02- der Typ der verdammt noch einmal jedes Wort versteht

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02- der Typ, der verdammt noch einmal jedes Wort versteht

Ich kann nicht schlafen. Die Situation ist unrealistisch genug, da müssen nicht auch noch tausend Fragen durch meinen Kopf schwirren. Morgen werde ich eine Menge Kaffee brauchen, um das runter zu schlucken.

Ich wälze mich im Bett umher, doch das bringt genauso wenig wie das Zählen von Schafen. Die Schafe schummeln immer nur und springen alle gemeinsam über den Zaun. Wie soll ich sie da zählen?

Ich gebe letztendlich auf, als die Schafe den Kopf von Zamir annehmen und drücke mein Kissen gegen mein Gesicht. »Er hat mich nicht verstanden!«

Als ich dann irgendwann doch einschlafe, ist es ziemlich spät und deshalb bin ich so müde, dass ich meinen Wecker am nächsten Morgen mit dem Kissen erschlage. Dieser landet daraufhin ziemlich unsanft auf dem Boden.
Er ist wahrscheinlich kaputt,
Meine Mutter wird stolz auf mich sein.

Ich hebe ihn auf und mache mich dann fertig.
»Flechtest du mein Haar?«, frage ich meine Mutter, als ich die Küche betrete. Sie ist gerade dabei eine Wasserflasche in ihre Tasche zu packen. »Ich hab echt keine Zeit.«
»Ach bitte. Du weißt, ich kann das nicht.«
Als sie aufsieht, merkt man, wie Zorn in ihren grünbraunen Augen funkelt. »Du hast ihn wirklich nicht beleidigt?«
Wow. Dass sie immer noch bei dem Thema ist.

Ich werfe das rotbraune Haar zurück, welches mir zur Brust reicht und setze mich provokant auf einen Stuhl. »Annecim (Mutter), genauso wie wir keine Schulden haben, genauso wie du die Miete zahlen konntest und dir nicht gedroht wurde, aus dieser Wohnung rausgeschmissen zu werden, genauso habe ich den Typen gestern nicht beleidigt.«
»Zamir«, korrigiert sie mich. »Nenn ihn nicht "der Typ". Das ist unhöflich.«
Man könnte denken, er wäre ihr Sohn und nicht ich ihre Tochter.

»Nur weil er die Krankenhauskosten übernimmt, heißt das nicht, dass er ein Prinz auf einem weißen Ross ist. Das ist Geben und Nehmen«, zische ich und schaue aus dem Fenster. Mein Gesicht wird darauf gespiegelt. Das herzförmige Gesicht, die grünbraunen Augen, eine Stupsnase und kleine Lippen, egal wie sehr ich meiner Mutter äußerlich ähnele, bin ich innerlich ganz mein Vater. Also unausstehlich frech, aber meine Mutter liebt mich trotzdem. Wie ihn.

»Iss dein Brot und komm nicht zu spät«, sagt sie wütend. »Und geh Ilayda nach der Schule besuchen!«
»Kommst du mit?«
»Nein, keine Zeit.«
»Sag doch gleich, dass du betteln musst, um nicht rausgeschmissen zu werden.«
Sie wirft mir einen zornfunkelnden Blick zu und geht dann aus dem Haus.

Ich fahre mit dem Bus, der sich als Hobby verspätet. Es dauert exakt 16 Minuten bis ich dann in der Schule bin und dann die ganzen Treppen hochsteigen muss. Meine Lehrerin bemerkt nichts. Sie beantwortet gerade irgendeine Frage eines Schülers, als ich leise die Tür öffne und mich auf meinen Platz setze.

»Wenn ich zu spät komme, merkt es die halbe Welt«, beschwert sich Zehra, während ich meine Biologieunterlagen herauskrame.
»Aklima hat immer Schweineglück«, fügt Jess hinzu.
»Wieso werde ich immer mit Schweinen verglichen?«, frage ich beide ernst und sehe beleidigt in eine andere Richtung.

Einige Mädchen sind ständig am Handy, tippen, zeigen Bilder herum, tuscheln. Diese Lehrerin merkt auch nichts. Außer wenn Zehra zu spät kommt. Das merkt sie immer.
»Die Aufregung gilt dem neuen Schüler«, erklärt Jess.
»Was?«, frage ich sie.
»Wir haben einen neuen Schüler und das mitten im Jahr. Es wird herumgesprochen, er wäre von der letzten rausgeflogen.«
»Jetzt bleibt nur noch die Frage- warum«, kommentiert Zehra und wippt dabei mit den Schultern.

»Zehra, stör den Unterricht nicht«, schreit unsere herzallerliebste Biolehrerin und Zehra zuckt zurück. »Tut mir leid.«

In der Pause müssen wir rennen, um Jess ihren Lieblingscappuccino zu holen. »Die von der Schule sind nicht so gut«, sagt sie dann immer und zerrt uns deshalb raus.
»Das war's wohl mit deinem Schweineglück«, meint Zehra, als wir die Schule betreten und kaum noch jemand in der Pausenhalle ist.
»Wird schon«, versucht Jess und ich habe den Drang, ihr den Cappuccino über das Haar zu kippen.

Wir laufen wieder hoch und überlegen uns, ob wir nicht lieber schwänzen sollen, weil unser heiß ersehnter glatzköpfige Mathelehrer einen immer an der Tafel rechnen lässt, wenn man zu spät kommt. Das trifft dann eigentlich immer Zehra, das Opferchen.

Von drinnen hört man, wie der Lehrer etwas ankündigt und Jess reißt sofort die Klinke herunter. »Der Neue!«, sagt sie dabei und ich überlege hier heute das zweite Mal den Cappuccino über den Kopf zu gießen.

»Wow, die Damen beehren uns also auch noch einmal«, setzt unser Lehrer klischeehaft an. In diesem Moment begegne ich dem Blick unseres neuen Schülers und ich verharre in meiner jetzigen Position. Ich konnte nicht schlafen. Deshalb träume ich so eine kranke Scheiße. Da ist alles.

»Unser neuer Schüler wollte sich gerade vorstellen«, beendet unser Mathelehrer seine Rede.
»Muss ich das jetzt in jedem Kurs wiederholen?«, fragt er genervt. »Ich bin Zamir Mirakaj und bin neu hergezogen.«

Kann es sein, dass man an einem Tag Deutsch lernt? Geht das? Ist das möglich? Wieso verdammt noch einmal spricht er Deutsch?

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Denke, dass morgen das nächste Kapitel kommt. Danke fürs Lesen.
-hayaleyna

Der Typ, der mein Verlobter sein sollWhere stories live. Discover now