Kapitel 4

1.4K 27 0
                                    

Stille. Nichts als stille. Wir schwiegen beide, wussten nicht, was wir dem jeweils anderen sagen sollten.
"Tut mir leid", sagte er plötzlich und das überraschte mich. Verwirrt blickte ich ihn an. Warum tat es ihm leid?
"Ich wollte nicht, dass du das mitansiehst", sagte er. Machte er sich etwa Sorgen um mich? Machte er sich Sorgen darum, dass ich Angst haben würde? Oder warum?
"Oh. Ist-Ist schon okay. Ehm....Man sieht sich", sagte ich und wollte schnell gehen, aber er hielt mich plötzlich am Handgelenk fest. Wir blickten uns tief in die Augen und mein Herzschlag beschleunigte sich wieder.
"Leyla. Das-Das bin ich. Das, was du gerade gesehen hast. Das ist Can Yalçin. Aber-Aber ich würde dir oder sonst wem niemals etwas antun. Nur meinen Feinden", erklärte er und wirkte etwas verlegen, als er das sagte. Denn während er das sagte, blickte er abwechselnd auf den Boden und in mein Gesicht. Es war so unbeschreiblich süß, wie er das sagte und wie er mich dabei anblickte. So voller Reue und Unschuld. Einfach zum dahinschmelzen. Wie ein kleiner, süßer Junge, der etwas angerichtet  hatte und nun aufrichtig um Vergebung bat.
"Hast-Hast du schon mal jemanden
ge-getötet?", fragte ich ihn nun nervös. Er schaute mir nun wieder in die Augen.

"Nein, Leyla und das würde ich eigentlich auch nicht tun. Nur, wenn es wirklich notwendig wäre. Töten ist eine Sache, die ich niemals tun würde. Ich habe schon viele schlechte Dinge getan. Gestohlen, gekämpft, viele verletzt, vielen das Herz gebrochen und vieles mehr. Aber so ehrenlos bin ich nicht, dass ich jemanden töten würde. Ich habe immer noch ein Gewissen", erklärte er ehrlich. Ja. Aus seinen Augen sprach die absolute Ehrlichkeit.
"Meine Eltern und meine gesamte Familie wissen nichts davon. Bitte, erzähl es ihnen nicht", flehte er mich nun an und senkte seinen Blick. Ich wusste nicht, weshalb ich das tat. Doch ich streichelte behutsam seine Wange, die blutete, woraufhin er mich wieder anblickte.
"Ich erzähle es niemandem. Aber, Can. Pass-Pass einfach wirklich auf dich auf", sagte ich und er nickte. Er steckte seine Waffe ein, von der er nicht gesprochen hatte und wir gingen gemeinsam nach Hause.
"Wer war dieser Kerl eigentlich?", fragte ich Can neugierig.
"Mert", antwortete er nur und ich spürte den Hass, den er auf diesen Mert hatte, weswegen ich vorerst nicht weiter nachfragen wollte.
"Kümmer dich um deine Wunden", sagte ich, als wir vor meiner Tür standen. Er grinste.
"Das sind nur kleine Kratzer", meinte er lässig. Das ist Can.
"Salak (Idiot). Wenn du dich nicht darum kümmerst, werde ich es. Tamam mi? (Okay?)", sprach ich ernst und er nickte, dabei blickte er mich ein wenig verblüfft an. Ich fühlte mich ehrlich gesagt wie seine Mutter. Oder eher wie seine Frau. Er konnte aber wirklich nicht auf sich selbst aufpassen. Was, wenn der Typ ihn noch brutaler geschlagen hätte? Ich seufzte.

"Du machst dir Sorgen", sagte er plötzlich, woraufhin ich ihn überrascht anblickte.
"Nein! Warum sollte ich?", fragte ich gereizt und er grinste nur amüsiert. Er konnte wirklich nicht ernst bleiben und das machte mich etwas wütend, erleichterte mich aber auch etwas. Ihm ging es gut. Doch ich ließ mich davon nicht überwältigen, auch wenn er mehr als heiß war, egal was er tat.
"Warum bist du eigentlich mit diesem Mert verfeindet?", fragte ich ihn nun neugierig.
"Das geht dich nichts an", meinte er dann plötzlich in einem dunklen Ton, der ziemlich gefährlich klang. Ich sagte nichts. Ich hätte ihn nicht fragen dürfen. Das wurde mir erst im Nachhinein bewusst.
"Man sieht sich", sagte er dann nach einiger Zeit der Stille und ging einfach. Was ist denn jetzt los?, fragte ich mich verwirrt. Er wollte es mir nicht erzählen. Vetraute er mir etwa nicht? Ach egal. Was ging mich das schon an? Mir sollte es Recht sein. Schließlich war ich nur seine Nachbarin und wollte echt nichts mit dieser Gangster-Scheiße zu tun haben. Aber ich hatte Can heute irgendwie von einer anderen Seite erlebt. Seine Stimme war vorhin seltsamerweise so sanft gewesen. Als hätte er sich tatsächlich um mich gesorgt. War er villeicht doch nicht nur der kalte Badboy, für den er sich ausgab? Hatte auch er eine sanfte, liebevolle Seite?
Alles ist möglich. So auch, dass Can Yalçin eine sanfte Art hat.

