Kapitel 3

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Die nächsten Tage hörte ich nichts von Can. Aber was bildete ich mir auch ein? Er war weder mein Freund, noch mein Verwandter oder sonst etwas. Nur mein Nachbar. Ich saß mit meiner Schwester in ihrem Zimmer und wir schauten zusammen einen Liebesfilm an. Schlechte Wahl, denn bei Liebesfilmen wird sie jedes Mal sentimental.
"Ach, Leyla. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Nihat meldet sich seit Tagen nicht. Ich mache mir Sorgen", sagte sie traurig. Nihat war ihr fester Freund. Besser gesagt, ihr Verlobter. Die beiden waren schon seit fünf Jahren zusammen und seit ein paar Monaten verlobt. Die Hochzeit meiner Schwester sollte schon sehr bald stattfinden und ich freute mich sehr  darauf.
"Abla (Schwester). Mach dir keine Sorgen. Er hat villeicht viel zu tun. Er meldet sich schon. Warte nur ab", sagte ich, um sie aufzumuntern.
"Du hast Recht. Ich will ihn endlich heiraten. Ich kann es kaum abwarten, seine Frau zu werden. Was ist eigentlich mit dir? Wann suchst du dir einen Freund?", fragte sie mich neugierig. Ich seufzte.

"Ach, Abla (Schwester). Ich bin noch ziemlich jung und habe keine Zeit für eine Beziehung. Außerdem suche ich nicht den Richtigen. Ich warte einfach. Irgendwann werde ich ihm schon begegnen", antwortete ich und sie nickte. Mit der Liebe hatte ich zu dieser Zeit nichts zu tun. Ich wusste nicht einmal genau, was Liebe war. Ich hatte keine Ahnung von der Liebe, geschweige denn von einer Beziehung. Plötzlich kam mir wieder Can in den Sinn. Warum musste ich so plötzlich an ihn denken?
"Wie findest du eigentlich Cemal Amcas (Onkel Cemals) Sohn?", fragte sie mich auf einmal wie aus dem nichts. Konnte sie etwa meine Gedanken lesen?
"Du meinst Can? Ich weiß nicht. Er wirkt irgendwie arrogant, aber irgendwie ist er auch ziemlich süß", gab ich zu und sie lächelte.
"Ayy. Kardeşim aşik mi oldu? (Hat sich mein Geschwisterchen etwa verliebt?)", fragte sie amüsiert und ich wurde rot.
"Hayir! (Nein). Ich finde ihn nur hübsch, mehr nicht", sprach ich etwas beleidigt. Sie grinste.

"Ich muss zugeben, er sieht echt gut aus. Ihr würdet gut zusammen passen. Denk darüber nach. Can wäre der perfekte Junge für dich", meinte sie und ich wurde noch verlegener.
"Meinst du?", fragte ich unsicher und spielte mit meinen Händen. Sie nickte.
"Evet (Ja). Warum nicht?", fragte sie und schaute den Film weiter. Ich war derweil wieder in meinen Gedanken versunken. Can und ich? Ein Paar?
Würden wir wirklich gut zusammen passen? Ach Quatsch. Ich bin überhaupt nicht sein Typ und er, vom Charakter jedenfalls her, nicht meiner, redete ich mir selbst ein. Das könnte niemals funktionieren. Oder? Ich meine, er sieht ziemlich gut aus und ich bin immer ziemlich aufgeregt in seiner Gegenwart. Wäre da nur nicht seine scheiß arrogante, sich über mich lustig machende, beleidigende Art. Außerden durfte ich nicht vergessen, dass er kein normaler Junge war. Er war gefährlich. Also sicherlich nicht der Richtige für mich. Die nächsten Wochen lief alles eigentlich ganz normal ab. Ab und zu kamen Cemal und seine Nachbarn zu uns. Manchmal gingen wir auch zu ihnen. Can und ich redeten nicht viel miteinander. Eigentlich überhaupt nicht. Nur Hallo und Tschüss. Mehr war nicht. Es war aber etwas seltsam. Diese Distanz zwischen uns beiden war seltsam.

So verging dann ein ganzer Monat und die Hochzeitsvorbereitungen gingen voran. Ja, meine Schwester und Nihat wollten endlich heiraten. Ich freute mich so sehr für Azra, weil sie sich das immer so sehr gewünscht hatte. Die beiden hatten sich am Standesamt das Ja-Wort gegeben und als nächstes stand der Hennaabend auf dem Plan. Der Hennaabend war sehr emotional und auch mir kamen die Tränen. Meine große Schwester war immer für mich da gewesen und nun würde sie nicht mehr bei uns wohnen. Wenn ich schon bei ihrer Hochzeit so emotional wurde, wie würde es dann bei meiner eigenen werden?, fragte ich mich. Die Hochzeit sollte ein paar Tage später stattfinden, weswegen ich noch etwas Zeit zum Shoppen hatte. Ich brauchte unbedingt ein schönes Kleid für die Hochzeit, weswegen shoppen angesagt war. Ich weiß, ziemlich spät, um sich ein Kleid zu suchen. Aber wegen der Schule hatte ich nie die Zeit. Ich begab mich in die Stadt, in den Laden, der meiner Tante Melek gehörte. Sie hatte ständig wunderschöne Kleider und dort würde ich sicher eins finden.
"Leyla, hoş geldin (Herzlich Willkommen). Schön dich wiederzusehen", sagte sie und umarmte mich herzlich. Ich freute mich, sie endlich wiederzusehen. Meine Tante besaß ein sehr gutes Herz und war immer für mich da.

