42. Die kalte Schulter

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Das ganze Wochenende über hatte ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen. Ich verkroch mich in meinem Bett, einzig und allein mit Kopfhörern in den Ohren und weinend. Nur Nachts schlich ich mich ein oder zwei mal hinaus, um mir etwas Essen zu holen. Meine Brüder versuchte natürlich mit mir zu reden, doch ich blockte jedes Mal ab. Ich wollte einfach nur meine Ruhe von allem und jedem. Auch Mailos Anrufe ignorierte ich gekonnt. Ich müsste ihn jetzt eh sehen, denn es war Montag und in der ersten Stunde hatte ich Mathe mit ihm zusammen.

Ich atmete nochmals kräftig durch, ehe ich den Raum betrat und Mailo schon an seinem Platz saß. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, stellte ich meine Tasche ab und setzte mich auf meinen Platz.

"Hey.", hauchte Mailo ganz leise. Er strich leicht meinen Arm, welcher auf dem Tisch lag, doch ich zog ihn sofort weg. Anscheinend wusste er nicht mehr weiter, denn ich vernahm ein verzweifeltes Seufzen neben mir. "Warum bist du nie rangegangen?", fragte er, wobei ich stur auf die Tafel sah. Zwar hatte der Unterricht noch längst nicht begonnen, aber ich konnte ihm irgendwie nicht in die Augen sehen. Ich befürchtete mich wieder in ihnen zu verlieren.

"Warum sollte ich? Wir haben doch alles geklärt.", konterte ich und sah mit einem fake Lächeln zu ihm hoch. Ich blickte in ein völlig verzweifeltes Gesicht von Mailo und verlor mich wie vorhergesagt in seinen Augen.

"Verdammt ich bereue es so dermaßen das gesagt zu haben. Du hast vollkommen recht, das geht nur uns etwas an. Ich weiß auch nicht, warum ich da so ein Idiot war, aber ich kann es nicht rückgängig machen.", sprach Mailo so sanft, wie schon lange nicht mehr. Nun berührte er meinen anderen Arm, welcher noch auf dem Tisch verweilte. Dieses Mal ließ ich ihn machen.

"Du hast mir damit echt wehgetan.", sagte ich ganz monoton. Wieder machte sich ein Stechen in meiner Brust und ein Loch in meinem Bauch breit. Mit mühe hielt ich meine Maske. Seine Hand wanderte an meine Wange und Mailo strich sanft mit dem Daumen darüber.

"Du hattest Recht. Ich bin ein Arschloch.", murmelte er eher zu sich selbst. Der Lehrer kam in den Raum und somit verschwand Mailos Hand von meiner Wange. Sofort sehnte ich mich nach ihr.

Die Stunde zog sich schlimmer als Kaugummi. Irgendwelche Formeln, welche mir rein gar nichts bedeuteten erschienen auf der Tafel und verschwanden genauso schnell auch wieder.

