18- der Typ, der mich auf dem Gruppenfoto anstarrt

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18- der Typ, der mich auf dem Gruppenfoto anstarrt

An den Wochenenden liebe ich am meisten die gemeinsamen Frühstücke mit meiner kleinen Familie. In der Woche wird morgens immer so viel gehetzt und kaum zwei Worte gesprochen und muss schon nach einem Biss in den Toast, aus dem Haus rennen.

Okay, am meisten liebe ich es, lange auszuschlafen. Aber als zweites kommt definitiv das Frühstück.

Ilayda beäugt mich schon die ganze Zeit kritisch. »Aklima, ich mache mit Sorgen!«
Nicht das auch noch.
Meine kleine Schwester fuchtelt mit den Armen herum, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. »Du hast totale Stimmungsschwankungen, streitest dich mit Freundinnen, deren Namen ich zum ersten Mal höre, kommst mit irgendwelchen Typen spätabends nach Hause und bringst den Direktor dazu, zu uns zu kommen!«
»Das war Güney«, erinnere ich sie. »Und der Direktor war da, weil ich eine Musterschülerin bin.«

Meine Mutter kichert leise und das nervt mich. Sie weiß, das war gestern nicht Güney und ich will gar nicht wissen, was sie sich alles darunter vorstellt.

Ich stehe also auf und schnappe mir dabei noch ein letztes mit Nutella geschmiertes Toastbrot. In meinen eigenen vier Wänden fühle ich mich sicher. Sicher vor Ilaydas Fragen und den stechenden Blicken meiner Mutter.

Ich lege mich auf mein Bett und schreibe Zehra. "Wie war's gestern mit Güney?"
Ich muss grinsen, bis ihre Antwort kommt: "Wie war es bei dem Typen?"
Sie hat recht. Ohne ihr eine Antwort zu geben, kann ich keine von ihr verlangen.
"Ich war zu Hause."

Gleich nachdem ich das abgetippt habe, gehe ich aus dem Haus und spaziere eine Weile- etwas, was ich eigentlich so gut wie nie tue. Die frische Luft tut gut. Es ist heute ausnahmsweise nicht so kalt. Ich fühle mich wohl.

Als ich wieder in unserer Wohnung bin, ist Ilayda am Rätsel lösen. Sie steht auf sowas und regt sich immer auf, wenn man sie dabei stört.
»Annem nerde? (Wo ist Mama?)«, frage ich dennoch. Sie wirft mir einen genervten Blick zu und greift dann nach einem der Kekse, die auf dem Wohnzimmertisch liegen. »Einkaufen.«
Danach widmet sie sich ihren Rätseln. Keine Ahnung, ob sie jetzt sauer ist, weil sie meint, ich verheimliche ihr etwas oder sich einfach nur konzentrieren muss.
»Güney war gerade da«, gibt sie dann von sich und kritzelt dabei etwas. »Du warst nicht da, deshalb ist er gegangen. Er meinte, dass er dich später anruft.«
»Okay«, nuschle ich. Aber als Güney anruft, nehme ich nicht ab. Ich will nicht, dass er mir etwas erzählt. Irgendwie kommt es mir unfair vor. Ich will es von Zehra hören und wenn sie es nicht sagen will, dann ist es mies, wenn ich es von Güney erfahre.

Am Montag weiß ich immer noch nicht, was ich Zehra erzählen soll. Als ich mich dem Hintereingang des Schulhofs bewege, gehe hunderte von Dialoge im Kopf durch, bei denen wahrscheinlich keine stattfinden wird. Ich stocke erst, als ich Mirjana dort stehen sehe. Sie redet mit diesem alten Freund von Zamir, wie hieß er, Shane?
Dieser lächelt sie ein letztes Mal an und verschwindet dann. Ohne mir auch einen Blick zu würdigen, läuft er an mir vorbei und hätte mich beinahe angerempelt, wie er Jess angerempelt hatte.

Mirjana ist am Grinsen und als sie mich sieht, kommt sie direkt mit großen Schritten auf mich zu. Sie versucht einen Satz zu bilden, ist aber viel zu aufgeregt.
»Was ist los?«, lache ich.
»Zamir«, beginnt sie und mein Lachen erlischt. »Er hat seinen Freunden von mir erzählt, nur von mir. Glaubst du, er könnte mehr in mir sehen als nur eine Freundin?«
Es tut mir weh, dass sie so strahlt, weil ich nicht weiß, ob er es ernst meint oder ob er so zu jedem Mädchen ist. Wie er zu mir im Restaurant war.
»Oh Gott, ich verhalte mich so peinlich«, meint sie dann.
»Nein, tust du nicht«, nuschele ich. Ich kann nicht mehr sagen. »Ich muss noch zu einem Lehrer.«

Der Typ, der mein Verlobter sein sollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt