Kapitel 40

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Diese Stille, die unendlich zu sein schien, war schrecklich und angsteinflößend zugleich. Noch immer standen wir vier hier wie angewurzelt und blickten uns ohne Worte an. Die beiden mit einem Grinsen, Can und ich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck. Diese Stille war nicht auszuhalten, weswegen ich meinen ganzen Mut sammelte und schließlich etwas sagte.
"Was wollt ihr von uns?", fragte ich die beiden ruhig.
"Das wirst du noch früh genug erfahren, meine Liebe. Was Aleyna und ich miteinander zu tun haben, was wir von euch wollen. Das alles werdet ihr beide noch erfahren. Nur Geduld", erklärte Mert mit einem leichten Lächeln und mit einer Stimme, die der eines Psychopathen ähnelte.
"Can. Hast du gar nichts zu sagen?", fragte Mert dann Can, der die ganze Zeit über nichts gesagt hatte. Das sah ihm eigentlich nicht ähnlich, still zu sein. Schließlich war er es doch immer gewesen, der das Wort ergriffen und gesprochen hatte. Was ging ihm durch den Kopf? Was war los mit ihm? Was bedrückte ihn?
"Sagt einfach nur, was ihr wollt", meinte er nur und wirkte etwas desinteressiert. Als wäre er überhaupt nicht anwesend. Seltsam.

Mert POV

Es machte mich etwas wütend, dass Can sich nicht aus der Ruhe bringen lassen ließ. Er nahm das alles ganz gelassen. Doch auch ich blieb ruhig und hatte keine Bedenken oder Sorgen, was Aleynas und meinen Plan betraf. Zu aller erst einmal wollten wir die beiden testen. Schon immer wollte ich wissen, wie sehr sich die beiden lieben und wie weit sie für den jeweils anderen gehen würden. Was ihre Grenzen sind, wie stark sie nach den Geschehnissen von damals noch sind, welche neuen Ereignisse es in ihrem Leben gab. Wir werden alles erfahren und es ausnutzen. Wir werden es gegen sie benutzen, um sie zu vernichten. Mein Groll gegenüber Can war groß und Leyla fing ich auch auf irgendeine Art und Weise an zu hassen. Aber gleichzeitig fand ich sie auch ziemlich interessant.Sie wirkte schwach und zu sensibel, war aber eigentlich das komplette Gegenteil, wenn sie es nur wollte. Sie konnte kämpfen und sogar auch gewinnen. Weswegen ich zugeben musste, dass diese Frau wahrlich stark und auch unberechenbar war. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so ein großes Problem darstellen würde. Dass sie einen so großen und wichtigen Teil in Cans Leben und in meiner Rache spielen würde. Wirklich erstaunlich, was eine einzige Frau ausmacht.

"Aleyna. Fang an", sagte ich dann und blickte dabei Leyla intensiv an. Aleyna tat das, was sie tun musste. Sie zog eine Pistole aus ihrer Jackentasche hervor und richtete sie ohne jegliche Hemmungen auf Can. Mein Blick jedoch blieb die ganze Zeit bei Leyla. Der erste Test. Was wird sie jetzt tun? Liebte sie ihn wirklich so sehr, dass sie für ihn sterben würde? Würde sie sich ernsthaft für ihn opfern? Auch wenn es ihr Leben gefährden würde? Can wirkte etwas angespannt und war wohl auch etwas verwirrt. Leyla schien ziemlich nervös und hatte wohl Angst. Doch keine Minuten später stellte sie sich, ohne zu zögern, schützend vor Can und blickte Aleyna ernst in die Augen. Diesen Ausdruck in ihren Augen werde ich niemals vergessen. So energisch, so hasserfüllt, so stark.
"Wehe du tust das", sprach sie drohend. Dieser Ton. Dieser Ton hatte mich in diesem Moment, genau wie ihr Gesichtsausdruck, ziemlich fasziniert. Wie eine Löwin, die ihre Lieben beschützen beschützt, damit sie nicht in Gefahr geraten. Damals war Can es, der sie beschützt hatte. Nun war sie es, die ihn beschützte. Lieben sich die beiden so sehr?, fragte ich mich verwundert.

