06- der Typ, der es auf mich abgesehen hat

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06- der Typ, der es auf mich abgesehen hat

»Das wäre toll!«, meint meine Mutter sofort. Sie strahlt förmlich.
  »Ich kann doch wohl in einen Bus steigen und ins Krankenhaus«, entgegne ich.
  »Entweder er oder ich bringe dich, Aklima. Entscheide dich«, sagt sie und grinst dabei vielsagend.
 
Daher sitze ich in dem Wagen des Typen, der viel zu oft bei mir zu Hause ist und verschränke die Arme. Es riecht nach Duftspray und etwas schwächer nach Zigaretten. »Wieso warst du bei uns?«
  Er will etwas sagen, stoppt dann und startet den Wagen.
  »Ich hab dir noch heute gesagt, dass wir uns aus dem Weg gehen sollten.«

»Du warst nicht im Unterricht«, antwortet er mir schließlich. »Deine Freundin meinte dem Lehrer, es würde dir nicht gut gehen.«
  Was? Ich sehe ihn überrascht an, während er starr nach vorne blickt. Das hab ich nicht erwartet. Dass er kommt, nur weil es mir nicht gut geht. Er hat sich Sorgen gemacht.

»Ich hatte ein schlechtes Gewissen«, fügt er dann hinzu. »Weil es wegen Sport sein kann.«
  »Ach-so«, bringe ich hervor und sehe schnell wieder auf die Straße. Peinlich berührt streiche ich dabei Haar hinters Ohr. 

»Danke fürs Fahren«, nuschele ich noch, als ich aussteige. Zamir steigt auch aus und meint, mich begleiten zu müssen.
  »Wie stellst du dir das vor? Ilayda soll dich nicht sehen«, erwidere ich und laufe in Richtung Krankenhaus.
  Er will etwas erwidern, aber eine Frau macht ihn da darauf aufmerksam, dass er den Wagen nicht abgeschlossen hat.

»Bin da«, sage ich, als ich Ilaydas Raum betrete. Sie hat geweint, das ist nicht zu übersehen. »Ich hab nur was im Auge gehabt.«
  »Ja natürlich«, gebe ich von mir. »Es gibt auch keinen Grund, traurig zu sein. Keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Sieh mal, wer hier ist.«
Ich öffne meine Tasche und zerre aus ihr Bobby, den Teddybären.
  »Bobby!«, ruft sie und schlingt ihre Arme um ihn. Egal, wie oft sie behauptet, für den Teddy zu alt zu sein, sie liebt und braucht ihn.

Ich fange mir erst an, Sorgen zu machen, als sie dann operiert wird. Das Schlimme ist, dass ich nichts anderes tuen kann, um mich abzulenken. Warten. Warten. Warten.

Ein Pappbecher Cappuccino wird auf den Tisch neben mir gelegt und gleichzeitig setzt sich Zamir zu mir.
  »Ich hab dir gesagt, du sollst nicht kommen«, erinnere ich ihn. Egal, was ich sage, der Typ macht das Gegenteil- und dann wird gesagt, wir Frauen seien kompliziert.

»Nein, du hast gesagt, Ilayda soll mich nicht sehen.«
  »Damit war aber gemeint, dass du gehen sollst. Ist das nicht klar? Du hast mich hergebracht. Danke. Aber jetzt solltest du wirklich nach Hause.«
  Er nimmt einen Schluck von seinem Kaffee. »Das schickt sich nicht. Wenn deine Mutter dich mir anvertraut hat, sollte ich hier bleiben.«

  »Wow. Gentleman mit guten Manieren.«
Ich verdrehe die Augen und nehme dennoch einen Schluck vom Cappuccino.
  »Ich gehe kurz eine rauchen«, gibt er Bescheid und geht dann. Ich sehe ihm nach und frage mich, wieso er so eine Anstalt macht, Manieren zu zeigen. Es kann ihm egal sein. Es soll ihm egal sein.

