27- der Typ, der meinen Schutz nicht braucht

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27- der Typ, der meinen Schutz nicht braucht

Ich weiß nicht, welche Worte diese Schreie beruhigen können und ich weiß nicht, welcher Schmerz hinter diesen Schreien verborgen liegt.
  Ich spüre, wie ich zerspringe in hunderte, nein tausend Teile. Kochendes Wasser durchdringt meinen gesamten Körper, von oben bis unten.
  »Es wird wieder gut«, zittert meine Stimme. Ich kann kaum klar denken. In meinem Kopf ist eine Barriere. »Gleich ist es geschafft, gleich ist es vorbei.«
  Ich bezweifle, dass meine Worte sie beruhigen, sie beruhigen ja nicht einmal mich. Aber Ilaydas Augen wenden sich nicht einmal von meinen ab. Ich kann nicht mehr unterscheiden, ob sie atmet oder weint. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem, die ihrer Lunge jede Kraft raubt.

Die Sirenen des Krankenwagens erleichtern mich ein wenig. Sie nehmen meine Kleine mit und ich sitze bei ihr, halte ihre Hand. Ihre Augen ist die Angst, dass ich sie verlasse.
  »Ich bin sofort da, wenn ihr ankommt«, versichert Zamir und die Öffnung des Krankenwagens wird geschlossen.
  »Wir sind gleich da«, flüstere ich. Schweißperlen liegen zwischen dem funkelnden Glitzer auf ihrem schmerzverzerrten Gesicht.

Irgendwann entgleitet sie mir. Sie nehmen sie mit und ich bleibe stehen, hilflos schaue ich ihr nach. Meine Knie geben nach, mein Körper erschlafft und ich wäre zu Boden gefallen, hätte mich nicht jemand aufgehalten.
  »Es wird gut werden«, verspricht mir Zamirs bekannte wohlwollende Stimme.

Ich nicke, bezweifle es aber. Mein Gesicht ist feucht. Ich habe nicht einmal bemerkt, dass ich geweint habe. Es dauert genau drei tiefe Atemzüge, bis ich aus der Trance, die mich durch die Trauer gelähmt hat, erwache und in die Realität zurückgeworfen werde. Ich muss meine Mutter anrufen.

Ich rappele mich auf und hole mein Handy heraus. Meine Hände zittern und meine Sicht ist verschwommen durch die ganzen Tränen, die kein Ende finden.
  »Warte, ich mach das«, flüstert Zamir und nimm es mir behutsam ab. Nicht einmal das habe ich geschafft. Er lässt mich auf einen Stuhl setzen und ruft gleich danach meine Mutter an.

Der Anruf dauert nicht allzu lange. Ich kann ihnen nicht zuhören, Ilaydas Schreie verlassen meinen Kopf nicht.
  Eine Krankenschwester kommt aus dem Raum und fragt, ob die Erziehungsberechtigte da ist. Ich springe bei ihrem Anblick auf.
  »Sie wird in Kürze hier sein«, antwortet Zamir.
  »Ich bin die Schwester«, nuschele ich. Kräftiger erlaubt es meine Stimme nicht. Ich will wissen, was los ist.

In der vorherigen Operation sei ein Fehler aufgetreten. Durch einen beschädigten Wirbel war die Isolation von Ilaydas Wirbelsäule beeinträchtigt worden. Das hatte letztendlich dazu geführt, dass ein Wirbelfragment seinen Platz verlassen hat und dabei umliegende Strukturen beeinträchtigt hat. Vor allem führte
dieser Fragment, welcher in den Rückenmark drückt, zu Schmerzen. Das erzählt die Schwester und das bereitet mir innere Schmerzen. Sie sagt, dass es ihr leid tut und dass es zu Beeinträchtigung der Motorik oder der Sensibilität führen kann.

Sie geht und mich übermannt Wut. Ein Fehler. Deren beschissenes "Ups, ein Fehler" kann meiner Schwester die Beweglichkeit oder die Gefühlswahrnehmung kosten. Ich finde keine Worte, mit denen ich beschimpfen kann. Meine Beine sind voller Kraft. Ich laufe die kurze Strecke im langen Flur auf und ab, während meine Hände zu Fäusten geballt sind. »Ein Fehler!«

»Sie wird das überstehen«, meint Zamir, der sich mir in den Weg stellt.
  Woher will der das denn wissen? »Ach, ist das so?«
  Er lässt sich nicht provozieren, nickt nur lächelnd. »Du kennst sie besser als ich. Sie ist eine Kämpferin.«
  »Sie ist trotzdem noch ein Kind«, zische ich und spüre die Verspannung in mir.
  »Beruhig dich, es wird gut gehen.«
  »Und was wenn nicht!?«

  »Dann heiratest du mich einfach nicht.«
Was? Was hat er gesagt? Was hat der Albaner gesagt? Ist das sein verdammter ernst? Ich reiße die Augen auf, so geschockt bin ich von seiner Taktlosigkeit. Das lässt die Wut in mir erst recht lodernd und knistern wie Feuer. »Du Arsch«, brülle ich und schlage ihn auf den Arm, doch das reicht mir nicht. Ich attackiere seine Brust, schlage zig mal auf ihn ein, während er dort steht wie eine Mauer. Ich schlage, bis ich keine Kraft mehr habe und dann schluchze ich und er nimmt mich in den Arm. »Beruhigt?«, fragt er und ich frage mich, ob er das absichtlich gemacht hat, damit ich meine Wut loswerden kann. Aber so sehr kann er mich doch nicht kennen, finde ich und doch weiß ich es besser.

Der Typ, der mein Verlobter sein sollWhere stories live. Discover now