"Merhaba (Hallo), Melek Teyze", sagte ich mit einem Lächeln.
"Du bist so schön geworden. Brauchst du etwas? Was führt dich hierher?", fragte sie mich.
"Ich brauche ein Kleid für die Hochzeit meiner Schwester. Sen de gelecen mi? (Kommst du auch?)", fragte ich sie.
"Natürlich komme ich auch. Du brauchst ein Kleid? Ich glaube, ich habe etwas für dich. Gel benimle (Folge mir)", sagte sie und ich folgte ihr. Sie zeigte mir ein atemberaubendes Chiffon Kleid mit Spitze. Es war hellblau und im oberen Bereich glitzerte es. Einfach ein wunderschönes Kleid.
"Cok güzel (Sehr schön). Es gefällt mir sehr? Wie viel kostet es?", fragte ich, doch meine Tante winkte ab.
"Es ist ein Geschenk", meinte sie.
"Aber, Melek Tey-", sie unterbrach mich. Meine Tante war zwar sehr gutmütig, doch auch sehr stur. Wohlmöglich der sturste Mensch, den ich kenne.
"Keine Widerrede. Ich schenke es dir. Jetzt zieh es an", sagte sie und ich lächelte.
"Dankeschön", sagte ich und zog es an.
Als ich aus der Kabine kam, blickte meine Tante mich mit großen Augen an.
"Es steht dir einfach super, Leyla. Cok güzelsin (Du bist sehr schön)", sprach sie und ich bedankte mich. Dann sah ich mich im Spiegel an. Das Kleid stand mir wirklich sehr gut. Ich verabschiedete mich von meiner Tante, nachdem ich mich umgezogen und sie mir meine Tüten überreicht hatte und ging nach Hause. Es war schon etwas dunkel geworden. Die passenden Schuhe hatte ich auch zu diesem Kleid bekommen. Ich war meiner Tante so dankbar. Plötzlich hörte ich einen lauten Knall, der mich aus meinen Gedanken riss und versteckte mich sofort, da ich etwas Erschreckendes sah.

Es schlägerten sich zwei Kerle und der eine hatte eine Waffe! Warum bekam ich so etwas schon wieder mit?
Ich bekam es mit der Angst zu tun und hoffte, dass sie mich nicht sehen würden. Sie waren wirklich sehr brutal zueinander. Der eine, mit der schwarzen Lederjacke, wirkte aber stärker, als der andere. Als er den anderen schon so heftig geschlagen hatte, dass er auf dem Boden lag, sagte er etwas zu ihm. Ich konnte nicht genau erkennen, wer diese zwei Typen waren, da sie zu weit weg waren.
"Und wehe ich sehe dich hier noch einmal. Vergiss nicht, wer ich bin", sagte er, trat ihn noch ein letztes Mal und begab sich in meine Richtung, woraufhin ich erkannte, wer das war. Oh mein Gott! Es war Can. Can, mein Nachbar! Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um nicht laut los zu schreien. Ich hoffte inständig, dass er mich nicht gesehen hatte, doch leider musste ich niesen. Genau in dem Moment. Verdammt! Can blickte in meine Richtung und erkannte mich wohl. Lieber Gott, steh mir bei. Er näherte sich mir und ich stand da nur wie angewurzelt. Scheiße!

"Leyla?", fragte er leicht verwirrt. Ich brachte keinen Satz heraus. Ich war zu nervös, zu aufgeregt. Mein Herz klopfte wie verrückt.
"C-Can", stotterte ich. Nur das bekam ich raus, mehr nicht. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war zu geschockt, zu sprachlos, zu unfähig, etwas sagen. Ich sammelte meinen ganzen Mut und ging langsam auf ihn zu. Er hielt eine Waffe in der rechten Hand. Wollte er den einen Typen gerade ernsthaft töten? Can hatte blaue Flecken und blutete auch ein wenig. Seine Verletzungen sahen sehr schlimm aus, aber ihn schien es nicht zu intressieren. Selbst in so einem Zustand sah er wie ein Model aus. Oder eher wie ein Schauspieler. Mit dieser schwarzen Jeans und dieser Lederjacke sah er einfach mehr als heiß aus. Leyla, komm zu dir!
"Leyla, ich....Hast-Hast du das gerade alles mitangesehen?", fragte er mich leicht nervös. Er ist nervös?, fragte ich mich verwundert. Ich war es aufjedenfall, aber er?! Ich nickte nur stumm und er seufzte. Er grinste jedoch nicht wie immer, sondern blickte mich ernst und irgendwie bedauernd an. Das war er also. Das war also der wahre Can Yalçin. Ein gefährlicher Mann, der durch die Straßen und Gassen mit einer Pistole läuft und sich mit irgendwelchen Kerlen prügelt. Es war beängstigend. Es war wahsinnig. Es war unfassbar. Aber dennoch war es die Realität. Can Yalçin ist tatsächlich gefährlich.

ZwangsheiratWhere stories live. Discover now