, sie sieht gerade so kaputt aus. Das ist ziemlich paradox. Ich meine, sie ist selbst die Person, die immer wiederholt, ich solle nicht jedem trauen und schleppt hier dann einen Typen an, der mich heiraten will. Wieso eigentlich mich?

»Es tut mir leid. Ich habe falsch angefangen zu erklären«, gibt sie zu. Das liegt auch in den Genen, dieses falsch Ausdrücken. Sie macht dann eine viel zu lange Pause, bevor sie fortfährt. »Es ist keine richtige Verlobung. Es wird keine richtige Ehe sein. Sein Vater wurde in sein Land abgeschoben und er wird es auch, wenn er nicht-«
»Ich bin kein Wohltätigkeitsverein.«
»Nein, aber das ist der einzige Weg, um Ilaydas Krankenhauskosten zu begleichen.«

»Was? Wie?« Ich blinzele. Einmal, zweimal, dann redet sie weiter.
»Sie werden es uns zur Verfügung stellen, wenn wir akzeptieren. Nein. Wir ist das falsche Wort. Wenn du akzeptierst, Aklima. Tut mir leid, wenn ich voreilig Entscheidungen getroffen-«
»Nein.«

Ich denke an meine kleine Schwester und es ist fast so, als würde mir ein Stein vom Herzen fallen. Seit wie langer Zeit reden wir uns ein, dass alles gut wird, während jeder vergehender Tag sie weiter an ihr Rollstuhl bindet? »Ich werde es tun. Keine Sorge. Ist doch eh alles fake.«

Ich kann das alles noch nicht ganz fassen. Meine Mutter fasst Zamir an der Schulter, er steht einfach auf und läuft zur Tür. Währenddessen schaut sie schuldbewusst auf den Tisch. Ich gehe dem Typen nach, wer weiß schon, was der verstanden hat. Er zieht still seine Schuhe an und dann seine Jacke. Breit gebaut, grüne Augen, weißes shirt, einfache Jeans, arroganter Blick.

»Dreckskerl«, zische ich. Er kann mich doch sowieso nicht verstehen. Wieso also zurückhalten? »Wichser, Arschloch, Bastardschwein-«, ich stoppe abrupt, als er sich zu mir dreht und mir in die Augen sieht. Dann grinst er schief, beinahe so, als würde er mich verstehen.

Oder er versteht kein Wort und denkt, dass ich ihm eine Liebeserklärung gemacht habe. Jap, das wird es sein.

»Aklima«, wann ist meine Mutter hergekommen? »Du hast ihn doch nicht beleidigt, oder?«
Sie sieht mich streng an.
»Ich doch nicht. Anne (Mutter), was denkst du?«
»Geh dich ausruhen und überdenke es noch einmal, wenn du willst«, rät sie mir und in ihren Augen liegt Erleichterung. »Er ist ein guter Junge. Es wäre schade um ihn, wenn er weg müsste.«
Schnell schüttele ich den Kopf. »Was gibt es da noch nachzudenken?«

Ich zucke mit der Schulter. »Du hast alles für uns aufgeopfert. Jetzt bin ich mal an der Reihe. Obwohl, naja, opfern kann man das nicht nennen. Ich werde nur süß sitzen, Ja sagen und dann Papiere unterschreiben.«
»Genau«, flüstert meine Mutter und nimmt mich in den Arm. »Ich danke dir.«

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Danke fürs Lesen.
Vor vornherein: Diese Story hat rein gar nichts mit einer Zwangsheirat zutun. Zwangsehen sind nicht üblich in unserer Kultur und verboten im Islam.
(Nur zur Info)

Freue mich auf Feedback,
hayaleyna

Der Typ, der mein Verlobter sein sollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt