Kapitel 63

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Sprachlos lasse ich mich auf meinen Stuhl sinken und spüre, wie mir die Tränen kommen. Tränen der Reue und des Schmerzes. Sie leidet. Meinetwegen. Und das schon seit Jahren. Was habe ich nur getan? Diese Wunden, sind meinetwegen enstanden. Meinetwegen ist sie so gebrochen. Dabei wollte ich doch nur verhindern, dass sie stirbt und jetzt kommt es mir so vor, als wäre ihr Leben trotzdem in Gefahr. War diese Trennung umsonst gewesen? Habe ich ihr damit noch mehr Schaden zugefügt? Bin ich so ein schlechter Mensch? Wütend und verzweifelt raufe ich mir meine Haare. Das geht so nicht weiter. Wenn ich bei ihr bin, ist sie in Gefahr. Doch wenn ich nicht bei ihr bin, ist sie ebenfalls in Gefahr. Was soll ich also tun? Was kann ich tun? Tagelang denke ich nun nach. Leylas Anblick erschreckt mich von Tag zu Tag immer mehr. Sie sieht so blass und kaputt aus, dass es mir das Herz jedes Mal aufs Neue bricht. Ich weiß, dass es meine Schuld ist. Am Wochenende beschließe ich, mal nach draußen zu gehen und ein wenig das Nachtleben zu genießen. Ich muss mich unbedingt ablenken, da meine Gedanken nur noch bei Leyla sind. Doch natürlich kann ich in keinen Club gehen, da wieder etwas dazwischen kommen muss. Mein Handy klingelt.
"Can. Bitte, komm schnell. Yasin ist auf der Flucht vor diesen Typen", sagt einer meiner Kumpels panisch. Er hat mich angerufen, da Yasin sich in Gefahr befindet. Yasin ist ein Kumpel von mir, der dafür bekannt ist, sich selbst in die ein oder anderen Scheiße zu reiten. Und das sehr oft. Diese Typen sind nichts ohne mich. Was würden sie bloß ohne mich tun?

"Ich bin gleich da", sage ich, lege auf und begebe mich an den Ort des Geschehens. Yasin müsste eigentlich, so wie ich ihn kenne, hier in der Nähe sein und sich in einer dunklen Gasse verstecken. Er hat schon wieder Mist gebaut und hat damit mal wieder irgendwelche Schlägertypen verärgert. Er ist so jung und unerfahren, was das Straßenleben betrifft. Immer bin ich es, der ihn aus dieser Scheiße rausholt. Der wird was erleben. Schließlich habe ich ihm schon so oft gesagt, dass er aufpassen soll und sich nicht in Gefahr begeben soll. Warum kann er nicht einmal auf mich hören? Ich nehme mein Handy und rufe Yasin an. Er nimmt glücklicherweise ab.
"C-Can?", fragt er schnell atmend. Er scheint sehr verängstigt zu sein.
"Wo bist du?", frage ich ihn auffordernd.
"Weiß ich gerade selbst nicht. In so einer dunklen Gasse, in der Nähe vom Park", antwortet er. Ich seufze.
"Wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass du keine Scheiße bauen sollst? Was soll das?", frage ich ihn wütend.
"Tut mir leid", antwortet er nur. Na ja. Ich sollte ihn jetzt erst einmal suchen, danach kann ich ihn immer noch fertig machen.
"Ich werde dich suchen. Bleib da, wo du bist", sage ich, lege auf und suche ihn weiter. Ich bin etwas genervt und wütend. Dabei wollte ich mich heute doch nur ganz normal amüsieren und jetzt suche ich die halbe Stadt nach diesem Idioten Yasin ab. Ich fahre jede Gasse ab und laufe auch in dunklere Ecken. Nach einer halben Stunde werde ich dann tatsächlich fündig.

Er kniet in einer dunklen Ecke und haltet dabei sein Handy fest in der Hand. Ich sehe schon von weitem, wie er zittert und begebe mich sofort zu ihm. Wie ein kleiner Junge blickt er zu mir auf. Ich knie mich zu ihm. Viele Wunden zieren sein Gesicht. Ich sehe ihm die Angst an. So war ich genauso, als ich am Anfang dieses Straßenlebens stand und ständig Mist gebaut hatte. Verzweifelt und verängstigt. Doch ich hatte damals niemanden gehabt. Yasin hat Glück, dass er Leute wie mich kennt und jederzeit anrufen kann.
"Was soll dieser Scheiß?", frage ich ihn ruhig. Er weiß selbst keine richtige Antwort darauf, da ihm zuerst keine einfällt.
"Sie haben mich provoziert und dann habe ich einen von denen geschlagen. Jetzt suchen die mich. Sie wollen mich töten", erklärt er mir. Ich deute ihm, dass er aufstehen soll und dies tut er.
"Vergiss niemals, dass es auf der Straße nur eine Bedienung gibt. Entweder leben oder sterben. Du selbst musst entscheiden, was du wählst. Wenn du überleben willst, kämpfe. Wenn du sterben willst, gib auf. Du hast die Wahl. Das ist das Prinzip eines Kämpfers. Hast du verstanden?", erkläre ich ihm und er nickt. Ich lächele, wollte gerade vorausgehen, doch natürlich blockierten uns diese Typen den Weg. Es sind vier, die uns wütend anschauen. Yasin versteckt sich ängstlich hinter mir. Seufzend mustere ich diese Typen. Auf einen Kampf habe ich eigentlich keine besondere Lust heute.
"Geht aus dem Weg", fordere ich die Typen sofort auf. Der eine mit den blonden Haaren und der blauen Jacke mustert mich genau.
"Hey, warte mal. Du bist doch Can Yalçin, oder?", fragt er mich ungläubig. Ich grinse.
"Das würde uns viel Respekt  und Macht einbringen, wenn wie den erledigen", meint der eine, mit der schwarzen Jacke, der neben dem Blonden steht. Der Blonde grinst gerissen und auch mein Grinsen wurde bereiter.

