40- der Typ, dessen Lieblingslied läuft

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40- der Typ, dessen Lieblingslied läuft

Meine Laune sinkt ins Bodenlose, als ich auflege. Ich denke daran, wie schwer es für beide Seiten sein muss. Auf der einen Seite der Vater, der sich für seinen Sohn aufgibt und nun nicht mehr nach ihm sehen kann- auf der anderen Seite der Sohn, der fest daran glaubt, dass sein Vater wegen einem Missverständnis festgenommen wurde und bald zurückkehrt.

»Wieso kommst du nicht hoch?«, reißen mich Zamirs Worte wieder in die Gegenwart. Ich drehe mich zu ihm um, während er fortfährt. »Anwesenheit wurde noch nicht kontrolliert.«

Unser Lehrer hätte nach Zamir behauptet, er müsse kopieren und würde meinen, wir sollen in Gruppen die Texte von letzter Woche besprechen. Jetzt sehen wir, wie er gerade die Schule verlässt und sich einige wenige Meter abseits stellt. Nebenbei schleichen wir uns wieder rein, ohne dass er uns bemerkt und sehen noch, wie er seine Zigarette hervorholt.

Ehrlich, wenn man so Lehrer wird, dann habe ich meine Berufung gefunden. Nur Aufgaben geben und sein Leben genießen.

»Er hat heute noch schlechtere Laune als sonst«, erklärt Zamir und will meine Hand nehmen, um mich hochzuziehen. Kurz davor weicht mein Arm zurück und er betrachtet meine Hand kritisch. »Steht dort bija ime?«
  »Nein«, behaupte ich und stecke sie in die Jackentasche.

  »Doch, zeig her«, will er unbedingt. Ich kichere und laufe vor ihm hoch. In dem Moment erst merke ich, dass es mir gefällt, ihn zu nerven. Vielleicht aus Rache, weil es ihn immer amüsiert, mich in unangenehmen Situationen leiden zu sehen. Das weiß ich nicht genau.

»Hey, Aklima«, ruft er mir nach, aber ich bin da schon im Kursraum und setze mich zu Mirjana, weil sie mich zu sich winkt. »Wir arbeiten zusammen«, erklärt sie und zeigt, was sie schon erarbeitet hat. Ihr Handy liegt auf dem Tisch. Es läuft albanische Musik.
»Zamir!«, ruft sie dann. »Setz dich zu uns. Wir sind in einer Gruppe.«

Ich wollte ihr meine Hand zeigen und fragen, was es bedeutet, aber Zamir ist zu schnell da und lässt sich auf den Platz neben mir nieder. »Was müssen wir machen?«

Sie zeigt auf das Aufgabenblatt und Zamir ließt es sich durch. »Du hast ja beinahe alles gemacht«, lacht er und ich hasse es, dass Mirjana so intelligent und schnell ist. Ich meine, hallo? Deine Gruppe ist weg, dein Lehrer ist nicht da, dann macht man alles andere als die dir gegebenen Aufgaben.

»Es war nicht wirklich schwer«, behauptet sie schulterzuckend und richtet sich dann zu mir. »Ist der Ring deiner Mutter in Sicherheit?«
  »Hm?«, mache ich und sehe sie mit großen Augen an. Ich bin überrumpelt, weil ich ganz vergessen habe, dass ich vor ihr geweint habe, als ich den Ring von Zamirs Mutter verlor. »Ja, ja ist er.«
Ich nuschele und stecke hektisch das Haar hinters Ohr.

»Welcher Ring?«, fragt Zamir.
  »Den Ring ihrer Mutter«, wiederholt Mirjana. »Sie hatte ihn verloren, aber wir haben ihn wiedergefunden.«
»Ach«, kommentiert Zamir und zieht seine eigenen Schlüsse. »Es muss ja wertvoll gewesen sein.«
»Natürlich«, bestätigt Mirjana. »Es ist schließlich der Ring ihrer Mutter. Sie hat so sehr geweint.«

Ich kann nicht mitansehen, wie Zamir mich mit hochgezogenen Brauen ansieht und weiß, dass es der Ring seiner Mutter gewesen ist. Er muss denken, dass ich unfähig bin, auf einen Ring achtzugeben. Ich presse also die Zähne zusammen, höre lieber der Musik zu, die mir ziemlich bekannt vorkommt und denke nach, wie ich das Thema wechseln kann. Dass in solchen Momenten auch immer eine Leere im Kopf ist.

»Hat sie sehr geweint?«, stochert Zamir herum und ich weiß, er genießt es. »Wie sah der Ring denn aus?«

»Die Musik ist schön«, sprudelt es aus mir heraus und beide sehen mich gleichzeitig an, weil das Thema so unpassend und wirklich sehr auffällig ist. Ich weiß jetzt, woher ich das Lied kenne. Es lief bei Zamir im Haus. Dieses perverse Lied, dessen Text ich mir nicht vorstellen sollte. Ich gehe einfach mal davon aus, dass es wieder im Radio ist und nicht in Mirjanas Musiksammlung. »Zamir, das war doch dein Lieblingslied, oder?«
Ha! Da staunst du, was?

Der Typ, der mein Verlobter sein sollWhere stories live. Discover now