Ich will noch einen Schluck nehmen, aber natürlich muss ich den Becher verschütten und bekomme etwas auf meine Hose. Toll. Ich gehe also runter und versuche es rauszuwaschen. Es klappt nur nicht. Danach könnte ich wieder hoch, aber ich gehe raus und will ihn dazu bringen zu gehen. »Meine Mutter kommt gleich. Sie hat mir geschrieben.«
  Er sitzt auf einer Erhebung und ich tue es ihm gleich.
  Ich mag den Qualm von Zigaretten nicht. Mein Vater ist wegen seiner schlechten Lunge gestorben. Vielleicht deshalb.

»Dann bleibe ich, bis sie kommt«, ist er der festen Meinung.
  »Mein Vater hat auch früher immer geraucht. Er hat zwar aufgehört, bevor er gestorben ist. Aber im Endeffekt war es zu spät.«
  »Das tut mir leid«, sagt er. Ich spüre seinen Blick intensiv, während ich starr nach vorne sehe, in Erinnerung schwelgend. Wenn ich an meinen Vater denke, höre ich meine kindliche Stimme lachen. Als er da war, war das Leben einfacher, schöner, lebenswerter. Dass ich Erinnerungen an ihm habe, ist so kostbar, dass mir Ilayda leid tut. Für sie sind die Bilder unseres Vaters in ihrem Kopf nur wage Umrisse einer mal da gewesenen Erinnerung.

»Wie hat er aufgehört?«, fragt Zamir und wirft die Zigarette auf den Boden, wo er sie austritt.
  »Wegen mir«, antworte ich und muss lächeln. »Als meine Mutter schwanger wurde, meinte er, dass er dieses kleine Leben nicht gefährden will.«
  Es gibt eine kurze Stille. »Vielleicht sollte ich das auch tun«, meint Zamir und lächelt dabei. Es ist immer dasselbe mit seinem Lächeln. Zuerst ist es schief, er zieht den rechten Mundwinkel hoch und erst kurz danach gleitet der andere ebenfalls hoch. »Dich als Motivation nehmen, meine ich.«

Ich hebe beide Brauen und wir lachen beide. »Das wird's bringen«, sage ich sarkastisch.
  »Wer weiß.«

Er steht auf und will mir die Hand reichen, weil er ja so ein toller Gentleman ist, aber er rutscht ab und fällt auf mich, woraufhin ich zerquetscht werde. Natürlich muss ich wieder auf meinen Ellenbogen landen, weshalb dort definitiv blaue Flecken entstehen werden.
Wie viel wiegt der Typ?

Er stützt sich mit den Händen ab und sieht mich mit aufgerissenen Augen an. »Geht es dir gut?«
  Natürlich, du hast mich nur gerade mit deinem Gewicht erdrückt. »Das hast du absichtlich gemacht, oder?«, frage ich und stütze mich auf. Das ist aber nicht gut, weil ich so näher an ihm bin. »Du hast es auf mich abgesehen.«
  Wieso steht er nicht auf?

Er lacht auf, statt von mir runter zu gehen und ich verkneife mir zu grinsen. »Hör auf damit und geh von mir runter.«
  »Was, wenn nicht«, kommt er mir näher mit seinem Gesicht. Grüne Augen, viel zu nah, viel zu intensiv.
  »Sonst-«, beginne ich meinen Satz, werde aber von einem Räuspern unterbrochen.
  »Störe ich?«, fragt meine Mutter und mit einem Mal richten wir uns beide auf.

»Ich- bin auf sie gefallen«, erklärt Zamir.
  »Das hab ich gesehen«, erwidert meine Mutter mit einem falschen Lächeln. »Als ich aus dem Wagen gestiegen bin, hab ich es gesehen. Dann bin ich bis hierher gelaufen und du bist trotzdem auf ihr.«

Shit happens.

Der Typ, der mein Verlobter sein sollWhere stories live. Discover now