05- der Typ, der angeblich mein Held sein soll

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05- der Typ, der angeblich mein Held sein soll

Mein Direktor ist ein älterer Mann, dessen Haar schon allmählich eine grauweiße Farbe annimmt. Er wirkt eigentlich immerzu streng, aber wenn er lächelt, blickt er wie ein Teddybär. Zumindest meint das Jess immer.
Jetzt aber hat er nichts von einem Teddy.

»Wie heißt du denn noch einmal?«, fragt er, während ich mich langsam aber sicher von der Starre löse. Die Lage ist mir unangenehm. »Aklima.«
»Das ist aber ein schöner Name.«
Das behauptet er übrigens jedes Mal, wenn ich ihm meinen Namen nenne. Nie kann er es sich merken.
»Danke.«

Ich spüre den bohrenden Blick von Zamir.
»Stimmt es, was er sagt?«, fragt mein Direktor nun. Ich sehe kurz zu Zamir und dann wieder zum Direktor. »Ja.«
Es ist, als würde ich Zamirs Erleichterung spüren und trotzdem ist er wütend.
»Ja, er war bei mir.«
Das klingt so falsch.
»Und was hat er bei dir gemacht, wenn ich das fragen darf?«, will er nun wissen.
Nein, darfst du nicht.
Vor allem aber darfst du keine dummen Vorstellungen haben.

»Er hat nichts schlimmes gemacht«, erkläre ich also. »Im Gegenteil. Ein Junge hat mich verfolgt und belästigt. Zamir hat das gesehen und mich sozusagen gerettet. Ich will mir nicht vorstellen, was sonst passier wäre.«
Wieso übertreibe ich so? »Man könnte sagen, er ist ein Held.«
»Ach, ist das so?«, scheint unser Direktor überrascht.
»Siehst du?«, gibt Zamir genervt von sich und verlässt den Raum, indem er die Tür fest zuknallt.

Es schellt da auch schon. »Ich sollte zum Unterricht«, flüstere ich und mache mich auf den Weg in die Sporthalle.
Ob er wirklich etwas mit Drogen zutun hat? Zumindest in der Vergangenheit muss er gedealt haben. Das hat er ja selbst zugegeben. Kann man damit so leicht aufhören?

In Sport kann ich mir weiter Gedanken machen, da Jess und Zehra in einem anderen Kurs sind. Vielleicht wäre es aber besser, wenn sie mich ablenken würden, denn nun frage ich mich, ob es dumm von mir war, zu entscheiden, ihn zu heiraten- auf Papier.
Ich kenne ihn nicht.

Meine Gedanken werden von meinem Lehrer unterbrochen, der die Hand auf meinen Kopf legt und »Eins«, sagt. Er zählt den Rest des Kurses durch und wir müssen Gruppen bilden. Erst da bemerke ich, dass Zamir auch hier ist und ich bete, dass er nicht in meiner Gruppe ist.
Gebet erhört worden. Er ist in Gruppe zwei.

»Gruppe eins gegen Gruppe zwei«, schreit mein Lehrer.
»Bei uns ist einer zu viel, ich setze mich auf die Bank«, gebe ich meiner Gruppe schnell Bescheid und bekomme einen Todesblick von meinem Lehrer.

Zamir ist aggressiv. Das ist nicht nur an seinen Gesichtszügen zu erkennen, sondern auch an seinem Spielverhalten. Er ist wütend, dass man ihm etwas unterstellt hat, was er nicht getan hat. Er war ja wirklich bei uns gewesen. Der Ball ist beinahe durchgehend bei ihm und er wirft ihn so hart, dass er kaum den Korb trifft.

Es steht gleichstand, als mein Lehrer mich von der Bank zerrt und ein anderes Mädchen aus meiner Mannschaft sich hinsetzt.
»Teamarbeit, Mirakaj!«, schreit unser Lehrer, aber Zamir realisiert gar nicht, dass er gemeint ist. Team Zwei hat den Ball. Nach einem kurzen hin und her ist er dann bei uns und Jessica passt ihn mir zu, damit ich ihn in den Korb werfe.

Da muss sich natürlich Mister Mirakaj auf mich stürzen und bei dem Versuch, mir den Ball abzunehmen, stößt er mich gegen den Boden.
Ich lande zuerst auf den Ellenbogen und dann falle ich rücklings runter. Zamir starrt mich geschockt an. Ich ihn übrigens auch. Das hat er nicht gewollt und trotzdem hat er es getan.
»Geht es dir gut?«, werde ich gefragt und ich nicke, während ich aufstehe.
»Freiwurf«, kündigt mein Lehrer an und ich mache den letzten Punkt und wir gewinnen diese Runde.

Dann behaupte ich, dass mein Arm weh tut, damit ich noch weiter auf der Bank sitzen kann.

Nachdem Sportunterricht steht Zamir vor der Turnhalle. Er lächelt schwach und kommt auf mich zu. »Ich hab auf dich gewartet, um mich zu entschuldigen.«
Reflexartig sehe ich mich zuerst unauffällig um, ob jemand in der Nähe ist. Damit mache ich eigentlich alles auffälliger als es ist. Was ist schon dabei, dass ich hier mit ihm rede, dass er sich bei mir entschuldigt?

