Kapitel 51

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Can POV

Am nächsten Morgen öffnete ich langsam meine Augen und blickte als aller erstes in Leylas schlafendes Gesicht. Sie sah so schön friedlich und glücklich aus. Lange betrachtete ich sie und schmunzelte. Sie war wunderschön. Wie ein Engel. Ich strich ihr eine Strähne hinter ihr Ohr und dachte über die letzte Nacht nach. Gestern war es falsch von mir gewesen, Leyla einfach so alleine zu lassen und ihr nicht Bescheid zu geben. Doch gestern vergaß ich die Zeit und auch ein wenig mich selbst. Nach dem Gespräch mit Mert hatte ich mich irgendwohin gesetzt und lange über alles nachgedacht. So lange, bis mein Kopf schmerzte. Dann hatte ich mich zurück begeben, da ich dachte, dass alle gegangen waren. Doch ich sah dann plötzlich Leyla alleine mit Cansu auf dem Arm am Grab ihres Bruders. Es war, als hätte ich mich selbst gesehen, wie ich am Grab meiner kleinen Schwester stehe und Gott ständig frage, weswegen es so kommen musste. Doch genau wie ich damals, hatte Leyla keine Antwort bekommen. Sie stand da nur, kniete und weinte. Nachdem sie dann gegangen war, hatte ich mich zu diesem Grabstein begeben und ebenfalls geweint. Ich blickte Leyla weiterhin an. Genau wie damals, als Cansu gestorben war, gab ich mir selbst die Schuld. Wäre ich nicht gewesen, wäre er noch am Leben, hatte ich mir gedacht und das dachte ich weiterhin. Ich wagte es nicht mehr, sie zu berühren. Meine Gedanken wurden negativer, je länger ich sie ansah. Hätten Leyla und ich nie geheiratet, wäre das alles nie geschehen. Sie hätte ein friedliches Leben haben können. Doch ich hatte alles zerstört, dachte ich. Meine Existenz hat alles zerstört. Meine Existenz als der Gangster Can Yalçin, dachte ich. Wenn ich in Gefahr bin, ist meine Familie ebenfalls in Gefahr. Doch wenn ich gehen würde, würde das Leyla nicht noch mehr weh tun? Würde ich ihr durch mein Verschwinden nicht noch mehr schaden?, fragte ich mich.

Nein. Ich dufte sie nicht verlassen. Niemals. Sie brauchte mich und ich brauchte sie. Ohne einander konnten wir nicht sein. Diese negativen Gedanken durften nicht sein. Wach auf, Can! Meine Pflicht ihr gegenüber ist es, sie zu beschützen und immer an ihrer Seite zu sein, dachte ich mir. Sie war meine Frau. Sie trug meinen Ring an ihrem Finger und dazu hatte ich eine Tochter mit ihr. Ich musste, nein, ich wollte bei ihr bleiben, denn ich liebte sie. Auch wenn ich ein schlechtes Gewissen hatte und dieses von Tag zu Tag immer größer wurde, durfte ich sie nicht aufgeben. Vorallem jetzt brauchte sie mich sehr. Damals hatte ich niemanden, außer meine Eltern, die selbst am Ende waren, gehabt. Leyla sollte es so nicht ergehen. Sie sollte wissen, dass jemand hinter ihr steht und sie nicht alleine war. Ich musste mich noch besser um sie kümmern. Doch wie? Wie konnte ich ihre Albträume stoppen? Wie konnte ich sie von ihren negativen Gedanken befreien? Wie konnte ich sie dazu bringen, etwas zu essen? Wie konnte ich sie glücklicher machen?

Leicht war es nicht. Doch ich hatte mir geschworen, dass ich immer für sie da sein würde, egal wie es ihr ging. Schließlich brauchte sie mich doch so sehr. Ich richtete mich langsam auf und blickte nach draußen. Es war noch etwas dunkel draußen. War es wirklich noch so früh? Ich musste aufhören so viel nachzudenken. Plötzlich spürte ich etwas. Leyla legte ihren Kopf auf meine Schulter. Ich fühlte mich irgendwie ertappt von ihr, was meine Gedanken betraf.
"Can?", sprach sie dann leise.
"Ja?", antwortete ich.
"Wirst du immer bei mir bleiben oder kann es sein, dass du mich verlässt?", fragte sie mich dann plötzlich. Wie kam sie darauf? Erstaunt blickte ich sie an. Ihre Augen wirkten sehr müde und leer.
"Warum fragst du das?", fragte ich sie. Sie seufzte.
"Ich hatte einen Albtraum. Du hast mich einfach verlassen. Du bist einfach gegangen, ohne ein Wort zu sagen", erklärte sie und wirkte sehr traurig. Ich streichelte ihre Wange und blickte ihr tief in die Augen.
"Leyla. Ich werde dich niemals verlassen. Ich bleibe immer bei dir. Ich könnte dir das niemals antun. Du bist die Frau, die ich liebe und die ich geheiratet habe. Außerdem haben wir zusammen eine wundervolle Tochter. Ohne dich könnte ich mir mein Leben überhaupt nicht vorstellen. Also denk nicht mal an sowas. Okay?", fragte ich sie und sie wirkte erleichtert. Sie nickte und lächelte, woraufhin ich ebenfalls lächelte. Ihr Lächeln war alles für mich.

