49. Grey Sloan Memorial

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Vorsichtig stieß ich die Tür auf. Bereits ein Blick in den Flur genügte um mich in eine Schockstarre zu befördern. Mailo lag blutend vor der Treppe und bewegte sich nicht. Nach ein paar Sekunden Verarbeitungszeit schnellte ich zu ihm und bückte mich neben ihn. Als erstes tastete ich nach seinem Puls, welcher Gott sei dank noch vorhanden war. Während sich Tränen den Weg meine Wange runter bahnten wählte ich schnell die Nummer des Notarztes.

"Mailo? Mailo?", sagte ich seinen Namen, wobei ich ihm leicht an die Wange fasste. Er bewegte sich aber keinen Millimeter oder gab irgend ein Geräusch von sich. Schon alleine am Kopf hatte er mindestens zwei Platzwunden, von den Restlichen an seinem Körper mal ganz zu schweigen. "Bleib bei mir. Bitte.", flehte ich ganz leise. Noch mehr Tränen verließen meine Augen und verschwammen mir so die Sicht. Erneut suchte ich seinen Puls, welcher immer noch vorhanden war. Ich zog mir mein T-Shirt über den Kopf und versuchte damit etwas seine Blutungen zu stoppen. Zum Glück hatte ich darunter noch ein Top an und saß somit nicht nur in BH da.

Die Zeit schien stehen zu bleiben, bis ich irgendwann die Sirenen des Krankenwagens hörte. Die Sanitäter eilten herein und begannen sofort ihn zu verarzten.

"Was ist denn das hier für ein Lärm. Ich muss...", begann Mailos Mum von oben zu schimpfen, bis sie an der obersten Treppenstufe inne hielt. Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und kam herunter gesprintet.

"Wir müssen ihn mitnehmen. Er ist immer noch bewusstlos.", sagte der männliche Sanitäter und hievte Mailo gerade auf eine Liege.

"Ich komm mit.", sagte Alasha ebenfalls mit Tränen in den Augen. Sie strich kurz durch die blonden Haare ihres Sohnes, ehe sie dem Sanitäter folgte.

"Ich muss auch mit.", hauchte ich, die Szene vor mir immer noch nicht ganz realisierend. Die Sanitäterin sah mich mitleidig an.

"Tut mir Leid, aber wir haben nur einen Platz im Krankenwagen. Wir bringen ihn ins Grey Sloan Memorial Hospital. Sie können ja dorthin kommen.", sagte sie, ehe sie ebenfalls verschwand. Ich hingegen saß immer noch dort, wo Mailo bis eben noch gelegen hatte und starrte vor mich hin. Schließlich nahm ich mein Handy und rief diesmal Alex an. Von ihm wusste ich wenigstens was er machte.

"Was denn?", fragte er genervt, nach dem 6. Tuten. Wahrscheinlich hatte ich Flora und ihn schon wieder bei irgend etwas gestört.

"Kannst du bitte zu Mailos Haus kommen?", stotterte ich mit kratziger Stimme, wobei immer noch stumm Tränen flossen.

"Was ist denn passiert?", fragte Alex besorgt. Den Geräuschen nach zu urteilen stand er gerade auf und verließ Floras Haus.

"Mailo ist... schwer verletzt. Kannst du.... mich bitte in das... Grey Sloan fahren?", antwortete ich. Mein Schniefen unterbrach mehrmals den Satz und ich wischte mir irgendwie die Tränen weg.

"Bin sofort da.", sagte Alex und legte schon auf. Ich habe keine Ahnung wie lange ich dort saß und vor mich hin weinte bis mein Bruder kam. Ich weiß nur noch, dass ich mich sofort in seine Arme schmiss und kräftig schluchzte.

"Alles wird gut.", versuchte er mich zu beruhigen, während wir zum Auto liefen. Doch vergebens.

"Wir haben... uns noch kurz davor... gestritten. Was ist... wenn das unser letztes... Gespräch war?", mein Schluchzen wurde stärker. Alex fuhr schneller als erlaubt und versuchte mir weiterhin beruhigende Worte zuzusprechen.

"Das werden garantiert nicht eure letzten Worte gewesen sein. Du steigerst dich da gerade zu sehr in etwas hinein.", sagte Alex nach einiger Zeit sanft und stoppte vor dem Krankenhaus. Wir sprangen aus dem Auto und rannten schon fast in durch den Eingang des Krankenhauses auf die Theke zu.

