Kapitel 16

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Zwei Uhr nachts

Ich befinde mich in einer dunklen Gasse und trage mein Hochtzeitskleid. Es ist Blut verschmiert und ich gehe einen unendlich langen Weg entlang. Finster, gruselig und ich zittere am ganzen Körper. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich sehe plötzlich zwei Gestalten, die miteinander kämpfen. Was ist da los? Langsam nähere ich mich diesen zwei Gestalten und erkenne, dass es Can ist, der gegen jemanden kämpft. Er hat ein Messer in der Hand und tötet eine Person. Ich stehe nur dort, weine und schreie. Ich flehe Can an aufzuhören, doch er wird immer brutaler. Er ist nicht zu stoppen. Bis die Person am Boden liegt und ich ihr Gesicht erkenne. Das ist Deniz! Er hat Deniz umgebracht!
Ich nähere mich Can langsam und will sein Gesicht berühren, doch er rammt mir das Messer in meinen Bauch und mir wird augenblicklich schwarz vor Augen. Can! Can! Can! Was hat er nur getan? Wieso? CAN!

"Leyla. Leyla! Wach auf", sagte jemand laut und rüttelte mich wach. Ich riss meine Augen auf und setzte mich sofort auf. Ich zitterte am ganzen Körper, schwitzte und mein Herz klopfte wie verrückt. Dann blickte ich Can an. Er hatte mich aufgeweckt, da ich wohl  geschrien hatte. Ich atmete erleichtert auf und versuchte mich zu beruhigen. Es war nur ein Traum.
"Was ist los? Hast du schlecht geträumt? Du hast die ganze Zeit meinen Namen geschrien", erklärte er und mir war das etwas peinlich. Er blickte mich besorgt an und streichelte behutsam meine Wange. Alles ist gut, Leyla. Alles ist gut. Mir kamen die Tränen und ich umarmte Can sofort. Das brauchte ich jetzt. Seine Nähe. Er erwiderte die Umarmung und streichelte sanft meinen Kopf. Ich schluchzte.
"Ich bin da, Leyla. Alles ist gut", sagte er beruhigend und ich kam etwas runter. Wieso habe ich so etwas geträumt? Was hat das zu bedeuten? Bin ich vollkommen verrückt geworden?, fragte ich mich besorgt. Als ich realisierte, was ich hier tat, entfernte ich mich schnell von ihm und senkte meinen Blick. Er schaute mich an.
"Sorry", murmelte ich nur verlegen.
"Schon okay", meinte er vertraut und ich blickte ihn an.

Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen und ich rannte ins Badezimmer. Ich schämte mich einfach so sehr, ihm in die Augen zu schauen. Can betrat, keine Minute später, ebenfalls das Bad, schaltete das Licht an und musterte mich. Er kam auf mich zu, stellte sich hinter mich und führte mich zu dem Spiegel. Ich hatte meinen Blick gesenkt, schaffte es nicht mich anzusehen.
"Schau dich an", befahl er mir in einem sanften Ton. Ich schaute nicht in den Spiegel. Ich konnte nicht. Das was ich dort sehen würde, würde mich anwidern.
"Schau dich an, Leyla", sagte er nun in einem dominanteren Ton und ich schaute nun in den Spiegel. Ich legte meinen Kopf etwas schief und blickte mich an.
"Was denkst du?", fragte er mich nun. Ich zögerte etwas, gab ihm aber dann schließlich eine Antwort.
"Ich bin hässlich. Ich bin schmutzig", sprach ich dann beschämt.
"Nein, Leyla. Du bist nicht hässlich. Du bist nicht schmutzig. Du bist wunderschön und rein. Weißt du warum? Weil du ein gutes Herz besitzt. Ein reines Herz", sagte er dann und das gab mir tatsächlich ein gutes Gefühl.

Es klang aus seinem Mund so unglaublich ehrlich und ich blickte uns beide nun an. Auch aus seinen Augen sprach die absolute Ehrlichkeit. Can würde mir niemals etwas Schlimmes antun. Er ist für mich da. Er gibt mir Halt. Er gibt mir Kraft. Er gibt mir das, was ich jetzt am meisten brauche. Zuneigung, Vertrauen und Liebe. Doch egal was er tut, es würde nichts an meinen negativen Gedanken ändern. Ich bin zu schwach, um glücklich zu sein. Ich bin nicht fähig dazu. Ich war alleine. Dachte ich.
"Ich bin bei dir", sagte er dann und riss mich aus meinen negativen Gedanken. Tatsächlich war er es, der mich mal wieder aus diesen Gedanken, die mich in ein dunkles Loch zogen, gerettet hatte. Er ist bei mir. Er nahm meine Hand sanft in seine und führte mich zu unserem Bett. Erst jetzt fiel mir auf, wie froh ich darüber war, dass ich Can nicht habe gehen lassen. Ich war froh, dass er neben mir schlief. So fühlte ich mich sicher und geborgen. Can ging auf seine Seite und wollte sich hinlegen. Doch ich starrte nur auf das Bett und seufzte.
"Ich habe Angst, Can", sagte ich dann.

