Kapitel 62

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Wir hatten uns eine Woche später, nach meiner Trennung mit Leyla, getroffen, da wir noch etwas zu klären hatten. Wir beide haben sozusagen einen Deal miteinander gemacht.
"Ich habe aufgegeben. Leyla und ich haben uns getrennt", erklärte ich ihm, was ihn natürlich amüsiert hatte. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie stark es in dieser Nacht geregnet hatte. Ich hatte meine Kapuze übergezogen und mich an die Wand gelehnt, während wir uns in einer abgeschotteten Gasse befanden.
"Wow. Du siehst einfach scheußlich aus. Hast wohl harte Nächte hinter dir. Und? Wie geht's dir so?", fragte er mich provokativ. Die Antwort wusste er natürlich schon. Dieser Bastard.
"Beschissen", antwortete ich nur lustlos und steckte meine beiden Hände in meine Taschen, die sich an meinem Kapuzenpulli befanden. An diesem Tag war meine Laune nicht die Beste gewesen. Er lächelte, klopfte mir dabei leicht auf die Schulter. Wie sehr ich ihn verachte, hatte ich mir nur in diesem Moment gedacht.

"Kopf hoch. Das wird schon. Ich meine, sein wir mal ehrlich, Can. Wir beide sind Männer, die nicht für die Liebe geschaffen sind. Weder du noch ich. Unser Schicksal ist das hier. Auf der Straße kämpfen, zu rebellieren. Das ist unsere Bestimmung. Sonst gibt es da nichts. Oder?", erklärte er mir und blickte mich anschließend abwartend an. Ich lächelte leicht.
"Du hast Recht. Das hier ist unser Schicksal. Aber soll ich dir was sagen, Mert? Wir beide werden uns niemals ähnlich sehen. Der Unterschied zwischen uns ist nämlich, dass ich ein einfaches Monster bin und du ein wahnsinniges. Du bist ein Mörder", erklärte ich ernst. Er lachte nur in diesem Moment.
"Ja, das stimmt. Und du bist ein Herzensbrecher. Zuerst hast du Aleyna verlassen und danach Leyla.bVon deinen ganzen Affären von damals fange ich jetzt nicht an. Der Punkt ist, dass du ein herzloser Mensch bist. Genau wie ich", sagte er. Mein Lächeln verschwand wieder. Leyla war niemals eine Affäre gewesen. Sie war meine erste richtige Liebe gewesen, dachte ich mir in dem Moment.

"Wirst du Leyla in Ruhe lassen, wenn ich nie wieder zu ihr zurückkehren werde?", fragte ich ihn ernst.
"Ich werde sie in Ruhe lassen. Dafür solltest du aber nie wieder an ihrer Seite sein. Denn vergiss eines niemals, Can. Wenn du bei ihr bist, ist sie in Gefahr. Wenn du nicht bei ihr bist, garantiere ich dir, dass sie ein sorgenfreies Leben haben wird", erklärte er mir und klopfte mir wieder auf die Schulter. Wie gerne hätte ich ihn umgebracht. Er hat schließlich mein Leben zerstört. Diesen Deal hatten wir miteinander ausgemacht. Wenn ich niemals wieder zu Leyla zurückkehre, wird Mert ihr nichts tun und sie ist nicht in Gefahr. Genau so wie ich es immer wollte. Dann ging er auch schon und ich war froh darüber alleine zu sein. Aber auch gleichzeitig betrübt. Nie wieder mehr mit Leyla. Nun sitze ich genau wie damals alleine hier und denke über mein trostloses Leben nach. Ein Leben ohne Leyla ist wie ein Leben ohne Luft. Ich ertrinke in diesem Meer dieser ganzen Gefühle. Es ist qualvoll und schmerzhaft. Noch nie bin ich so schwach gewesen. Nur wegen einer einzigen Person scheint mein Leben trostlos. Warum nur?

Noch nie bin ich so sehr von einer Frau abhängig gewesen. Noch nie hat eine Frau es überhaupt geschafft, mein Herz für sich zu erobern. Aber Leyla hat es geschafft. Sie hat es tatsächlich geschafft, dass ich ohne sie nicht leben kann. Warum musste ich sie nur treffen?
Warum habe ich sie geheiratet? Warum habe ich ihre Gefühle jemals akzeptiert und ihr meine Liebe gestanden? Doch Tag für Tag stelle ich mir diese Fragen umsonst, da die Antwort ständig offensichtlich ist. Ich liebe sie. Das ist die Antwort. Die Antwort auf all diese Fragen. Ich liebe sie und wir beide sind von Gott bestimmt wurden. Doch nun kann ich nicht mehr zu ihr zurück. Meine Liebe ist eine Gefahr für sie. Auch wenn es mir mehr als leid und weh tut, muss ich nun einmal damit leben. Ob ich will oder nicht. Ich hatte bis heute gedacht, dass unsere Trennung ihr Leben vereinfachen würde. Doch ich merke von Tag zu Tag immer mehr, dass mit Leyla etwas nicht stimmt.

