Kapitel 58

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Leyla POV

Als ich am nächsten Morgen erwachte, fühlte ich mich überhaupt nicht gut. Ich fühlte mich schrecklich. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen und hatte ständig nur geweint. Ohne Can war alles so ungewohnt und merkwürdig für mich. Mein Herz fühlte sich einsam. Ich fühlte mich einsam. Ich konnte das einfach nicht. Ohne Can zu leben war einfach furchtbar für mich. Die ganze Zeit wiederholte sich in mir, wie sehr ich mir wünsche, dass er wieder zurück kommt. Doch ich wusste, dass das nicht passieren würde. Er war weg und das für immer. Nie wieder werde ich in sein schönes Gesicht blicken und ihm sagen können, wie sehr ich ihn liebe. Nie wieder werde in seinen Armen liegen können. Nie wieder werde ich von ihm getröstet, wenn ich wieder einen Albtraum habe. Das wird alles nie wieder geschehen. Aber wie soll ich es ohne ihn aushalten?, spielte sich in meinen Gedanken in Dauerschleife ab.

Die Kraft dazu hatte ich nicht. Dachte ich. Es tat weh. Mehr als weh. Dass eine Trennung so schmerzhaft sein würde, hätte ich nie gedacht. Ich versuchte mich mit Cansu zu trösten. Sie war alles, was mir von ihm noch übrig geblieben war.Wenn ich in ihr Gesicht blickte, erkenne ich seines. Das machte mich traurig und glücklich zugleich. Unsere Tochter verband uns. Ich beschloss zu meinen Eltern zu fahren. Schließlich brauchte ich sie einfach jetzt so sehr. Die Einsamkeit machte mir nämlich sehr zu schaffen. Also nahm ich Cansu mit und begab mich zu meinen Eltern. Vor meinem Elternhaus erinnerte ich mich wieder an die Zeit, als alles begonnen hatte. Dann blickte ich zu dem Nachbarshaus. Stimmt. Can lebte hier ebenfalls mit seiner Familie. Er war mein Nachbar. Dies hatte ich vollkommen vergessen. Ich schüttelte diesen Gedanke sofort wieder ab. Vergiss ihn, wiederholte ich in meinen Gedanken. Seufzend klingelte ich an der Tür und meine Mutter öffnete sie. Sofort umarmte sie mich, als sie mich erblickte.
"Alles wird gut, Leyla", sprach sie beruhigend. Sie wusste also schon Bescheid. Anscheinend schien er hier gewesen zu sein. Stumm übergab ich ihr Cansu und begab mich rein. Mein Vater saß im Wohnzimmer. Er schien über etwas nachzudenken.

"Baba (Vater)", sagte ich, woraufhin mich ansah. Er schien etwas niedergeschlagen zu sein. Sein Blick verriet viel.
"Can war hier. Er hat uns alles erzählt", sagte mein Vater zu mir und ich setzte mich auf das Sofa.
"Wir sind immer für dich da, Leyla. Vergiss das nicht", sagte mein Vater.
"Danke", sagte ich und es herrschte für eine Weile Stille im Raum.
"Egal was passiert, Can bleibt immer unser Schwiegersohn", sagte er dann noch und ich gab ihm Recht. Ja, Can wird immer mein Ehemann bleiben und ich werde immer seine Ehefrau bleiben. Das wird sich niemals ändern, dachte ich mir. Dieser Gedanke gab mir Halt. Wir würden trotzdem verbunden bleiben.
"Möchtest du wieder bei uns leben oder weiter in dem Haus wohnen?", fragte meine Mutter mich. Hier zu leben würde bedeuten, wieder Cans Nachbarin zu sein und es würde mir schwerfallen ihn ansehen zu müssen, dachte ich mir.

"Nein. Das ist nicht nötig. Ich bleibe in meinem Haus", sagte ich lächelnd.
"Was wirst du jetzt tun? Du hast keinen Mann mehr. Wie willst du dein Kind ernähren?", fragte mein Vater mich dann. Er hatte Recht. Ich musste mir Arbeit suchen.
"Ich werde mir eine Arbeit suchen. Egal wo, hauptsache ich verdiene Geld", erklärte ich ihm.
"Fang doch in meiner Firma an. Uns fehlen noch einige Angestellte und die Bezahlung ist auch nicht schlecht", schlug mein Vater dann vor.
"Danke, Baba (Danke Vater)", antwortete ich. In der Firma meines Vaters anzufangen, war eigentlich keine so schlechte Idee. Sie war schließlich ebenfalls hier in dieser Stadt und es war eine bekannte Firma. Die Bezahlung war ziemlich gut und ich hätte einen festen Job. Meine Position wäre entweder bei der Kundenbetreuung, im Verkauf oder in der Buchhaltung. Das konnte ich dann letztendlich entscheiden.
"Ich denke, dass ich in der Kundebetreung arbeiten möchte", sagte ich zu meinem Vater, als wir vor der Tür standen und ich es mir gründlich überlegt hatte.
"Gut. Dann erscheine am Montag um 9:00 Uhr pünktlich. Den Rest erfährst du dann dort", sagte er und ich bedankte mich bei ihm.
"Leyla, sen benim kizimsin (Du bist meine Tochter). Das mache ich doch gerne für dich. Komm gut nach Hause", sagte er und umarmte mich.

Dann verabschiedeten wir uns voneinander und ich stieg wieder in mein Auto. Während Cansu friedlich in ihrem Kindersitz schlief, blickte ich traurig zu dem Haus, dass Cans Familie gehörte.
"Wie konntest du das alles einfach so beenden?", murmelte ich und spürte, wie wieder Tränen in meine Augen schossen. Tränen der Verzweiflung. Tränen der Verbitterung. Sofort wischte ich sie mir weg. Ich musste lernen, damit umzugehen. Es gab keine Hoffnung. Ich startete das Auto und fuhr los. Zuhause angekommen legte ich Cansu schlafen. Sie schien sehr erschöpft zu sein. Dann schwelgte ich in Gedanken. Can hatte vorhin gemeint, dass Mert meinen Bruder und seine Schwester getötet hätte. Warum tut er sowas? Ist er verrückt?, fragte ich mich fassungslos. Dieser Bastard hatte es verdient im Gefängnis zu sterben. Das was er alles getan hatte, war einfach wahnsinnig. Er war ein Mörder, ein Psycho. Er hatte das alles extra mit Cans Exfreundin geplant. Am liebsten würde ich die beiden fertig machen, dachte ich mir rachsüchtig. Doch ich wusste, dass ich dafür nicht stark genug war. Ich war nicht so stark und unberechenbar wie Can.

Er wusste, wie man kämpft. Er wusste, wie man sich wehrt. Er wusste, wie man seine Feinde besiegt. Doch ich wusste nichts davon. Würde ich mit Mert anlegen, wäre ich sofort tot, dachte ich mir. Doch irgendwie wollte ich mich an ihm und Aleyna rächen. Für alles. Außerdem wollte ich noch wissen, weshalb die beiden das alles getan hatten. Sie waren daran Schuld, dass ich vieles verloren hatte. Letztendlich waren sie der Grund wegen Cans und meiner Trennung. Sie hatten unser Leben und unsere Liebe zerstört. Sie hatten alles zerstört. Nachdenklich blickte ich Cansu an. Can hatte also eine jüngere Schwester namens Cansu. Deswegen hatte er gezögert, als ich diesen Namen für unsere Tochter vorgeschlagen hatte. Wie seine jüngere Schwester wohl war?, fragte ich mich. Es tat mir leid, dass ich sie nie kennenlernen konnte und dass sie gestorben war. Can hatte das mir die ganze Zeit verschwiegen.

In Warheit hatte auch er eine schwache, zerbrechliche Seite an sich. Die haben wir alle. Die einen können sie zeigen und die anderen nicht. Ich bewunderte und respektierte Can für alles, was er durchgemacht und durchgestanden hatte. Er war so unglaublich stark und mutig. So oft hatte er schon gekämpft und geblutet. Doch er hatte niemals aufgeben und war immer wieder aufgestanden. Ohne zu zögern. Wirklich bewundernswert. Doch warum hatte Mert es so sehr auf Can abgesehen? Warum hatte er all das getan? Eine Feindschaft allein konnte schließlich nicht nur der Grund sein. Diese Feindschaft selbst musste einen Grund haben, den ich mir nicht erklären konnte. Einen wichtigen, ganz bestimmten Grund. Seufzend ließ ich mich auf mein Bett fallen. Meine Gedanken sowie mein Herz ließen ihn einfach nicht aus meinem Leben verschwinden. Ich wollte Can wieder an meiner Seite haben. Ich wollte ihn umarmen, ihn küssen und ihm sagen, wie sehr ich ihn liebte. Am liebsten würde ich jetzt auf mein Herz hören und sofort zu ihm gehen, dachte ich mir. Doch mein Verstand sagte mir, dass das nicht richtig wäre. Ihm zuliebe musste ich standhaft bleiben und mich von meinen Gefühlen nicht überwältigen lassen. Egal, wie sehr es weh tat. Egal, wie sehr er mir fehlte. Ich musste stark bleiben. Für ihn.

ZwangsheiratWhere stories live. Discover now