03- der Typ der Papierkugeln auf mich wirft

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03- der Typ, der Papierkugeln auf mich wirft

Wir haben uns hingesetzt und ich starre wie gebannt auf mein Blatt.
Nein.
Nein. Nein. Nein. Nein. Nein!
Das kann nicht wahr sein.

Ich sehe vorsichtig in die hintere Reihe. Er sitzt in der letzten und ich die Reihe vor ihm.

»Er sitzt genau hinter mir«, flüstert Jess. Das Problem dabei ist, dass sie nicht flüstern kann und der Drecksack von Zamir wahrscheinlich alles mitbekommt- weil er verdammt noch einmal jedes Wort versteht. Dieses Arschgesicht.
Ich beiße die Zähne fest zusammen. »Das merke ich, Jess.«
Normalerweise ist sie nicht ganz so verdreht, aber heute hat sie nunmal ihre Tage.

»Der ist definitiv Albaner«, meint Zehra. Sie kann zwar flüstern, schaut aber immer wieder nach hinten. Darf ich ihren Kopf gegen den Tisch schlagen, damit die letzten Gehirnzellen sterben?

»Kann sein«, flüstere ich. So ganz nebenbei weiß ich das ja nicht. Was irgendwie komisch ist.

»Was ist los mit dir?«, fragt Jess mich.
  »Lern zu flüstern«, zische ich wütend. Höre ich da Lachen hinter mir? Bitte Boden, tau dich auf und verschlinge erst meine Freundinnen und dann Zamir.

Während ich diesen Gedanken zu ende führe, trifft mich eine Kugel am Kopf. What?
  Und dann noch eine.
»Der Neue hat Kugeln nach dir geschmissen«, sagt Zehra. Danke für die Erklärung, Schatzi.

Ich sehe mit aufgerissenen Augen nach hinten. Er schmeißt gerade noch einen Zettel, mitten in mein Gesicht.
  Ich knirsche mit den Zähnen und hebe das Teil auf. Danach werfe ich ihn meinen langjährig eingeübten Killerblick und sehe wieder nach vorne.

»Läuft da etwas?«, fragt Zehra.
  »Ich hab noch nie ein Wort mit ihm gewechselt«, sage ich. Das kann man ja auch schlecht, wenn er mir noch nie geantwortet hat. Obwohl ich ihn beleidigt habe. Scheiße. Scheiße.

Wenn er das meiner Mutter erzählt, bin ich ein halber Mensch.
  Ich knülle den Zettel auf. "Hast du es deinen Freundinnen erzählt?", steht da.
  »Was sollst du uns erzählt haben?«, fragt Jess, laut genug, dass Zamir das mitbekommen haben muss. Das sollte Antwort genug sein.

Wieso soll ich meinen Freundinnen auch von so was erzählen? Pf.

»Keine Ahnung, vielleicht hat er mich mit jemandem verwechselt«, sage ich so, dass er es auch hört.
  »Hm, komisch«, findet Zehra.
  »Zehra!«, wird sie darauf angeschrien. Ich habe mich schon gefragt, wann unser Lehrer sie wieder erwischt. Sie tut mir beinahe leid. »Hör auf, Aklima abzulenken! Raus!«

Ich stehe auf. Das ist die Chance. »Ich hab eigentlich sie abgelenkt. Also sollte ich raus.«
  Er blinzelt. »Öh, genau, raus!«
Ich nehme meine Tasche, stopfe schnell meine Unterlagen und verschwinde dann aus dem Kursraum.

Der Typ spinnt auf extremste Weise. Wie kann er sowas einfach mal so abziehen? Wir sind geheim verlobt! Geheim!
  Ich muss selbst darüber lachen. In was für einer lächerlichen Situation ich doch bin. Ich seufze und da geht die Tür wieder auf.
  Zamir kommt raus. Ist der mir jetzt raus gefolgt? Nicht das auch noch.

»Ich muss sowieso zum Direktor, wegen meinem Stundenplan«, ist das erste, was er sagt, nachdem er die Tür schließt. »Du brauchst dir also keine Sorgen machen.«
  »Gut«, bringe ich nur heraus.
  »Ist alles in Ordnung? Du siehst blass aus«, fragt er und das bringt mich beinahe zum kotzen. Er soll arrogant sein und nicht so höflich und nett, sonst kann ich mich nicht über ihn aufregen!

