50. Rasende Herzen

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Nun saß ich alleine da. Draußen war es schon stockdunkel. Außer mir waren sonst nur die Empfangsdame und ein bedrückt wirkender alter Mann in diesem Raum. Die einzigen Geräusche, welche den Raum erfüllten waren entweder das Klicken der Tastatur oder die Schritte von Ärzten, welche schnell von einer Tür zur Anderen liefen. Wie ging es Mailo jetzt? Was wäre passiert, wenn ich ihn nicht gefunden hätte? Warum hatte er sich eigentlich so stark verletzt? War ich vielleicht sogar daran schuld?

All diese Fragen schwirrten durch meinen Kopf und bereiteten mir langsam Kopfschmerzen. Vor allem die Unklarheiten brachten mich fast um den Verstand. Ich lief zu dem kleinen Kaffeeautomaten um mir erneut eine heiße Schokolade zu holen. Nach einer gewissen Zeit holte ich mir noch einen. Und dann noch einen.

Ich war gerade bei meinem sechsten Kakao als Alasha wieder den Raum betrat. Sie kam auf mich zu und stellte sich vor mich. Schnell leerte ich den Becher und stand auf.

"Das fünfte Zimmer rechts.", sagte sie knapp und ließ sich abermals auf einen der Stühle sinken. Ich hingegen stand auf und bemerkte erst jetzt, wie müde ich eigentlich gewesen bin. Meine Beine waren schon etwas wackelig und auch meine Augenlider waren schwer. Doch das hielt mich nicht davon ab, das beschriebene Zimmer ausfindig zu machen. Ich klopfte kurz, ehe ich eintrat. Doch der Anblick von Mailo schnürte mir fast meine Kehle zu.

"Hey Prinzessin.", sagte Mailo schwach und versuchte müde zu lächeln. Ich war wie angewurzelt, als ich auf die Schläuche sah, welche in einem seiner Arme verschwanden. Der Andere war eingegipst. Sowohl aus seiner Stirn als auch aus seinem Kinn kamen kleine Drähte, mit welchen die Platzwunden genäht wurden.

Als ich mich endlich aus meiner Starre löste trat ich vorsichtig an sein Bett heran. Ich schob einen Stuhl ans Bett und setzte mich zu ihm.

"Es tut mir so leid. Ich hätte dich heute Nachmittag nicht so drängen sollen. Wenn du über irgendetwas nicht sprechen willst, sollte ich es eigentlich akzeptieren und dich nicht noch weiter unter Druck setzen. Keine Ahnung was da in mich...", fing ich an das auszusprechen, was mir schon seit Stunden auf der Zunge lag. Wie heute schon so oft kamen mir dir Tränen und ich starrte auf seine Decke. Doch ich wurde von Mailo unterbrochen.

"Es ist nicht deine Schuld. Ich hätte dir das schon längst erzählen sollen.", sagte er leise. Nun richtete ich meinen Blick langsam nach oben und sah ihm ins Gesicht.

"Was?", hackte ich verwirrt nach. Hatte sein Unfall etwa etwas mit seinem Geheimnis zu tun? Wenn ja, verstand ich wirklich nur noch Bahnhof.

"Ich werde es dir erzählen, wenn ich aus diesem Krankenhaus raus bin ok?", hackte Mailo nach und schien mit einer Hand nach irgend etwas zu tasten. Als er meine Hand berührte lächelte er kurz auf, ehe er seine um meine legte. "Du hast wegen mir geweint oder?"

"Nein, weißt du. Ich finde das lustig dich bewusstlos auf dem Boden liegen zu sehen.", schnaufte ich ironisch auf. Keine Ahnung was ich mir davon erhoffte, doch ich tat es. Mailo schloss kurz seine Augen und sah so aus, als ob er sich gleich selbst Ohrfeigen wollte.

"Tut mir leid.", sagte er leise und öffnete wieder seine Augen. Seine Stimme war zwar tief wie sonst auch, doch war sie ziemlich schwach.

"Was hat der Arzt gesagt?", fragte ich um das Thema zu wechseln. Ich sah wieder auf die Schläuche an seinem Arm und auf die kleinen Drähte.

"Gebrochener Arm, mehrere Rippen gebrochen und ein paar Platzwunden. Außerdem hab ich eine leichte Gehirnerschütterung also wunder dich bitte nicht, falls ich anfangen sollte, irgend einen Mist zu labern.", zählte Mailo auf. Am Ende fing er wieder schwach an zu lächeln. Mit seiner Hand, welche bis eben noch meine gehalten hatte, steckte er mir eine Haarsträhne hinter meine Ohr. Mailo ließ seine Hand an meiner Wange ruhen, während er mein Gesicht musterte. Nun war ich diejenige, welche lächelte. Ich schmiegte meine Wange an sein Handinneres und schloss meine Augen.

Als ich sie wieder öffnete beobachtete mich Mailo immer noch. Doch nun legte er seine Hand in meinen Nacken und zog mich leicht zu sich herunter. Ich hingegen ließ ihn machen. Meine eine Hand stützte ich neben seinem Kopf ab, bevor ich auch den letzten Abstand zwischen unseren Lippen schloss. Langsam bewegte ich meine Lippen gegen seine. Mailo tat es mir gleich und so bewegten wir sie im Einklang. Mir wurde immer wärmer und auch mein Herz schien Saltos zu schlagen. Das schneller werdende Piepsen des Herzschlagmessungsgerätes verriet mir, dass Mailos Herz mindestens genauso schnell schlug, wie meines.

