11. Mein Lieblingsort

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"Ach irgendwie werde ich das schon schaffen.", sagte ich und schaltete mein Handy aus, wo ich gerade noch das Internet nach Info's durchforstet hatte. So und was jetzt? Ich hatte echt keine Lust eine Stunde hier rum zu sitzen und darauf zu warten, zum Training meiner Brüder zugucken zu 'dürfen'. Wie schon erwähnt, fand ich Football nämlich nicht wirklich interessant.

"Soll ich dir mal meinen Lieblingsort zeigen?", sagte er und blickte mich fragend an. Was meint er damit?
Ich schaute ihn verwirrt an und er grinste nur.

"Warte, ich zieh mir nur schnell was anderes an und dann gehen wir los.", sagte er und lief zu seinem Kleiderschrank, während er schon sein T-Shirt über den Kopf zog. Jetzt stand er oberkörperfrei vor seinem Schrank und kramte darin herum. Wie ich jetzt zum ersten mal sehen konnte, hatte Mailo auf seiner Schulter viele kleine Tattoo's, die zusammen aber aussahen, wie ein großes. Als er sich umdrehte und ein dünnes langärmliches Shirt anzog, erkannte ich, dass diese Tattoo's sich auch über seine durchtrainierte Brust zogen. Jetzt bedeckte das Shirt diese aber wieder.

"Mach ein Foto, das hält länger.", lachte er. Es war mir verdammt unangenehm so gestarrt zu haben, weswegen ich augenblicklich wieder rot wurde.

"Denk dir doch mal einen eigenen Spruch aus!", schnaubte ich und stand von seinem Bett auf. Er schnappte sich noch eine Strickjacke und hielt mir die Tür seines Zimmers auf. Wir liefen nach unten, zogen unsere Schuhe an und gingen nach Draußen. Wir durchquerten den riesigen Hintergarten und blieben kurz an einem zierlichen Tor stehen. Es grenzte zum Wald und sah schon etwas älter aus. Mailo öffnete dieses und ließ mich durchtreten.

Sobald die Schatten der Bäume auf uns fiel, wurde mir kalt. Die Wärme des kommenden Sommers war wie verflogen und ich schlang meine Arme um den Körper. Mailo reagierte ohne das ich was sagen musste und legte mir seine Strickjacke, welche er immer noch in der Hand hielt, um die Schultern. Ich zuckte etwas zusammen, weil ich dies nicht kommen gesehen hatte. Eigentlich hätte ich diese Geste niemals angenommen, doch da mir wirklich sehr kalt war, ließ ich es über mich ergehen. Ich blickte fragend zu ihm hoch.

"Ist dir nicht selber kalt?", wollte ich wissen.

"Erstens habe ich mir ja etwas längeres angezogen, zweitens ist mir fast immer warm und drittens hatte ich die Jacke eh nur für dich mitgenommen, weil ich wusste das dir kalt werden würde.", sagte er und lächelte nur zu mir runter. Warum macht er sich so viele Gedanken über mich? Ach das spielt er bestimmt nur vor.

Wir liefen noch ein paar Minuten über einen kleinen Waldweg, bis wir an einen abgelegenen Teich kamen.

"Da sind wir.", sagte er und guckte mich von der Seite an. Ich jedoch ließ meinen Blick über die kleine Lichtung schweifen und dieser hielt an einem alten Baum an. Es war der größte von denen, die am Teich standen. Er hatte die dicksten Äste, das meiste Efeu und den hübschesten Standort. Dieser stand nämlich auf einen Erhöhung, wodurch der Baum nur noch größer wirkte. Mailo folge meinem Blick und grinste.

"Das ist echt ein toller Baum. Komm mit." sagte er, nahm meine Hand und führte mich zu diesem Baum. Von Nahem wirkte er noch viel größer als vorher schon und nein, ich weiß nicht ob ich gerade von dem Baum oder von Mailo spreche.