"Wir würden gerne zu Mailo Miller. Er müsste vor kurzem erst eingeliefert worden sein.", sprach Alex in einem überraschend ruhigen Ton und trommelte dabei mit den Fingern auf dem Tresen herum.

"Warten sie, ich schau kurz nach.", sagte die Blondine im mittleren Alter und tippte auf ihrer Tastatur herum. Ihre Augen flogen über den Bildschirm, bis sie zu uns aufsah. "Er ist momentan im OP. Aber seine Mutter müsste hier irgendwo sitzen.", mein Blick schnellte zum Sitzbereich herum. Und tatsächlich, Alasha saß da, stumm in ein Taschentuch weinend. Ich gab Alex mit einem kleinen Kopfnicken bescheid, dass ich mal zu ihr gehen würde.

Also setzte ich mich neben sie. Doch erst nach ein paar Minuten bemerkte sie mich. Alasha zog mich in eine feste Umarmung, wobei ihre feuchten Wangen meine fast nackte Schulter trafen.

"Danke, dass du ihn gefunden hast. Ich hätte das garnicht mitbekommen. Die Ärzte meinten, er hätte verbluten können.", flüsterte sie, wodurch mir abermals Tränen hochkamen. Wenn ich daran dachte das er vielleicht verblutet wäre...

"Wie lange operieren sie ihn?", fragte ich leise und löste mich langsam von Alasha. Ihre Mascara war komplett verschmiert und ich fragte mich, wie ich wohl aussah.

"Sie wissen es noch nicht.", sagte sie und starrte auf ihre Fingernägel. Mit dem Taschentuch in ihren Händen wischte sie über ihre nassen Wangen und starrte nun an die Wand gegenüber.

"Hier, trink das.", sagte Alex und hielt mir eine heiße Schokolade entgegen. Ich nahm sie an und blickte zu ihm auf. Er hatte sich inzwischen zu uns gesetzt und seine Beine ausgestreckt. "Da vorne war ein Automat und Schokolade soll angeblich gegen Trauer helfen.", sagte er und blickte sich etwas im Wartebereich um.

"Danke. Du bist wirklich der beste große Bruder, den man haben kann.", sagte ich und lehnte mich an seine Schulter an. Er hingegen lachte auf.

"Das erzähl ich den Anderen.", sagte Alex darauf und reckte stolz sein Kinn. Selbst ich musste etwas schmunzeln, ehe ich den ersten Schluck des heißen Getränkes nahm.

"Du weißt wie ich das meinte.", gab ich noch kurz von mir. Alex holte sein Handy heraus und schrieb scheinbar energisch mit Flora. Irgendwann konnte ich das einfach nicht mehr mit ansehen. "Jetzt geh schon wieder zu ihr.", sagte ich und stieß Alex traurig lächelnd in die Seite. Dieser ließ es sich wohl nicht zweimal sagen und stand bereits auf.

"Ruf mich aber wieder an, wenn ich dich nach Hause bringen soll, ja?", sagte Alex noch, bevor er auch schon aus der Tür verschwand. Ich weiß nicht mehr, wie lange Alasha und ich nur da saßen und Löcher in die Luft starrten, bis ein Arzt zu uns trat.

"Die Operation ist gut gegangen. Momentan ist er noch unter Narkose, sollte aber bald aufwachen. Eine Person darf ihn jetzt besuchen.", sagte der Arzt in einer überraschend tiefen Stimme. Während Alasha ihn zwar mit Erleichterung, gleichzeitig aber auch mit einem 'Ihr Ernst?!' Blick ansah, legte ich eine Hand auf ihren Rücken.

"Geh du zuerst. Schließlich bist du seine Mutter.", sagte ich und zwang mich irgendwie zu einem Lächeln. Ich empfand es als nicht fair Mailo als erstes sehen zu wollen. Mit einem dankenden Blick sah sie zu mir und strich mir mütterlich über den Kopf.

"Mein Sohn hat wirklich Glück mit dir.", waren ihre Worte, bevor sie dem Arzt folgte und in Richtung der Zimmer lief.

Prudence Where stories live. Discover now