"Ups, stör ich?", fragte eine männliche Stimme, welche sich nun als Ben identifizierte. Er hatte, wie immer, dieses fette Grinsen im Gesicht und setzte sich nun an die andere Seite von Mailos Bett. Ich bin sofort als ich Ben gehört habe, zurückgewichen und saß nun wieder auf dem Stuhl. Doch Mailo legte seine Hand erneut um meine.

"Alter was machst du denn hier?", fragte Mailo, sichtlich erfreut Ben zu sehen. Kurz zwinkerte Ben mir zu, ehe sein Blick wieder zu seinem besten Kumpel schnappte.

"Deine Mum hat mir bescheid gegeben.", sagte er und schaute sich nochmals im Zimmer um. Sein Grinsen kam zurück, als sein Blick wieder zu uns glitt. "Ich will garnicht wissen, was ihr hier gemacht habt. Dieser kleine Automat ist ja fast ausgerastet.", fügte Ben augenbrauenwackelnd hinzu, wobei er auf den Monitor zeigte, welcher nun wieder einen normalen Herzschlag preisgab. "Wie isn das passiert?", hackte Ben letztendlich nach und nickte diesmal zu Mailos Verletzungen.

"Bin die Treppe herunter gefallen.", sagte Mailo mit glaubenswürdiger Stimmlage. Doch irgend etwas in seiner Mimik verriet mir, dass dies nicht die ganze Wahrheit war.

"Sie müssen jetzt gehen.", sagte eine Krankenschwester, welche gerade das Zimmer betrat und nickte mir und Ben dabei zu. Ben stand auf und ging nach einer knappen Verabschiedung wieder. Ich hingegen saß weiter da und beobachtete die Frau, wie sie ein kleines Schälchen mit Tabletten und einen Pyjama auf Mailos Nachttisch legte.

"Kann sie bleiben?", fragte Mailo und strich dabei leicht über meine Hand. Die Krankenschwester blickte fragend zu uns auf. Sie war so Mitte vierzig mit kurzen, blonden Haaren. Durch die schwarze Brille auf ihrer Nase wurden ihre Augen vergrößert.

"Sind sie die Freundin?", erkundigte sich die Frau an mich gewandt. Nachdem ich kurz nickte breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. "Ich denke, da können wir eine Ausnahme machen. Sie sind ein süßes Paar.", sagte sie, ehe sie auch schon wieder verschwand.

"Sie hat gesagt, wir sind ein süßes Paar.", sagte Mailo und grinste, wenn auch schwach. Ich hingegen rollte lächelnd mit meinen Augen. Immerhin hatte er noch seine dummen Kommentare drauf. Da musste es ihm ja schon wieder deutlich besser gehen. Ich stand von dem Stuhl auf und reichte Mailo seine Tabletten und sein Wasser, damit er seine Medizin einnahm. Nachdem er dies getan hatte, griff er nach dem Pyjama.

"Du solltest besser rausgehen. Ich will nicht, dass du die ganzen Verletzungen siehst.", sagte Mailo mit nun ernster Miene. Ich schüttelte den Kopf und nahm ihm die Kleidung ab.

"Wie willst du das denn alleine hinbekommen. Außerdem hab ich schon vieles bei dir gesehen.", sagte ich augenzwinkernd, wobei er wieder leicht grinste. Immerhin habe ich ihn mit diesem Kommentar etwas aufgemuntert.

Doch als Mailo sein Krankenhaushemd auszog hatte ich zum dritten mal an diesem Tag das Gefühl, mich würde es gleich umhauen. Seine rechten Rippen waren fast komplett blau, gemischt mit grün und dick geschwollen. Viele Drähte hielten Platzwunden zusammen. Seine Haut wirkte schlaff genau wie Mailo, welcher mich beobachtete. Als erstes half ich ihm in die Hose. Dies war relativ einfach da seine Beine, abgesehen von ein paar Blutergüssen, völlig funktionsfähig waren. Bei dem Oberteil war es jedoch schwerer. Zum Glück war dies zum Zuknöpfen, so dass ich es ihm erst um die Schultern legen konnte. Ich zog den ersten Ärmel über den Gips, während ich den zweiten erst hochkrempelte, damit die Kabel noch rauskonnten. Zuletzt knöpfte ich ihm sein Oberteil zu, wobei ich krampfhaft versuchte, nicht zu sehr auf seine Wunden zu starren.
Mailos etwas vernebelter Blick ruhte immer noch auf mir, als ich wieder nach oben sah. Ich richtete mich wieder auf und küsste seine Stirn.

"Du solltest jetzt versuchen zu schlafen.", sagte ich und strich Mailo über die Wange. Er legte sich zurück und schloss sofort die Augen. Ich hingegen setzte mich wieder auf meinen Stuhl, ließ es zu das er wieder nach meiner Hand griff und beobachtete ihn beim einschlafen.

Tjaja, bald wird das große Geheimnis gelüftet. Was denkt ihr jetzt von der ganzen Sache?
LG

Prudence Where stories live. Discover now