Langsam kam ich ihr näher und berührte sanft ihre Lippen mit die meinen. Ich gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss, der unendlich zu sein schien. Es war ein magischer, gefühlvoller Kuss. Wir werden niemals getrennt sein. Egal, was passieren mag, versprach ich mir. Jede Nacht rettete ich sie von ihren Albträumen und am Tag versuchte ich sie zum Essen zu bringen. Doch sie wurde von Tag zu Tag immer trostloser, was mir das Herz zerbrach. Ich war hoffnungslos, wusste nicht, wie ich ihr helfen könnte. Leyla war schon vier Mal im Krankenhaus gewesen, da sie einfach nicht aß. Zwei Monate vergingen und sie wurde immer schwächer, während mein schlechtes Gewissen von Tag zu Tag immer größer wurde. Meinetwegen war sie in diesem Zustand. Wäre ich nicht gewesen, wäre sie glücklich, dachte ich mir. Auch wenn sie damals vergewaltigt wurde. Wegen dieser Ehe war sie in Lebensgefahr. Meinetwegen war sie in Lebensgefahr. Ohne mich hätte sie ein sorgenfreies Leben. Ich hätte nicht gedacht, dass alles noch schlimmer werden konnte. Dann kam der Tag, an dem es geschah. Der Tag, an dem die Grenze erreicht wurde. Ein furchtbarer Tag.

Leyla POV

Inzwischen waren ganze zwei Monate vergangen und mir ging es von Tag zu Tag immer miserabler. Ich konnte einfach nicht richtig essen und wenn, dann nur ganz wenig. Ich war schon vier Mal im Krankenhaus gewesen, da Ich ohnmächtig geworden war. In mir herrschte einfach eine Unruhe, die ich nicht stoppen konnte. Ich verstand nicht, weshalb ich so war. Den Tod meines Bruders konnte ich immer noch nicht verkraften. Es funktionierte einfach nicht. Ich wollte es einfach nicht einsehen, dass er tot war. Wie jeden Tag fuhr ich wieder zum Friedhof, um bei ihm zu sein. Can wusste davon nichts. Er hätte sich nur unnötig Sorgen um mich gemacht, was ich nicht wollte. Ich bereitete ihm ständig so viele Sorgen. Ich setzte mich auf die Bank, die sich gegenüber des Grabsteins befand und weinte im Stillen. Wie jedes Mal. Es schmerzte einfach so sehr.

Nach einiger Zeit, in der ich trauerte, stand ich dann schließlich auf und wollte gehen. Doch ich blieb stehen, da ich irgendwie so ein komisches Gefühl hatte. Ich fühlte mich irgendwie beobachtet. Ist hier etwa noch jemand?, fragte ich mich angespannt.
Ich zitterte etwas und beeilte mich. Dabei schaute ich ständig in alle Richtungen. Als ich dann endlich im Auto saß, schloss ich die Türen sofort und fuhr mit schnellem Herzklopfen und einer Angst los. Ich war nicht ganz bei Gedanken und mir wurde wieder ein schwindelig. Anstatt mich auf die Straße zu konzentrieren, konzentrierte ich mich darauf, nicht ohnmächtig zu werden. Reiß dich zusammen, Leyla! Bleib wach! Du darfst jetzt nicht einschlafen!, dachte ich mir panisch.

Ich versuchte dagegen anzukämpfen. Mein Körper versuchte dagegen anzukämpfen. Doch es war zu spät. Ich achtete nicht auf die Straße und es kam dann so, dass ein anderes Auto direkt in meins reinfuhr. Das war es. Meine Tränen flossen und ich spürte den gesamten Schmerz überall. Genau wie mein Blut. Ein letztes Mal, sah ich noch alles, was ich bis jetzt erlebt hatte vor mir. Die Freude, den Schmerz, die Liebe, die Wut, die Trauer. Alles, was geschehen war. Das erste Mal, als ich Can getroffen hatte, die Vergewaltigung, die Heirat mit Can, die Begegnungen mit Mert, mein 18. Geburtstag, die Geburt unserer Tochter und schlussendlich den Tod meines Bruders. Das alles hatte ich erlebt und gesehen. Ich spürte, wie mich jegliche Kraft verließ und dann schloss ich langsam meine Augen. Es war vorbei. Alles war vorbei.

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt