Kapitel 75

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Wie gelähmt starre ich auf den Plastikstreifen in meinen Händen.

Niemals hätte ich gedacht, dass eine chemische Reaktion, welche lediglich zwei Striche zum Vorschein bringen kann, so ein Gefühl in mir auslösen könnte. Auf einmal zählt nichts mehr. Es zählt nicht mehr, was passiert ist. Es zählt nicht mehr, dass ich mich selbst aufgegeben hatte und dennoch wieder zu mir gefunden habe. Es zählt nicht wie kompliziert die Dinge zurzeit zwischen mir und Ryan sind. Alles was zählt ist diese alles verändernde Tatsache. Denn egal, was ich machen werde, egal, wie ich damit umgehen werde, dieses Plus wird für immer einen Teil in meinem Leben drastisch verändern.

Die Erkenntnis trifft mich. Mir wird die Bedeutung dessen, was ich da in meinen Händen halte bewusst und ich kann nichts tun als laut aufzuschluchzen. Aus Schluchzern werden Tränen und aus Tränen Rotz und Wasser.

Ich heule was das Zeug hält und klammere mich erbärmlich am Waschbeckenrand fest. Denn egal, wie ich es drehe und wende, ich stehe in meiner Entscheidung komplett alleine da. Ich muss über den Rest meines Lebens entscheiden, aber nicht nur das sondern auch über das Leben eines anderen Menschen.

Ist es das? Sehe ich den Embryo in mir als Menschen an? Die Antwort ist ein deutlich ja und ich fange wieder an zu heulen. Wenn ich mich dagegen entscheide, dann töte ich einen andern Menschen.

Ich bin grausam überhaupt diesen Gedanken zu verfassen.

Gott, ich bin ein furchtbarer Mensch. Aber was bleibt mir anders übrig als meine Möglichkeiten abzuwägen? Schließlich sehe ich nichts als Schattenseiten.

Sollte ich mich dafür entscheiden, wäre ich alleine mit der Entscheidung. Schlimmer noch, ich müsste dafür einstehen und mit allem was ich habe diese Entscheidung verteidigen. Denn Ryan wird mich nicht unterstützen, er wird es nicht wollen und alles daran setzten, dass ich mich dagegen entscheide.

Seine Worte wiederholen sich immer wieder in meinem Kopf und werden wie ein großes Neonschild an meine geistliche Pinnwand gemeißelt.

„Treib doch ab."

Treib doch ab. Treib doch ab. Treib doch ab.

So als wäre es nichts. Als wäre es wie Pflaster abreißen, etwas alltägliches, ohne weitere Folgen und Auswirkungen. Aber so ist es nicht. Ganz und gar nicht. Jedoch würde Ryan es nie so sehen. Eine Abtreibung bedeutet ihm nichts. Er versteht nicht, was das mit einem machen kann, gerade als Frau.

Keine Frau auf dieser Welt kann behaupten, dass sie nach einer Abtreibung nichts gespürt hat, keine Reue empfunden hat und schon gar nicht, dass es spurlos an ihr vorbei gegangen wäre. Mal abgesehen von den gesundheitlichen Folgen, ist es eine unglaubliche psychische Belastung und schwer mit dem eigenen Gewissen vereinbar.

Da ist etwas in mir. Ein Lebewesen. Ein unschuldiges, kleines etwas und ich bin dafür verantwortlich. Es ist in mir drin, als Teil von mir. Wen ich mich dafür entscheide diesen Teil zu zerstören, zerstöre ich dann nicht einen erheblichen Teil von mir?

Eines ist klar: Ich brauche eine andere Meinung.

Zügig greife ich nach unserem Haustelefon und wähle Gabs Nummer.

Nach zwei Mal klingeln hebt er schon ab und lässt mich mal wieder nicht zu Wort kommen.

„Ellie, wo bist du hingegangen? Deine ganzen Sachen sind noch hier und Mason, Miss Krüger und Ryan sind komplett am Ausrasten!"

„Gab, du musst sofort her kommen!", spreche ich hastig dazwischen.

„Wo bist du überhaupt und was sage ich ihnen?", fragt er besorgt und raschelt mit irgendwelchen Sachen.

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