»Eigentlich bin ich nicht so unkontrolliert«, fügt er hinzu. »Ich wollte dich auch nicht in die Sache beim Direktor reinziehen. Aber er hat gedroht, meinem Vater Bescheid zu geben und das würde alles aus dem Ruder bringen.«
»Kein Problem. Ist ja nichts passiert«, sage ich. Das ist eine Seite an mir, die ich hasse. Im Nachhinein kann ich niemandem sauer sein. Auch wenn ich es will.

»Der Direktor weiß aber nichts davon, oder?«, frage ich ihn.
Er zieht die Brauen zusammen. »Von uns?«
Ich bin nicht die einzige Person, die Sachen falsch ausdrückt. Seine Worte klingen definitiv nicht so, wie es in Wirklichkeit ist. »Nein. Er weiß, dass ich jemanden heirate, aber nicht wen.«
»Und er wird es nie herausfinden«, füge ich hinzu. »Niemand wird das. Deshalb sollten wir uns auch aus dem Weg gehen.«

Nach den Worten drehe ich mich um und will gehen, aber etwas hält mich zurück und ich blicke dann wieder zu ihm. Das letzte Mal, hoffe ich. »Vielleicht sollte ich mich auch entschuldigen, wegen den Beleidigungen am ersten Tag.«
Das ist peinlich zu sagen und amüsiert ihn. Ich hätte einfach gehen sollen. »Aber du bist auch selbst schuld. Ich meine, wieso sagst du auch nicht, dass du jedes Wort verstehst?«
»Ich denke, deine Mutter hat es gesagt, damit du mich nicht unnötig beleidigst.«
»Hat wohl nicht geklappt.«
»Scheint so.«

Und dann gehe ich wirklich.

Jess und Zehra unterhalten sich angestrengt über etwas. Wir haben jetzt zwei Freistunden. Danach hätte ich noch drei Stunden, aber da eine Doppelstunde ausfällt, lohnt es sich sowieso nicht, dass ich noch bleibe. Deshalb verabschiede ich mich von den Mädchen und steige in den nächsten Bus. Ilayda meckert herum, dass ich keine Schokolade habe, die ich wegen der Anspannung vergessen habe.

Ich gehe also noch einmal raus, damit sie nicht weint und hole ihr, was sie will. Sie ist am essen und sieht sich eine Serie an.
»Wenn du dir das reinziehst, wieso willst du dann noch, dass ich herkomme?«, frage ich sie wütend und lasse mich auf den Stuhl neben ihr nieder.
»Wenn du da bist, ist es besser«, antwortet sie unschuldig und ich nehme sie in den Arm. Sie öffnet die Decke und ich schlüpfe zu ihr ins Bett, damit wir die Serie zusammen gucken können. Nebenbei stelle ich ihr dutzend Fragen, damit ich alles verstehe.
»Dieses Miststück!«, ruft sie. »Wie kann sie sich für ihn entscheiden!«

»Du musst nach Hause«, erklärt sie mir irgendwann.
»Sag mir nicht, dass ich dir Bobby, den Bären bringen soll. Ich hab dich gestern extra gefragt, ob du ihn mithaben willst.«
Sie schüttelt den Kopf und greift wieder in die Chipstüte. »Anne (Mama) will gleich kommen. Sie darf aber nicht.«
»Und wieso?«
»Weil sie sonst zu spät zu ihrem Vorstellungsgespräch kommen könnte. Das willst weder du noch ich.«
»Was?«

Sie verdreht die Augen und sieht wieder auf den Bildschirm. »Was bist du für eine Tochter, dass du das nicht weißt? Bin ich die Ältere oder du?«
Ich stehe auf. »Schön, dass du es so spät sagst, wenn ich den Bus verpasse, ist alles aus!«
»Ich hab auf die Uhr geschaut, wenn du jetzt rausgehst, verpasst du gar nichts. Also los.«

Sie hat recht. Ich komme rechtzeitig zu Hause an und dasselbe Szenario wie gestern findet vor meinen Augen statt. Wie ein Witz.
Meine Mutter und Zamir sitzen am Küchentisch.
»Anne (Mama), was ist mit deinem Vorstellungsgespräch?«, frage ich sie und werfe Zamir dabei Todesblicke, die ihn leider nicht umbringen. Wieso verdammt ist er dieses Mal hier?

»Ich will zuerst ins Krankenhaus. Vor der OP will ich bei Ilayda sein«, antwortet meine Mutter leichtsinnig.
»Dann kommst du zu spät.«
»Nein nein. Ich schaffe das.«
»Anne! Ilayda stirbt schon nicht, wenn sie dich kurz davor nicht sieht. Ich bin da.«

Sie blickt auf die Uhr. »Wenn du jetzt rausgehst, schaffst du es nicht.«
»Doch, Ilayda hat alles geplant.«
»Nein, tust du nicht.«
»Ich kann dich bringen«, schlägt Zamir vor und mein Blick wandert sofort zu ihm.

Der Typ denkt echt, er wäre ein Held.

Der Typ, der mein Verlobter sein sollOnde histórias criam vida. Descubra agora