"Prinzessin?", flüsterte Mailo neben mir ganz leise. Ich drehte meinen Kopf zwar nicht doch gab ihm mit einem genauso leisem 'mhh' zu verstehen, dass ich ihn gehört hatte. "Ich ertrag es nicht, wenn du so kalt zu mir bist.", sagte er und legte mir eine kleine Haarpartie hinter die Schultern. Vorsichtig sah ich zu ihm auf, direkt in seine Augen. Diese gelb-grüne Farbe strahlte wieder so viel Wärme aus, wodurch ich abermals in ihnen versank. Doch zum Glück holte mich die Schulglocke aus meinen Gedanken zurück und ich stand auf. Ich schulterte meine Tasche und ging einfach hinaus.

~~~

Zwei starke Arme langen um meinem Körper. Etwas warmes drückte sich von hinten an meinen Rücken und warme Luft streifte meinen Nacken. Ich öffnete meine Augen und sah ins Schwarze. Aber dies war keins Wegs ein Traum. Ich spürte wirklich etwas warmes an meinem Rücken, genauso die Arme. Nur kam noch etwas dazu. Ich hörte ein leises schniefen. Natürlich wusste ich, dass es Mailo sein musste. Am Tag war es wieder ziemlich warm gewesen, sodass ich das Fenster offen gelassen hatte. Er musste sich wahrscheinlich wieder zu mir reingeschlichen haben.

Plötzlich zog Mailo mich noch enger an sich. Eine kleine Träne fiel in meinen Nacken und rollte diesen langsam herunter. Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und atmete hörbar ein. Ich hingegen tat weiterhin so, als ob ich schlafen würde.

"Ich liebe dich.", hauchte Mailo kaum hörbar gegen meinen Kopf und atmete etwas ruhiger. "So, so sehr.", ich musste nun selbst mit den Tränen kämpfen. Ganz sanft drückte er mir seine Lippen an den Hals und seufzte leise.

"Warum weinst du?", fragte ich dann doch total verschlafen. Ich drehte mich zu ihm um und konnte sein Gesicht in der Dunkelheit kaum erkennen. Erst sah er mich etwas erschrocken an, doch schon setzte er wieder zum Wort an.

"Es tut mir so unendlich leid, was ich gesagt habe. Natürlich geht es deine Brüder nichts an und ich kann verstehen, dass du sauer bist. Schließlich waren diese Worte einfach nur überflüssig und haben mein Gefühltes nicht mal annähernd...", rasselte es aus Mailo, wie ein Wasserfall heraus. Doch um ehrlich zu sein glaubte ich nicht, dass dies der Grund für seine Träne war.

"Was ist den los?", fragte ich ganz sanft und strich ihm über die Wange. So sensibel hatte ich ihn noch nie erlebt. Mailo drehte seinen Kopf so, dass er meine Handfläche küssen konnte. Mein Daumen strich über seine Unterlippe. Kurz schien er zu überlegen, bis er weitersprach.

"Ich hab deine Nähe so vermisst.", hauchte Mailo und sah mir intensiv in die Augen. Doch trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er nicht die Wahrheit sagte. Oder zumindest, das es nicht die ganze Wahrheit war. "Ich halte das einfach nicht aus, wenn du mir die kalte Schulter zeigst. Du hast echt nicht die geringste Ahnung was in mir abgeht, wenn du mich auch nur ansiehst. Wie jetzt.", hauchte er abermals und rutschte etwas näher an mein Gesicht. Ich setzte mich auf und zog meine Beine an meinen Körper so, dass ich eine kleine Kugel war. Mein Kinn stützte ich auf meine Knie ab und sah Mailo weiterhin an. Er setzte sich ebenso, nur im Schneidersitz, auf und legte bedacht eine Hand an meinen Arm. Ich zuckte wieder weg und sah ihn ängstlich an. Keine Ahnung, warum ich auf einmal ängstlich reagierte. Vielleicht weil ich nicht nochmal verletzt werden wollte. Mailo sah kurz auf seine Handfläche, als ob er einen giftigen Käfer darauf sitzen hätte.

"Ich kann immer noch nicht glauben was du am Freitag gesagt hast.", flüsterte ich und sah auch auf seine Hände. Seine Haut wirkte im Mondlicht ganz blass und irgendwie etwas krank.

"Ich auch nicht.", murmelte Mailo unter seinen Atem. Seine Ellenbogen stütze er auf seine Knie und betrachtet das Muster meiner Decke. Irgendwie herrschte immer eine merkwürdige Stimmung, wenn Mailo hier war. Seine rechte Hand bewegte sich etwas nach vorne. Sie streifte meine Hand und verschränkte zaghaft unsere Finger. Mit großen Augen sah ich zu Mailo hoch. Zum einen wollte ich unsere Hände lösen, doch meine Neugierde, was er jetzt vorhatte, war größer.

"Spürst du das?", flüsterte er sanft, während er meinen Blick erwiderte. Natürlich wusste ich sofort, was Mailo meinte. Meine Hand fing an zu kribbeln und wie so üblich, breitete sich eine Wärme in mir aus. Sie drang bis in mein Herz und ließ es wieder etwas auftauen. Auf seine Frage hin nickte ich lächelnd, immer noch auf seine Augen gebannt. "Das ist, weil wir zusammen gehören.", sprach Mailo zwar sanft, aber mit solch einem Selbstbewusstsein aus, dass ich förmlich an seinen Worten klebte.

"Du hast ja meinen Pulli an.", bemerkte er lächelnd. Das Band, welches kurzzeitig unsere Augen miteinander verbunden hatte, war wie zerschnitten.

"Ja, scheint so.", sagte ich, klappte meine Beine nach unten, löste meine Finger von seinen und betrachtete kurz mein Oberteil. Ich hatte mir nichtmal annähernd die Mühe gemacht die Ärmel umzuschlagen, denn so war es viel bequemer. Insgesamt reichte mir sein Pulli bis zu den Oberschenkeln. Das wichtigste daran war eh, dass dieser Pullover immer noch etwas nach meinem Lieblingsduft roch. Mailo.

"Das ist so süß.", sagte Mailo und schüttelte ungläubig mit seinem Kopf. Langsam hatte ich mich daran gewöhnt wie oft mir Mailo sagte, wie süß ich sei.

"Kann sein.", hauchte ich leise. Langsam legte ich meinen Kopf wieder zurück ins Kissen und sah an die Decke. Mailo ließ sich neben mich sinken, wobei seine Augen aber konstant auf mir blieben. Ich drehte meinen Kopf zu ihm. Seine gelb-grünen Augen glitzerten mich vertrauenswürdig an, doch mir entgingen die dunklen Schatten darunter nicht.

Ich musste jetzt einfach wissen was mit ihm los war, auch wenn ich ihn ab jetzt auf Schritt und Tritt verfolgen musste.

Was sagt ihr zu Mailos Verhalten? Oder was denkt ihr, was hinter dem Mysterium Mailo steckt?

Prudence Where stories live. Discover now