Er trat geschickt auf bestimmte Äste und hielt sich am Efeu fest, bis er auf einem sehr breiten Ast stand. Mailo reichte mir seine Hand und half mir beim hochkommen, damit ich kleiner Trampel es auch bis nach oben schaffte.

Wir setzten uns auf den Ast, welcher alleine schon so breit wie ein normaler Baumstamm war und blickten auf den Teich. Das Wasser war klar und glitzerte unter dem Sonnenlicht. Mehrere Seerosen waren darauf verteilt und trieben vor sich hin. Vögel zwitscherten aus anderen Baumkronen heraus und duellierten sich, wer besser singen konnte.

Während ich mich auf der Lichtung umsah, kramte Mailo neben mir in einem kleinen Baumloch und holte ein schmuddeliges altes Buch heraus. Er putzte es etwas mit seiner Hand ab und sah wieder zu mir.

"Schon seit ich klein bin komme ich immer wieder hierher und fange an zu zeichnen. Ich verstecke das Buch immer hier im Baumstamm und deswegen sieht es auch schon so aus, wie es aussieht.", er blickte wieder auf das Buch und wirkte so, als würde er sich an alte Zeiten zurück erinnern.

"Darf ich mal sehen?", fragte ich und schaute ihm in seine Augen. Im Licht des Waldes wirkten sie viel grüner, als sie es eigentlich waren.

"Klar.", sagte er und reichte mir das Buch.

Am Anfang des Buches, waren es noch relativ kindliche Kritzeleien doch gegen Ende hin, wurden die Bilder richtig gut. Nein warte, ich untertreibe. Am Ende waren sie einfach nur noch Hammergeil. Was würde ich nur alles dafür tun, um so gut zeichnen zu können.

"Ich hab das noch nie jemandem gezeigt. Sowohl das Buch, als auch meinen Platzt.", sagte er und ich reichte ihm das Buch zurück. Kann ich echt verstehen. Wenn ich so einen hübschen Platzt gefunden hätte, würde ich es auch niemanden sagen. Aber warum zeigte er ihn ausgerechnet mir. Das ergab keinen Sinn. Im generellen ergab dieser Junge hier keinen Sinn.

Wir saßen dort noch einige Minuten, beobachteten die Fische im Wasser und hörten den Vögeln zu, bis wir uns wieder Richtung Haus begaben und zu dem Training fuhren. Ich war echt froh das ich mir Kopfhörer mitgenommen hatte, denn dieses komische Training ging über zwei Stunden.

Die meiste Zeit habe ich wie gesagt Musik gehört oder Instagram und Twitter gesuchtet. Ab und zu viel mein Blick aber auch auf meine Brüder und selten auch zu Mailo. Zu Beginn haben sie nur irgendwelche Aufwärmübungen und Krafttraining gemacht, aber die letzte Stunde haben sie wirklich aktiv gespielt. Da ich schon lange nicht mehr zugeschaut hatte, fiel mir auf, wie sehr meine Brüder sich verbessert hatten. Zwar habe ich keine Ahnung von Football, aber das würde selbst ein Blinder erkennen.

Was ich ebenfalls bemerkte, war das Mailo viele Touchdowns machte. Da aber vor allem Sam dies auch schaffte und sie in gegnerischen Teams waren, war das Spiel relativ ausgeglichen. Ganz am Ende kam dann auch noch Enzo auf die Tribüne. Er spielt ja schon seit längerem kein Football mehr und ich nehme an, das er von Zuhause kam.

Als es endlich vorbei war, gingen meine Brüder in die Umkleide, wo sie sich duschten und umzogen. Während Enzo schon in seinem Auto wartete, blieb ich vor der Umkleide stehen und wartete hier. Ich hatte eh keine Ahnung bei welchem Bruder ich mitfahren sollte also wollte ich sie einfach vor der Kabine abfangen.
Als ich jedoch die Stimme von Lance vernahm, wurde ich hellhörig.

"Bleib gefälligst von unserer kleinen Schwester fern, oder du wirst noch dein blaues Wunde erleben!"

Prudence Where stories live. Discover now