"Warum tust du das? Warum beschützt du ihn, obwohl du das mit deinem Leben bezahlen könntest? Das ist doch absurd", sagte Aleyna entsetzt, hatte die Pistole weiterhin auf die beiden gerichtet und ich stimmte ihr zu. Ja, es war sogar ziemlich absurd. Für die Liebe solch ein Risiko einzugehen.
"Hättest du nicht das selbe getan? Ihn beschützt, dich um ihn gesorgt, ihn mit alles was du hast geliebt. Was ist das für eine Frage?Die Frage ist eher, weshalb ich das nicht tun sollte? Auch wenn ich dafür mit meinem Leben bezahlen müsste, wäre es das wert", erklärte Leyla wütend. Aleyna war wirklich außer sich und ich stand dort nur komplett fasziniert und stumm rum. Aleyna wollte etwas erwidern, doch ich hielt sie davon ab. Länger hier rum stehen wollte ich nicht. Ich hatte schon gesehen, was ich sehen wollte.

"Lass es, Aleyna. Wir gehen", sagte ich, was sie verwunderte und blickte dann Leyla und Can an.
"Denkt nicht, dass das unser letztes Treffen gewesen wäre", sagte ich noch und ging. Aleyna ließ ihre Waffe sinken und folgte mir irritiert. Ich verstand einfach die Welt nicht mehr und dachte die ganze Zeit über nach. Warum zur Hölle würde sich jemand aus Liebe für jemand anderen opfern?

Nur aus Liebe? Das war aber nicht möglich! Das war doch Unsinn.
Welcher Idiot würde nur wegen so etwas unnötigem wie Liebe sein Leben aufgeben?Liebe hat doch überhaupt keine Bedeutung. Sie ist doch nur ein ganz normales Gefühl, das nicht besonders ist. Ich glaubte nicht an so einen Unsinn wie die Liebe. Ich konnte es zu diesem Zeitpunkt einfach nicht verstehen. Ich fragte mich ernsthaft, ob Leyla villeicht wahnsinnig wäre oder ob ich einfach nur überreagierte. Egal wie viel ich darüber nachdachte, es kamen immer mehr Fragen auf. Doch ich wusste, dass genau diese anscheinend unendliche Liebe zwischen den beiden, das interessante an ihrer Ehe sein könnte. Dieser Zusammenhalt, diese Besorgnis. Die beiden sind wirklich ein sehr intressantes Ehepaar, dachte ich mir. So jung, jedoch so sicher, was ihre Gefühle betrifft.

Der erste Test hatte mir schon viele Dinge offenbart. Die beiden würden für den jeweils anderen, aus welchem Grund auch immer, sterben. Egal wie, egal wann, egal weshalb. Sie würden den anderen, mit allem was sie haben, beschützen. Dann hieß das ja auch, dass die beiden sich gegenseitig schwächten. Leylas Schwäche war Can und Cans Schwäche war Leyla. Genau! Das war es. Eine Schwäche der beiden hatte ich gefunden und ich wusste genau, dass das die größte und wichtigste Schwäche der beiden war. Can hätte niemals sein Leben auf der Straße aufgegeben, wäre Leyla nicht gewesen. Er hätte trotz allem weiter gemacht und wäre immer noch der Alte, dachte ich mir. Leyla hätte sich bestimmt niemals für solch einen Mann wie Can geopfert und hätte sich bestimmt auch niemals auf ihn eingelassen. Er ist ein Gangster und sie ein braves Mädchen aus gutem Hause. Die beiden könnten eigentlich unterschiedlicher nicht sein, haben sich durch Zufall kennengelernt, lieben sich anscheindend trotzdem und haben zueinander gefunden. Interessant. Wirklich sehr interessant. In meinem Kopf fügte sich ein Puzzle aus Lauter Teilen zusammen. Ein sehr interessantes Puzzle.

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