Leyla POV

Diese Qualen sind nicht auszuhalten. Es tut weh. Sehr weh. Die Art, wie er mich meidet und mich ignoriert verletzt mich sehr. Hasst er mich etwa so sehr? Kein Tag vergeht ohne eine Träne. Ich kann mich auf nichts mehr richtig konzentrieren. Beim Kochen geschieht es sogar manchmal, dass ich mich ausversehen schneide oder Geschirr fallen lassen. Manchmal werde ich auch wütend und schlagen einfach so hart gegen die Wände oder Türen, bis meine Hände anfangen zu bluten. Es ist das selbe Gefühl, welches ich gespürt hatte, als ich vergewaltigt wurde. Die Leere, die Angst, die Wut, die Verzweiflung und all das, was mich kaputt macht. Manchmal denke ich sogar daran, was mein Leben denn überhaupt für einen Sinn ergibt. Ich bin schwach. Zu schwach für dieses Leben und zu schwach, um jeden Tag in sein Gesicht blicken zu müssen und ertragen zu müssen, von ihm getrennt zu sein. Ich meine, er ist der Mann der mir damals immer bei meinem Albträume geholfen hat und sich um mich gesorgt hat. Dieser Mann verletzt mich nun von Tag zu Tag immer mehr. War diese Ehe mit ihm etwa nur ein schöner Traum gewesen?

Die Wunden an meinen Händen und an meinen Fingern ignoriere ich einfach. Diese Schmerzen sind nichts im Vergleich zu diesem einen Schmerz, der sich in meinem Herzen befindet. Irgendwann würde ich zu ihm sprechen und ihm sagen, wie qualvoll und schmerzhaft mein Leben ohne ihn ist. Ich lebe überhaupt nicht mehr richtig. Ich funktioniere nur noch. Viele meiner Kollegen fragen mich, ob ich eine Grippe hätte oder ob es mir nicht gut gehen würde. Sie machen sich alle schreckliche Sorgen um mich, da ich so blass und still bin. Während alle anderen sich um mich sorgen, ignoriert mich diese eine Person nur. Die Person, die sich eigentlich am meisten um mich sorgen und an meiner Seite sein sollte. Ich log alle natürlich an und sagte, dass es mir gut gehen würde. Seitdem versuchen sie mich zu meiden. Mir soll es recht sein.

"Leyla. Kannst du diese Dokumente bitte dem Chef geben?", fragt mich eine meiner Kolleginnen. Ich nehme die Dokumente nur nickend an mich und begebe mich zu seinem Büro. Die Dokumente zu tragen fällt mir etwas schwer, da meine Finger durch die Wunden schmerzen. Ich klopfe an die Tür und trete ein, als ein "Herein" von ihm ertönt. Stumm blicke ich auf den Boden und lege ihm den Stapel auf den Tisch.
"Was ist das?", fragt er mich, blickt mich dabei nicht an. Er schreibt irgendetwas an seinem Computer.
"Dokumente", antworte ich nur monoton, woraufhin er mich anblickt.
"Was für Dokmunete?", fragt er mich und ich rolle genervt mit den Augen. Ich haue mit beiden Handflächen auf den Tisch, zucke etwas zusammen, da meine Finger schmerzen. Doch ich ignoriere es und beuge mich zu ihm vor. Er blickt irritiert auf meine Finger, scheint wohl über etwas nachzudenken. Dann blickt er mir in die Augen.

"Wenn Sie sich die Dokumente anschauen, dann wissen Sie auch, was für Dokumente das genau sind", spreche ich in einem sarkastischen Ton. Er spannt seinen Kiefer an.
"Sie benehmen sich ziemlich unangemessen. Passen Sie lieber auf, was Sie tun und sagen", droht er mir, woraufhin ich lächele.
"Mehr als drohen können Sie sowieso nicht", sage ich und kehre ihm dann den Rücken zu.
"Warten Sie", sagte er und ich bleibe abrupt stehen. Ich drehe mich wieder zu ihm.
"Sie sollten nach Hause gehen. Sie sehen nicht besonders gut aus. Fehlt Ihnen etwas?", fragt er mich. Wow. Er macht sie nach all diesen Wochen endlich Sorgen um mich. Was fällt ihm überhaupt ein, mich das zu fragen? Er weiß es doch ganz genau. Ich lache.
"Das liegt daran, dass ich seit einigen Jahren nicht richtig esse und schlafe, da mich mein Mann verlassen hat. Traurig, nicht wahr? Aber es war seine Entscheidung, seine Frau einfach im Stich zu lassen", erkläre ich ihm und mein Lächeln verblasst daraufhin. Ich blicke ihn abwesend an und spüre, wie mir die Tränen in die Augen schießen.

"Er meinte, dass es mir nur so gut gehen würde. Ein Leben ohne ihn, wäre ein glückliches Leben. Aber er lag falsch. Mein Leben ohne ihn ist nichts und ich werde von Tag zu Tag immer einsamer. Er hat mich alleine gelassen. Hat das einen Sinn? Warum würde jemand wie er mir nur so etwas antun?Er ist doch mein Ehemann", frage ich ihn persönlich. Can schweigt und weiß wohl nicht, was er sagen soll. Zu meiner Überraschung antwortet er mir tatsächlich.
"Vielleicht wollte er nur nicht, dass Sie sich seinetwegen in Gefahr befinden und seinetwegen ihr Leben lassen müssen. Das hat er alles nur aus Liebe getan", antwortet er.
"Ich würde lieber glücklich an seiner Seite sterben, als unglücklich ohne ihn einsam zu sterben. Das ist wahre Liebe", sage ich. Darauf erwidert er nichts. Ich lächele leicht, schüttele den Kopf.
,,Feigling'', sage ich leise, was ihn wohl überrascht. Ich wische mir meine Tränen weg und verlasse ohne weitere Worte sein Büro.

ZwangsheiratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt