Kapitel 81

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Erleichterung aber auch Trauer machen sich in mir breit. Ich bin erleichtert, weil er bei mir ist und traurig, weil seine Vergangenheit mich einfach schockiert. Was Mert und er alles durchmachen mussten. Was ihre kleinen Schwestern alles ertragen mussten. Welch grausames Schicksal sie alle erleiden mussten. Bis heute leiden sie darunter. Doch ich bin nicht nur deswegen traurig. Ich kann Aleynas Worte einfach nicht vergessen. Die Worte, die ich eigentlich vergessen sollte. Plötzlich merke ich, wie mich wieder jegliche Kraft verlässt und ich zu fallen drohe. Doch er hält mich wieder fest, sieht schließlich meine Tränen, als er mich anblickt. Ich bin nicht wütend. Ich glaube ihm. Mehr als das. Doch irgendwie bin ich enttäuscht. Warum hat er mir es nicht erzählt? Warum hat er mir nicht erzählt, dass Aleyna ihn damals geküsst hatte und er bei ihr gewesen war? Was ist der Grund dafür? Die Übelkeit überkommt mich. Sofort löse ich mich von ihm, gebe ihm seine Jacke und gehe stumm weiter. Ich lasse ihn einfach stehen, da ich jetzt nicht mit ihm reden will. Ich will einfach nur alleine sein. Die Kälte überkommt mich und mein inneres fühlt sich schrecklich leer an, während ich seinen besorgten Blick auf mir spüre. Ich will einfach nur Zuhause ankommen und alleine sein. Auch wenn mein Körper nach seiner Nähe, die mich wärmt, schreit. Doch auch das kann ich nicht, da es plötzlich anfängt, wie in Strömen zu regnen. Ich blickte in den Himmel und spüre die Tropfen auf mein Gesicht prasseln, als ich stehen bleibe. Von der Kälte bekomme ich eine Gänsehaut und zittere am ganzen Körper, bis ich spüre, wie er seine Jacke wieder um mich legt. Auch wenn ich mir nicht helfen lassen will, funktioniert es ohne ihn nicht. Ich brauche ihn. Plötzlich muss ich mich an diese Nacht erinnern, bevor wir verheiratet wurden und die Situation dieser geähnelt hatte. Damals hatte er mich ebenfalls aufgefangen, als ich zu fallen drohte. Er hatte sich um mich gesorgt. Doch mir war das nicht bewusst gewesen.

"Du wirst dich erkälten. Lass sie an, bis wir Zuhause sind. Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn du krank wirst", spricht er leise, was mein Herz zum Schmelzen bringt. Wie gerne hätte ich ihn jetzt umarmt. Doch etwas in mir hält mich davon ab, weswegen ich mich zusammenreiße und weiter gehe. Als wir ankommen, trifft es mich wie der Blitz. Ich mustere ihn von oben bis unten. Er zittert etwas und hat auch einige Male geniest. Meinetwegen wird er sich eine Grippe einfangen, denke ich mir und mache mir Sorgen um ihn, während ich ihn beobachte. Ich will ihm helfen. Ich muss mich um ihn kümmern. Also mache ich ihm, während er duscht, einen Tee und eine Suppe. Er darf nicht krank werden. Wenn das passieren würde, wäre nämlich ich es, die sich Vorwürfe machen würde. Seine starken Arme umarmen mich von hinten, während ich in der Küche stehe. Er riecht vedammt gut. Seine Haare hat er nach der Dusche wohl geföhnt, da sie sich trocken anfühlen, als er seinen Kopf auf meine Schulter legt. Seine großen Hände weilen auf meinem Bauch und sein gleichmäßiger Atem gibt mir ein beruhigendes Gefühl. Seine Nähe löst in mir immer wieder eine innere Ruhe aus, die ich bis heute nicht beschreiben kann. Sie tut mir einfach jedes Mal gut. Auch die Übelkeit sowie das Schwindelgefühl und die Kälte, die mir die ganze Zeit über eine Last gewesen sind, sind verschwunden. Doch er spürt wohl, dass es mir nicht sonderlich gut geht.
"Ist alles okay, Leyla?", fragt er mich dann, woraufhin ich mich von ihm löse.
"Setz dich", sage ich nur und blicke ihn nicht dabei an. Er tut es. Ich setze die Suppe sowie den Tee vor ihm ab und setze mich ihm gegenüber. Erst dann erhebe ich meinen Blick und sehe erst jetzt, wie besorgt er mich anblickt. Aufmunternd blicke ich ihn an.
"Du darfst nicht krank werden. Trink deswegen den Tee und iss die Suppe. Dann wird es dir besser gehen", sage ich lächelnd, doch er bleibt weiterhin ernst.
"Und was ist mit dir?", fragt er mich dann. Ich weiß keine Antwort darauf.
"Mir geht es gut, Can. Alles ist gut", antworte ich nur. Er belässt es dabei und isst seine Suppe. Doch schon nach drei Löffeln stoppt er und blickt mich wieder an.
"Nein. Du wirst auch krank werden", sagt er, was
mich verwundet. Er geht in die Küche und kommt eine Minute später mit noch einem Teller sowie einem Löffel zurück. Er stellt ihn vor mich hin und setzt sich dann wieder hin.

"Iss", sagt er, was ich auch tue. Tatsächlich stärkt mich die Suppe etwas. Während wir essen, sprechen wir beide kein Wort. Ich habe jedoch trotzdem nur ihn im Kopf und bin mehr als dankbar dafür, ihn meinen Ehemann nennen zu dürfen. Und ich denke, dass er in diesem Moment das selbe denkt. Nachdem wir fertig sind, geht Can ins Schlafzimmer und ich räume das Geschirr weg. Auf einmal überkommt mich wieder dieser Schwindel. Ich halte mich an der Kante fest der Küchentheke fest. Warum passiert mir das nur? Nach einem Glas Wasser begebe ich mich dann schließlich ins Schlafzimmer. Doch als ich in der Tür stehe, überkommt mich erneut dieses Schwindelgefühl und ich drohe umzukippen. Hätte er mich nicht sofort festgehalten. Wieder. Jegliche Kraft verschwindet aus meinen Beinen und wir beide sacken gemeinsam zu Boden. Krampfhaft halte ich mich an seinem Oberteil fest, während er mich ebenfalls festhält. Ich fühle mich so ausgelaugt, so schwach, so kraftlos. Can hebt mein Gesicht an, woraufhin ich ihn ansehe. Er sagt jedoch nichts, sondern hebt mich nur hoch und trägt mich zu unserem Bett. Alleine schon wegen dieser Geste wäre ich ihm liebend gerne um den Hals gefallen, da er so unglaublich süß ist. Als er mich behutsam auf das Bett legt, mustert er mich intensiv. So, als wäre ich das Schönste, was er jemals gesehen hat.
"W-was ist los?", frage ich ihn nach einiger Zeit, da mir das irgendwie unangenehm ist. Er legt seinen Kopf etwas schief und kommt mir plötzlich näher. Seine braunen Augen funkeln. Er sieht so bezaubernd aus.
"Ich frage mich nur, ob du schon immer so wunderschön gewesem bist", sagt er und mein Herz scheint für diesen kurzen Moment auszusetzen. Selbst nach solch langer Zeit schafft er es, mein Herz höher schlagen zu lassen. Er nähert sich mir und gibt mir einen sanften Kuss auf die Stirn. Dann legt er sich neben mich und nimmt mich in seine Arme.
"Es tut mir leid", sagt er leise, während er mit meinen Haaren spielt. Stumm höre ich ihm zu.
"Ich hätte es dir sagen sollen. Bitte, glaube ihnen kein Wort. Ja, Mert hatte eine kleine Schwester, die sich das Leben genommen hat. Aber das war nicht meine Schuld gewesen", fängt er an und erzählt mir dann die ganze Wahrheit, die ich ihm auch glaube. Also starb Cans kleine Schwester umsonst. Sie starb wegen einer Feindschaft, die wegen eines Missverständnisses entstanden war. Sie haben das alles umsonst durchgemacht. Sie haben beide umsonst ihre kleinen Schwestern verloren. Umsonst wurden sie zu solchen Rebellen. Wäre dieses Missverständnis nie entstanden, wären sie weiterhin miteinander befreundet und wären keine gefährlichen Gangster geworden. Das heißt, dass Can anders gewesen wäre, hätte ich ihn damals ohne seine schlimme Vergangenheit getroffen. Ich hätte nun eine Schwägerin und mein Mann hätte keine kriminelle Vergangenheit. Nein. Alles hat seinen Grund. Wenn alles so gekommen ist, wie es nun mal ist, dann soll es auch wohl so sein. Schließlich hat Gott dieses Schicksal für uns vorherbestimmt. Er wird alles in den richtigen Weg leiten und uns Frieden schenken. Da bin ich mir sicher. Ich glaube an ein friedliches Ende. Und bis dahin würde ich den Glauben daran nicht verlieren.

Mitten in der Nacht werde ich dann wach und muss mich seltsamerweise übergeben. Vielleicht habe ich heute nur einen empfindlichen Magen oder eine Magendarmgrippe. Als ich jedoch aufstehe, wird mir mit einem Mal wieder schwindelig und ich halte mich am Waschbecken fest. Was ist das nur? Zitternd wasche ich mir mein Gesicht und versuche mich zusammen zu reißen. So viele Gedanken schießen mir in den Kopf und mit ihnen auch meine Tränen. Ich mache mir Sorgen. Sorgen um Can. Sorgen um unsere Zukunft. Und vorallem mache ich mir Sorgen um den Traum, der langsam real wird. Denn es kam so, wie es kommen musste. Can wurde festgenommen. Er hat einige Gerichtsverhandlungen vor sich und ich sitze nun vollkommen schockiert alleine Zuahause. Mein Mann wurde festgenommen. Wir wurden getrennt. Mal wieder. Und ich spüre, wie mein Herz sich seit dem Moment, in dem er meine Hand losgelassen hatte und abgeführt wurde, zusammengezogen hatte. Mein armes, nun einsames Herz.

ZwangsheiratWhere stories live. Discover now