45- der Typ, der mich warten lässt

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45- der Typ, der mich warten lässt

Meine Mutter schließt den Reißverschluss des Kleides hoch, während ich vor dem Spiegel stehe.
Wir beide haben einen ziemlich kritischen Blick, weil das Kleid nicht meins, sondern das meiner Mutter ist. Sie hatte es damals zu ihrem Standesamt getragen.
»Du solltest mehr essen, Aklima«, sagt sie, obwohl es eigentlich ganz gut sitzt. Ich drehe mich um, während sie in ihren Schubladen kramt. »Sitzt doch.«

»Ah, Aklima. Wenn du doch nur für dein Kleid gesorgt hättest, müssten wir jetzt nicht improvisieren«, zischt sie, knallt die eine Schublade zu und macht sich auf die nächste auf.
»Wie oft noch. Ich wusste nicht, wann es da sein muss. Zamir hat mir gerade mal zwei Tage vorher Bescheid gegeben. Wieso hast du mir denn nichts gesagt?«, will ich wissen und frage mich, was sie denn bitte ausbessern will.

»Kann man sich nicht denken, dass der Junge nicht noch Jahre Zeit hat?«, fragt sie und holt Nadel und Faden heraus. »Ich mache das.«
»Äh«, mache ich einen Schritt zurück. »Bist du sicher?«
»Aklima!«

»Es ist gut so«, erwidere ich. Ich hätte nicht erwartet, dass es passt. Das Kleid ist champagnerfarben, hat Arme in Spitze und ist bodenlang. Sehr dezent.
»Das ist so süß«, kommentiere ich und drehe mich ein weiteres Mal um meine Achse. »Wieso hast du es mir nicht vorher vorgeschlagen?«
»Ich dachte, du willst ein eigenes«, meint sie und hält mich am Arm fest, damit ich mich nicht mehr weiterbewege. »Du weißt schon. Heutzutage gibt es mehr Auswahl und so viel schönere Kleider.«

»Es ist doch nur fake«, entgegne ich und sie beginnt Nadeln an das Kleid anzubringen. Ich zische. »Ist es etwa wegen-«, wende ich mich doch zu ihr und spür dabei, wie eine Nadel in meine Haut bohrt. Ich schreie auf und meine Mutter schlägt mich leicht auf die Schulter. »Wieso bewegst du dich?«, schimpft sie.
»Du wolltest es nicht umschneiden lassen«, beende ich meine Äußerung.

Ihre Augen werden groß. »Nein!«
»Natürlich!«, presse ich hervor und fühle mich gleichzeitig unwohl.
»Aklima. Du weißt gar nicht, wie sehr mich das rührt, dich in diesem Kleid zu sehen. Es passt dir und doch will ich, dass es perfekt wird. Deshalb muss ich es überarbeiten und-«
»Musst du nicht. Es ist doch schon wie angegossen.«
Jetzt weint sie und ich verstehe nicht ganz, wieso. »Du bist so groß geworden.«
»Anne, das ist nicht echt!«, erinnere ich sie und sie umarmt mich.

Ilayda macht mein Haar. Sie hat die Nacht durch Videos angeschaut statt zu schlafen und jetzt besteht sie darauf, das an mir ausprobieren zu dürfen. »Da ich weiß, dass du ein hoffnungsloser-«
»Ilayda«, drohe ich ihr.
»Okay okay. Da ich keine anderen Hobbys habe, musste ich mir tausend Videos reinziehen. Ich mache auch gleich dein Make-up.«
»Übertreiben wir nicht.«
Ich mache mir Sorgen, dass ich letztendlich aussehe wie ein Clown.
Aber sie macht es ganz gut. Zumindest bin ich positiv überrascht.

»Wir sind eigentlich das Mädchen-Haus. Wir sollten und zieren, nicht er!«, zischt meine Mutter, während sie versucht, den Direktor oder Zamir zu erreichen, der seit gestern wie vom Erdboden verschluckt scheint. Am Ende stehe ich da wirklich noch alleine da.

»Ehrlich, dafür solltest du den Tag genießen, zuckersüß lächeln und dann ganz einfach Nein-sagen«, meint sie und wirft das Handy auf das Bett. »Das Ganze hat das perfekte Timing.«
Sie seufzt. Ilayda ist die einzige, die zuversichtlich ist. »Er wird schon kommen. Das war nur zu viel für ihn. Ihn müsst ihr auch verstehen. Das mit seinem Vater auf diese Weise zu erfahren, ist nicht einfach.«
  Meine Mutter funkelt sie böse an. »Auf wessen Seite stehst du!«

Sie ist wieder der Meinung, dass das Kleid wieder nicht perfekt genug ist und will es umändern. Ich versuche ihr die Nadeln aus der Hand zu nehmen, weil ich befürchte, sie sticht sie mir aus Wut in meine Haut. »Es ist eine fake Hochzeit. Es muss nicht perfekt sein.«

Der Typ, der mein Verlobter sein sollDonde viven las historias. Descúbrelo ahora