Warte. Doch, ich kann. »Was sollte die Aktion gerade? Mich vor meinen Freunden blamieren? Warte, laden wir doch gleich die ganze Schule auf die heiß ersehnte Hochzeit ein.«
  »Dafür, dass du kein Wort über mich gesagt hast, klangen sie ziemlich aufgeregt.«
  »So klingen sie immer«, oh man. Das hab ich nicht wirklich gesagt. »Du bist der Neue, der mitten im Jahr gewechselt hat. Das ist schon irgendwie Gesprächsthema.«

Er kratzt sich am Kinn. »Schon gut. Ist doch eh nichts schief gelaufen.«
  »Hätte aber. Misch dich ab jetzt nicht in mein Leben ein. Ich verstehe gar nicht, was du denkst, bei mir auslösen zu können, dass ich gleich zu meinen Freundinnen renne.«
  »Ich löse überhaupt nichts aus?«, fragt er verblüfft.
  »Natürlich nicht.« Außer, dass die Schafe, die ich nachts zähle, deinen Kopf annehmen.
  »Für dich ist sowas also Routine?«, will er wissen. »Wenn du mich fragst. Bei mir löst du nur eine Frage auf, nämlich, wie ich mich auf sowas einlassen konnte.«

Zamir schüttelt den Kopf. »Wer weiß, wie viele Ehen du schon eingegangen bist, um an Geld zu gelangen.«

Dann geht er.
Und ich kann ihm nicht nach, weil es schellt und der ganze Kurs den Raum verlässt. Er lässt mich mir dieser hässlichen Anschuldigung zurück.
  Das hast du verdient, denke ich und dann laufe ich mit Jess und Zehra in die Pausenhalle.

Am Ende des Schultages gehe zu meiner Schwester. Sie liegt im Krankenhaus und ist wie immer schlecht gelaunt. »Sehe ich wenigstens schön aus?«, fragt sie mich.
  »Wunderschön«, antworte ich ihr und lege ihr Blumen samt Schokolade auf den Tisch. Sie besteht immer darauf und falls ich keine bringe, nimmt sie mich nicht in das Zimmer.
  »Zumindest etwas. Wenn ich schon querschnittsgelähmt werde und mein Leben im Rollstuhl verbringen soll-«
  »Halt den Mund!«, ich muss eine furchtbare Tochter sein, wenn ich so eine Schwester verdient habe. »Du wirst operiert und dann ist alles gut.«

Sie hat beim Klettern den Halt verloren und ist runter geflogen. Jetzt steckt ein Splitter in ihrer Wirbelsäule, der sie lähmen könnte und unsere zuckersüße Krankenkasse meint, sie müsse nur einen winzigen Teil beitragen, weil die Operation nicht sein muss. Sie könnte ja nur eventuell nie wieder laufen.

Ich setze mich zu ihr und nehme ihre Hand. Ilayda ist ein Blondchen. Die braunen Rehaugen sehen mich traurig an.
Ich reiche ihr die Schokolade, damit sie endlich wieder glücklich ist.

»Anne (Mama) hat kein Geld«, sagt sie.
  »Wofür gibt es Kredite?«, versuche ich es vor ihr auf die leichte Schulter zu nehmen.
  »Sie hat ihren Job verloren. Ihr will keiner 'nen Kredit geben.«
  »Was?«

Mit einem Mal springe ich auf.
  »Du bist eine schlechte Tochter, Aklima! Du bekommst keine Scheiße mit!«
  Sie hat recht. Ilayda genießt es, in vollen Zügen, mich beleidigen zu können. »Diese Schande kannst du nur begradigen, indem du mir noch mehr Schokolade holst!«

»Morgen«, verspreche ich ihr. »Heute muss ich mit Anne (Mutter) reden.«
  Auf dem Nachhauseweg frage ich mich, wieso ich so eine schlechte Tochter bin. So etwas wie mich hat meine Mutter nicht verdient. Als ich dann vor der Wohnung stehe, will ich nicht rein. Ich kann ihr nicht ins Gesicht sehen.

Wie hat Ilayda das bemerkt und ich nicht? Die liegt doch nur nich im Krankenhaus herum. Vielleicht hatte sie wieder das Passwort meiner Mutter geknackt, was niemals schwer ist. Es ist entweder Ilaydas Geburtstag, meiner oder eben eine Mischung daraus. Und dann musste sie irgendwelche Nachrichten gelesen haben.

Das hat sie früher auch immer mit meinem Handy gemacht, um nachzuschauen, ob ich einen Freund habe. Sie meint immer, sie müsse mir einen großen Bruder spielen. Jap, sie ist gestört und- jap, ich als miese Tochter hab das alles verdient.

Letztendlich betrete ich doch die Wohnung. Meine Mutter lacht. Ist das ein Weltwunder?
  Schnell renne ich rein, um das miterleben zu können und dann stocke ich. Sie ist in der Küche und schneidet gerade einen Kuchen. Als sie hochsieht, lächelt sie mich liebevoll an. »Da bist du ja!«

Dann sieht sie wieder zu Zamir, der am Küchentisch sitzt.

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Es geht ganz bestimmt morgen weiter. Danke fürs Lesen.
-hayaleyna

Der Typ, der mein Verlobter sein sollWo Geschichten leben. Entdecke jetzt