"Dann zeigt mal, was ihr drauf habt", sage ich herausfordernd. Das sollte eine Kampfsage sein. Die Typen lassen sich das nicht zweimal sagen und gehen sofort auf mich los.
"Renn weg, Yasin", befehle ich Yasin. Schockiert blickt er mich an.
"Aber, Can. Du bist sonst alleine. Ich kann dich doch nicht im Stich lassen", spricht er besorgt, woraufhin ich ihn anblicke.
"Ein Kämpfer muss für sich selbst einstehen", antworte ich. Er nickt daraufhin und rennt weg. Ich wehre jeden Schlag gekonnt ab und mache diese Typen letztendlich fertig. Natürlich bekomme ich den ein oder anderen Schlag ab. Doch natürlich können diese Typen nicht fair sein. Einer zückt ein Messer und trifft mich damit am Arm. Scheiße! Ich versuche den Schmerz und die weiteren Schmerzen, die mir durch dieses Messer zugefügt werden, auszuhalten. Ich nehme meine ganze übrige Kraft zusammen und mache die Typen fertig, sodass sie am Ende am Boden liegen. Schmerzerfüllt versuche ich aufzustehen, was mir glücklicherweise gelingt und sehe die Typen drohend an.
"Wenn ich euch noch einmal hier sehe, werde ich noch brutaler sein", warne ich sie und gehe dann. Die Schmerzen machen es mir nicht gerade einfach. Scheiße.

Leyla POV

So ein Mist. Ich spüre die ersten Regentropfen auf meiner Haut, spanne daraufhin meinen roten Regenschirm auf. Zum Glück habe ich einen mitgenommen. Ich bin unterwegs, da ich einfach die Nachtluft ein wenig genießen wollte. Außerdem wollte ich meinen Kopf etwas frei kriegen. Cansu übernachtet bei Azra, da sie so gerne mit Kaan spielen wollte. Ich bin also heute Abend alleine zuhause, was mir überhaupt nicht gefällt. Alleine zu sein ist etwas Furchtbares. Einige Zeit laufe ich die Gassen entlang, bis ich mich in einer finsteren befinde. Seltsam. Wo bin ich hier gelandet? Verwundert blicke ich mich um und gehe etwas den Weg entlang. Durch die Dunkelheit erkenne ich nicht viel. Doch eine Sache bemerke ich plötzlich. Neben einem Container sitzt jemand auf dem Boden und scheint wohl zu schlafen. Es ist ein erwachsener Mann. Das erkenne ich sofort an der Silhouette. Langsam trete ich näher heran. Er hat viele Wunden und blutet auch etwas. Was ist mit ihm passiert?

Sein Gesicht erkenne ich nicht. Ich knie mich zu ihm, während ich den Schirm in meiner Hand halte und betrachtete ihn genauer. Moment mal. Das ist doch nicht möglich! Das ist nicht irgendein Mann. Das ist Can! Ich traue meinen Augen kaum. Was tut er hier um diese Uhrzeit und warum sieht er so aus? Sein Anblick macht mir sehr zu schaffen. Er zittert am ganzen Körper, hat die Augen geschlossen. Langsam strecke ich meine Hand aus und will seine Wange berühren. Er hat seine Augen weiterhin geschlossen und seinen Blick gesenkt. Seine nassen Haare hängen ihm im Gesicht. Der Regen kann ihn jedoch nicht mehr erreichen, da ich den Schirm nun über uns beide halte. Ich bin kurz davor, seine verwundete Wange zu berühren, doch mit einem Mal hält er mein Handgelenk fest, woraufhin ich zusammenzucke. Das Einzige, was noch zu hören ist, ist mein schnell schlagendes Herz und der prasselnde Regen. Ansonsten herrscht Stille. Plötzlich wehte ein seltsamer Wind und mein Regenschirm fliegt mir aus der Hand, davon.

ZwangsheiratWhere stories live. Discover now