Ich ging in mein Zimmer, legte die Tüten vom Shoppen auf meinen Sessel und ließ mich erschöpft in mein Bett fallen. Can ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Das war doch verrückt. Warum dachte ich immerzu an ihn? Er war weder mein Freund, noch mein Bruder oder sonst etwas von mir. Nur mein Nachbar. Nur der Sohn von dem besten Freund meines Vaters. Mehr nicht und mehr sollte er auch nicht sein oder werden. Anderes Thema! In vier Tagen würde meine Schwester heiraten. Sie wird eine Ehefrau und wird Kinder bekommen.
Was für ein Gefühl es wohl ist verheiratet zu sein?, fragte ich mich. Bestimmt ein wunderschönes. Ich blickte auf meine Hand und mir fiel auf, dass sie blut verschmiert wegen Can war. Vorhin hatte ich ihn berührt und nun hatte ich sein Blut an meinen Händen. Ich ballte meine Hand zu einer Faust und seufzte. Ach, Can. Ich beschloss ein Bad zu nehmen, zog mir gemütliche Kleidung an und ging nach dem Abendessen, das nur aus den Gesprächen von der Hochzeit meiner Schwester bestand, erschöpft ins Bett. Endlich hatte ich Ruhe und schlief auch schon friedlich ein.

Mitten in der Nacht schlug ich meine Augen auf und hielt mir genervt die Ohren zu. Was war das für ein Krach? Es war so laut und nervtötend. Wer könnte bei diesem Lärm denn schlafen? Es hörte sich an, als würde jemand brüllen. Ich stand genervt auf, zog meine Hausschuhe an und ging müde auf meinen Balkon, da der Lärm aus der Richtung kam. Als ich die Vorhänge beiseite schob, die Tür öffnete und nun hier draußen stand, wusste ich, woher der Lärm kam. Es war Can. Er telefonierte mit jemandem und schien sehr wütend zu sein. Er trug eine schwarze Puma- Jogginghose und einen weißen Pullover. Selbst in normaler, lässiger Kleidung sah er perfekt aus. Außerdem hatte er mir den Rücken zugekehrt, weswegen ich mich sofort hinter dem Vorhang versteckte und ihn belauschte.
"Ich habe dir gesagt, dass du mich nicht wieder anrufen sollst, Aleyna", sagte er aufgebracht. Aleyna? Wer war denn jetzt Aleyna? Meine Fresse. Was er alles für Probleme hatte.
"Das mit uns ist schon lange vorbei. Ich habe dich verlassen, weil ich keine Lust mehr auf dich habe. Also lass mich in Ruhe, sonst mache ich dich fertig", drohte er und fuhr sich durch seine traumhaft schönen, verwuschelten Haare. So wütend hatte ich ihn noch nie gesehen. Das machte mir zugegeben etwas Angst ihn so zu sehen.
"Aleyna. Pass auf, wie du mit mir redest. Vallah seni mahvederim (Ich schwöre, dass ich dich fertig mache)", drohte er und legte genervt auf. Ich schluckte nervös und zitterte etwas.
Was hat diese Aleyna denn getan, dass er sie verlassen hat?, fragte ich mich verwundert. Can blickte sich um und schaute dann in die Richtung, in der ich mich versteckte.

Zum Glück aber ahnte er nicht, dass ich mich versteckt hatte, ging wieder rein und ich atmete erleichtert aus. Auch ich ging in mein Zimmer, schloss schnell die Türen und zog die Vorhänge zu. Ich legte mich gedankenverloren auf mein Bett. Aleyna. Sie war wohl Cans Exfreundin. Ob sie sehr hübsch ist?, fragte ich mich neugierig. Bestimmt. So wie ich Can kannte, suchte er sich bestimmt immer die hübschesten Mädchen. Dazu gehörte ich nicht. Ich war schließlich nicht sein Typ. Oh man, Leyla! Was geht nur in deinem Kopf ab? CAN. IST. NUR. DEIN. NACHBAR. Irgendwie aber ging mir das nicht aus dem Kopf und ich hatte irgendwie auch kein gutes Gefühl bei der Sache. Auch wenn es ihm egal zu sein schien, liebte diese Aleyna Can wohl sehr, da sie wohl sehr an ihm hängt. Sie tat mir ehrlich gesagt etwas leid. Unerwiderte Liebe ist etwas Furchtbares. Etwas, was keinem widerfahren sollte. Ich versuchte zu schlafen, doch meine Gedanken waren die ganze Zeit bei Can. Das war doch nicht normal, dass ich dich ganze Zeit an ihn dachte. Warum dachte ich nur an ihn? Warum beschäftigte er mich so sehr?

ZwangsheiratWhere stories live. Discover now