Kapitel 45

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Aiden

Noch nie habe ich das Krankenhaus so leer gesehen. Auf meinem Weg zur Intensivstation bin ich bisher noch einem einzigen Arzt begegnet. Ansonsten ist da niemand und es ist so still in den Gängen, sodass ich meine eigenen Schritte klar und deutlich hören kann, wodurch mir
der Weg durch das Krankenhaus  länger als je zuvor erscheint.

Vor Erics Zimmer atme ich nochmal tief durch, bevor ich vorsichtig die Tür öffne.

Das Geräusch von Erics Herzmonitor ist das Erste, das ich wahrnehme und es beruhigt mich seinen Herzschlag zu hören.

Mein Blick fällt zuerst auf Eric, der immer noch nicht aufgewacht ist und kaum atmet und dann auf Evelyn, die ebenfalls schläft. Ihr Kopf ruht auf ihrem linken Arm, den sie auf Erics Bett ausgebreitet hat und ihre rechte Hand hat sie mit Erics verschränkt.

Leise laufe ich zu ihr ans Bett und berühre sie sachte an der Schulter, um sie aufzuwecken.

Langsam öffnet sie die Augen und sieht mich an. Ihre Augen sind leicht gerötet, wodurch ich erkennen kann, dass sie geweint hat.

,, Hi."

Evelyns Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern und ihre Stimme wirkt gebrochen, so als ob sie jeden Moment wieder in Tränen ausbrechen wird.

,, Hi."

Meine Stimme klingt auch nicht viel besser und ich versuche es zu überspielen.

Evelyn setzt sich langsam auf und wendet ihren Blick Eric zu, wodurch ihr Blick noch verzweifelter wird.

,, Ich hatte so gehofft, dass er aufwacht."

Sie löst ihre Hand vorsichtig von seiner, während ihr erste Tränen die Wangen hinunter laufen.

,, Er wird aufwachen," versuche ich uns beide zu beruhigen.

Evelyn nickt kaum merkbar und dann sieht sie mich wieder an. Mein Blick ist allerdings immer noch auf meinen Bruder gerichtet, dessen Brust sich kaum noch hebt und senkt. Ich spüre wieder die Panik in mir aufsteigen und diesen Kloß im Hals, der die letzten Jahre nie da gewesen ist.

Meine Hoffnung, dass Eric es schaffen kann, wird immer schwächer und ich selbst fühle mich gerade extrem nutzlos, weil ich nichts dagegen tun kann.

So hilflos habe ich mich noch nie gefühlt.

Am liebsten würde ich Eric jetzt anschreien. Ihn zwingen,  aufzuwachen und mich jetzt nicht im Stich zu lassen. Ich würde am liebsten solange an ihm rütteln, bis er aufwacht , doch das alles wäre zwecklos. Er würde nicht aufwachen.

Ich senke den Kopf und verliere endgültig die Hoffnung. Nur eine einzige Sache hindert mich daran, hier und jetzt zusammenzubrechen, nämlich Evelyns Hand in meiner.

Sachte hat Evelyn meine Hand genommen und sich mit der Anderen an meinen linken Arm geschmiegt.

,, Ja. Er wird aufwachen," verspricht sie mir und schenkt mir trotz ihrer Tränen ein aufmunterndes Lächeln.

Ich habe keine Ahnung, wie sie es macht, aber plötzlich spüre ich, wie ich mich automatisch beruhige und die Hoffnung langsam zurückkehrt.

Ich verschränke ihre Hand mit meiner und genieße diese Kraft, die sie mir dadurch gibt.

Nie hätte ich gedacht, dass mir die Nähe zu einem Menschen mal so wichtig werden wird.

Lange stehen wir beide einfach nur da. Die Hände ineinander verschränkt und auf ein Zeichen wartend, dass Eric aufwachen wird, doch das tut er nicht.

Nach einer Weile öffnet sich die Tür und Evelyns Vater tritt leise herein. Er bittet Evelyn mit nach Hause zu gehen, um noch ein bisschen zu schlafen.

Evelyn weigert sich zunächst, da sie bei Eric bleiben will, doch ich kann nicht mit ansehen, wie müde sie ist, also nehme ich ihr Gesicht in meine Hände und flehe sie an, auf ihren Vater zu hören und mit zu gehen. Widerwillig stimmt sie schließlich zu.

Sie drückt sich nochmal kurz an mich, wodurch ich meine Stirn an ihre lege und die Augen schließe.

Wenige Minuten später sind Evelyn und ihr Vater gegangen und ich setze mich auf den Stuhl neben Erics Bett und beobachte meinen Bruder.

Noch immer sind seine Augen geschlossen, sein Herzschlag unregelmäßig und auch das Heben und Senken seiner Brust kann man kaum noch erkennen.

Ich atme niedergeschlagen aus und versuche mich wieder zu beruhigen, doch ohne Evelyn ist das gar nicht mehr so einfach.

Wieder lausche ich Erics unregelmäßigen Herzschlag und versuche die Hoffnung nicht aufzugeben.

Schließlich sehe ich Eric wieder an und rede einfach drauf los. Ob er mich hören kann, weiß ich nicht aber ich glaube daran.

,, Du hörst mir jetzt mal zu Eric! Du baust jetzt kein Scheiß, indem du mich und Evelyn hier einfach sitzen lässt und den Löffel abgibst.Du wirst jetzt die Augen aufmachen und mich ansehen und mir eine Moralpredigt halten. Wie dumm es doch von mir war, meinem Arschloch von Kumpel den Arsch retten zu wollen und dann in so ne Scheiße reingeritten zu werden. Dann wirst du aufstehen und wir werden gemeinsam nach Hause zu Evelyn gehen. Du wirst dein Abschluss machen und nach Harvard gehen und danach dein Leben in vollen Zügen auskosten. Aber dafür musst du jetzt auch aufwachen, verdammt!"

Der Rest bleibt mir kurz im Hals stecken, da ich nicht mehr weiter sprechen kann. Dieser Kloß in meinem Hals hat jetzt endgültig die Oberhand gewonnen.

,, Bitte, Eric. Tu mir den Gefallen und wach auf....Du kannst mich jetzt nicht einfach hängen lassen. Ich brauche dich verdammt nochmal."

Nichts. Kein Bewegung. Kein Zucken hinter den Augen. Nichts.

Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und kämpfe mit ersten Tränen.

Als ich mich wieder von meinen Händen löse, wende ich mich wieder Eric zu.

,, Du hast es mir versprochen, Eric! Versprochen, dass du mich nicht alleine lässt!  Blutsbrüder für immer hast du gesagt! Also halt dieses Mal dein Versprechen und tu mir das nicht an!"

Wieder nichts.

,, Bitte Eric," flehe ich, doch vergebens.

Es fühlt sich an, als würde gerade alles zusammenbrechen.

Die Hoffnung verlässt mich und ich stehe auf. Laufe zum Fenster und sehe hinaus in die Ferne. Ich schließe die Augen und spüre den Schmerz.

Den Schmerz etwas zu verlieren, was niemand mehr ersetzten kann.

Und gerade in diesem Moment, in dem all meine Hoffnung verloren scheint, höre ich eine Stimme, die mir vertrauter ist, als alles andere.

Nur ein Flüstern und dennoch alles, was ich höre.

,,Ich werde dich nicht nochmal alleine lassen."

Mit jedem HerzschlagWhere stories live. Discover now