Can POV

Ich blickte Leyla irritiert an. Sie hat Angst?Wovor? Ich musste nichts sagen, da sie weiter sprach. Sie schüttete mir ihr Herz aus. Sie blickte mich mit ihren braunen Augen, die leer wirkten, an. Das erste Mal vertraute sie mir ihre tiefsten Gedanken an.
"Wieso hast du mich geheiratet? Ich bin keine Jungfrau mehr, aber du hast mich trotzdem zu deiner Frau genommen. Wie kommt das? Warum, Can?", fragte sie mich ernst. Ich seufzte und lächelte dann sanft.
"Weil du nicht wie die anderen bist und es nicht deine Absicht war. Du kannst nichts dafür, dass du deine Unschuld verloren hast", erklärte ich und sie blickte mich verwirrt an.
"Aber du selber bist noch so jung und wolltest ganz bestimmt nie so früh heiraten. Wenn du nein gesagt hättest, dann hättest du mich nicht heiraten müssen. Bereust du es denn nicht?", fragte sie mich dann erstaunt. Ich setzte mich auf das Bett und legte meinen Kopf in den Nacken. Dann blickte ich sie an.

"Ich will dich nicht einem anderen überlassen. Ich wollte nicht, dass du irgendeinen fremden Typen heiratest. Ich bereue es nicht, Leyla. Bereust du es?", fragte ich sie nun. Sie setzte sich ebenfalls auf das Bett.
"Ich weiß doch sowieso nicht, was Liebe ist. Ich weiß nicht, was eine Ehe eigentlich bedeutet. Hätte ich einen Fremden geheiratet, hätte es keinen großen Unterschied gemacht. Nur einen Kleinen. Ich würde mich bei ihm nicht so sicher wie bei dir fühlen. Aber ehrlich gesagt, macht es mich traurig. Niemals werde ich lieben können", erklärte sie. Ich war ziemlich überrascht darüber, dass sie mit mir so offen darüber sprach. Sie tat mir so leid. Niemals würde sie erfahren, was es heißt zu lieben. Was es heißt, geliebt zu werden. Was es heißt, mit einem Jungen richtig zusammen zu sein. Das könnte ich ihr nicht geben. Ich liebe sie nicht. Ich bin nur mit ihr verheiratet. Das, zugegeben nur aus Mitleid. Aber das darf sie nicht erfahren. Es würde sie verletzen, dachte ich. Ich selbst wusste in diesem Moment nicht einmal genau, weshalb ich sie geheiratet hatte. Fühlte ich mich vielleicht doch zu ihr hingezogen?

Das ist aber vollkommen unmöglich. Dass ich mich mal verliebe, wäre echt ein Wunder. Meine Exfreundin Aleyna hatte ich vielleicht mal geliebt und mich letztens mit ihr getroffen. Unsere Beziehung ist schon lange vorbei, aber sie ist immer noch verrückt nach mir. Ich hatte sie dann zufälligerweise auf der Straße gesehen und wir hatten ein wenig miteinander geplaudert. Aber irgendwann fühlte ich mich dann nicht mehr zu ihr hingezogen. Doch sie ließ nicht locker und ruft mich bis heute noch manchmal an. Zum Glück war sie letztens nicht auf unsere Beziehung eingegangen. Das Problem war, dass Leyla mein Telefonat mit ihr gehört und uns beide gesehen hatte. Hoffentlich hat sie das schon vergessen, dachte ich mir. Wieso machte ich mir überhaupt Gedanken darüber? Leyla und ich, wir waren nicht zusammen. Sie war nicht meine Freundin. Nicht meine Liebe. Sie ist mir doch eigentlich egal. Sie ist nur meine Ehefrau, die ich aus Mitleid geheiratet habe. Mehr nicht, dachte ich mir und versuchte kalt zu sein. Ich nickte nur stumm und legte mich dann hin. Ich konnte ihr einfach keine Antwort geben, da ich selbst nicht wusste, was ich sagen oder tun könnte. Es war so einfach, aber auch so kompliziert. Leyla legte sich neben mich und deckte sich zu. Ich hatte ihr meinen Rücken zugekehrt und dachte noch ein wenig nach. Irgendwann schloss ich dann meine Augen und schlief ein. Damals ahnte ich noch nicht, dass dies mehr als nur eine Mitleids-Ehe wäre.

ZwangsheiratWhere stories live. Discover now