52. "Du wolltest mir etwas erzählen"

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"Ach komm schon, ich mach das.", sagte ich und nahm Mailo die Gabel aus der Hand. Zwar hatte er nach ein paar Tagen die Fäden gezogen bekommen, der Gips aber war noch dran. So verzweifelte er momentan vor seinem Essen, weil er sein Besteck nicht richtig halten konnte.

"Ich krieg das schon allein hin.", maulte Mailo wie ein kleines Kind und sah angepisst auf seinen Teller. Momentan hatte er versucht, sein Schnitzel bloß mit der Gabel zu zerkleinern. Ich brauch wohl kaum erklären, dass dies nicht gerade von Erfolg gekrönt war.

Ich rollte meine Augen und nahm nun auch das unbenutzte Messer. Damit schnitt ich mehrere Stücken ab und zerkleinerte auch das Gemüse.

"Das ist so erbärmlich.", nuschelte Mailo vor sich hin, als ich ihm die Gabel zurückreichte. Da ich schon längst aufgegessen hatte, blieb ich einfach neben ihm sitzen.

"Das ist nicht erbärmlich.", sagte ich und legte einen Arm um seinen Rücken. Mailo stopfte sich unterdessen das Essen in seinen Mund und starrte vor sich hin.

"Ich kann mich weder alleine umziehen, noch alleine duschen oder mein Schnitzel schneiden. Wenn das nicht erbärmlich ist, weiß ich auch nicht.", nuschelte Mailo weiter vor sich hin, während er seinen Teller leerte. Als er endlich alles gegessen hatte, stand er sofort auf und schaffte seinen Teller in die Küche.

"Das ist doch kein großes Problem.", sagte ich schulterzuckend und stand nun ebenfalls auf. Ich stellte mich ihm gegenüber auf die andere Seite der Kücheninsel und beobachtete ihn beim einräumen des Geschirrs in den Geschirrspüler.

"Doch, ich geh dir bestimmt schon auf die Nerven.", sagte Mailo und schien gesagten Satz wirklich ernst zu meinen. Ich hingegen lachte auf.

"Ach komm schon. Denkst du wirklich ich wäre die ganze Zeit im Krankenhaus geblieben oder hätte dich hier täglich besucht, weil du mir auf die Nerven gehst?", hinterfragte ich ironisch. Mailo schien seinen Denkfehler erkannt zu haben und schüttelte nun den Kopf. "Na siehst du.", fügte ich hinzu und lief nun auch auf die andere Seite.

"Also, was wollen wir jetzt machen?", hinterfragte Mailo und legte einen Arm um meine Hüfte, während er auf mich herab sah. Seine gelb-grünen Augen funkelten und seine Mundwinkel zuckten nach oben. Mir kam eine Idee in den Sinn, welche Mailo jedoch alles andere als gut finden würde. Er hatte mir immer noch nicht erklärt, was es mit dem Geheimnis auf sich hatte. Ich wollte ihn schon die ganze Zeit darauf ansprechen, jedoch ergab sich nie eine gute Gelegenheit. Diese hingegen erschien mir als annehmbar.

"Du wolltest mir noch etwas erzählen.", sagte ich relativ beiläufig und spielte nervös an der rauen Oberfläche der Küchentheke. Auch wenn ich Mailo nur aus dem Augenwinkel erkennen konnte bemerkte ich, dass er sich verspannt hatte. Auch ein Blick zu ihm hinauf zeigte nichts Anderes. Sein Lächeln ist zu einem Strich geformt und das kurzzeitige Funkeln seiner Augen verschwunden.

"Ich weiß nicht, was du damit meinst.", log Mailo und wand den Blick schnell wieder ab. Auch die Hand an meiner Hüfte verschwand langsam und er stützte genau diese ebenfalls auf der Küchentheke ab. Nun war ich diejenige, welche seine Nähe suchte. Ich legte meinen Arm um seinen gesunden Oberarm und lehnte mich etwas dagegen.

"Du weißt genau was ich meine.", gab ich leise von mir, während ich beruhigend über besagten Arm strich. Seine Anspannung lockerte sich etwas, aber nicht komplett. Mailos Schweigen hingegen bedeutete mir, dass er wirklich wusste, was ich meinte. Ganz langsam, kaum merkbar, nickte Mailo und löste meine Hände von seinem Arm, bevor er eine meiner in seine legte. Zusammen setzten wir uns auf das Sofa im Wohnzimmer. Stille umgab uns, wobei Mailo sich wieder stärker anspannte.

"Also?", hackte ich nach, da er keine Anstalten machte, etwas zu sagen. Man konnte förmlich sehen, wie Mailo eine Kloß in seinem Hals herunterschluckte. Bedrückt sah er wieder auf seine Hände, welche in seinem Schoß ruhten.

"Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.", sagte Mailo nachdem er sich geräuspert hatte, da seine Stimme fast versagte. Das Seitenprofil seines Gesichtes verkrampfte sich nun ebenso wie sein Körper. Jeder Blinde hätte erkannt, dass es Mailo einen Haufen Überwindung kosten würde.

"Einfach am Anfang.", versuchte ich ihm sanft nachzuhelfen. Anscheinend war dies nicht wirklich hilfreich, da er nur noch gequälter dreinsah.

"Ich weiß aber nicht, wo der Anfang ist.", nun sackte Mailos Stimme komplett ab. Doch dieses Mal suchte er meinen Blick, wodurch ich seine glasigen Augen erkennen konnte. Um ihn etwas zu beruhigen legte ich wieder meine Hände auf ihn, diesmal auf seine Oberschenkel. Mailos Blick landete kurz auf meinen Händen, dann wieder auf meinem Gesicht.

"Ich hör dir zu. Von Anfang bis Ende oder von dem an, was du Anfang nennst.", ich lächelte ihn etwas an, um ihn ein Gefühl von Wohlsein zu geben. Doch er erwiderte das Lächeln nicht sondern sah noch etwas bedrückter aus. Langezeit blieb es Still, bis Mailo hörbar Luft holte.

"Du musst mir aber bitte versprechen, mich nicht dafür zu verurteilen.", sagte er mit leidendem Gesichtsausdruck und man konnte seine Unsicherheit deutlich spüren. Mein unsicheres Nicken gab Mailo das Zeichen zum sprechen.

Prudence Where stories live. Discover now