01 Entlassung (Gegenwart)

87 9 21
                                    

Das blonde Mädchen mit den violetten Augen war ganz aufgeregt. Endlich, nach beinahe drei Monaten Rehabilitation, würde sie aus dem Krankenhaus entlassen werden. Sie hatte diesen Tag in den letzten Wochen so sehr herbeigesehnt, doch jetzt, da ihre Entlassung so kurz bevorstand, überkam sie eine beinahe betäubende Aufregung.

Takashi, der großgewachsene Pfleger mit den kurzen, schwarzen Haaren, hatte sie deswegen vorgewarnt. Er war in den vergangenen Monaten zu einem sehr engen Freund geworden und sie würde ihn bestimmt sehr vermissen, wenn sie sich nicht mehr beinahe jeden Tag sehen würden. Zum Glück hatten sie ihre Handynummern ausgetauscht, damit sie sich schreiben konnten.


Yui Masuda, gekleidet in kurze, braune Hosen und ein hellgrünes T-Shirt, betrachtete die gepackte Tasche, welche neben ihr auf dem Bett stand. Ganz oben lag „Der Hobbit" von Tolkien. Dieses Buch hatte so viel für sie getan. Sie liebte es jetzt noch mehr als zuvor, was sie niemals für möglich gehalten hätte. Sie hatte es sogar ein weiteres Mal gelesen, während sie hier war.

Ihre linke Hand wanderte zu ihrem Halstuch, das ihre Schwester Yuna ihr ins Krankenhaus gebracht hatte. Sie zog es sich zum wiederholten Male vom Hals, drehte es in den Händen, faltete und rollte es, um es sich dann erneut umzubinden. Mit ihren Fingerspitzen strich sie sich nervös durch die langen, blonden Haare.

Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche und checkte die Uhrzeit. Nur noch ein paar Minuten. Das Mädchen steckte das Gerät zurück in die Tasche und legte ihre rechte Hand auf ihre Brust. Ihr Herz pochte schnell darin.

Die Blonde schaute sich noch ein Mal in ihrem Zimmer um. Beinahe vier Monate war dieser Raum ihr Zuhause gewesen, doch nun zog sie zu ihrer älteren Schwester in die Pension. Sie war darauf gespannt, wie das Zusammenleben mit Ayumi und Wataru laufen würde.


Für einen kurzen Moment tauchten die Gesichter von den Menschen, die sie liebte, vor ihrem geistigen Auge auf. Vater und Mutter. Ihre kleinen Schwestern Mai und Ayu. Doch ihre Familie existierte nicht mehr. Selbst ihr Freund und „Onkel" Yoshiro hatte diese Welt verlassen. Das Herz wurde ihr schwer bei dem Gedanken. Sie hatte so viele Dinge verpasst. So viel war geschehen, so viel hatte sie verloren, doch zum Glück hatte sie ihre geliebte Schwester Yuna noch.

Yui konzentrierte sich auf die fröhlichen Gedanken, so hatte sie es in der Therapie gelernt. Ihr wurde beigebracht mit dem Schmerz zu leben und Midori Omura, ihr zukünftiger Vormund, hatte ihr versichert, dass er irgendwann vergehen würde. Vielleicht würde es einige Jahre dauern, doch irgendwann würde es besser werden.

Es klopfte an ihrer Zimmertür.


„Ja." Gespannt richtete sie ihren forschenden Blick auf die Tür.


Es klopfte erneut, doch dieses Mal in einem Code. Die Blonde kicherte erheitert und klopfte ihre Antwort auf den Nachttisch neben ihrem ehemaligen Bett. Die Tür wurde geöffnet und Takashi schob einen Rollstuhl vor sich her in das Zimmer.


„Bist du bereit, Frodo?", fragte der großgewachsene Pfleger grinsend.

„Also wenn schon, bin ich Bilbo. Frodo ist mir zu kindlich."

„Aber dann kann ich gar nicht Bilbo sein."

„Du bist ja auch ... Gimli."

Angewidert verzog er die Mundwinkel. „Ich bitte dich. So garstig bin ich nicht."

„Willst du lieber Gollum sein?"

„Okay, okay. Ich bin Gimli. Dann schwinge deinen Halbling-Arsch in den Rollstuhl, damit wir nach Mordor fahren können. Warum auch immer Bilbo dorthin will." Der Schwarzhaarige lachte.

Onijägerin Yuna 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt