61. ...sind auch Schatten

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Der ausgedehnte Spaziergang hatte Felice gut getan, geholfen ihre Gedanken zu sortieren. Denn jetzt war ihr wirklich bewusst geworden, dass die Zeit der Untätigkeit vorüber war. Es wurde Zeit zu kämpfen. Astor konnte und durfte nicht länger in den Fängen Corvus bleiben.

Deshalb fand sich Felice pünktlich vor dem Wasserspeier, dem vereinbarten Treffpunkt vor Professor Dumbledores Büro, ein. Ungeduldig trat Felice von einem Fuß auf den anderen.

Ihre Miene war wie versteinert, während sie auf den Boden zu ihren Füßen starrte. Es waren kaum mehr Schüler auf den Gängen unterwegs und das Büro des Professors lag von den Hauptwegen etwas abgelegener, somit war Felice ungestört, ihren Gedanken nachzuhängen.

In eben diesen Gedanken begann sie eine Mauer um sich zu errichten. Wenn sie ihrem Bruder jetzt helfen wollte, durfte es nichts mehr geben, dass sie von ihrem Weg abbrachte. Demonstrativ rollte Felice sich den Ärmel ihres grauen Schulpullovers hoch und ballte die Hand zur Faust, spannte so ihre Muskeln an. Die wulstige weiße Narbe hob sich deutlich von ihrer blassen Haut ab. Entschlossen blickte Felice an sich hinab. Der Schmerz, der ihr dank des Fluchs ihres Vaters, ein ständiger Begleiter war, bestätigte sie in ihrem Entschluss.

Nicht für das größere Wohl, nein für Astors Wohl sollten diese Narben eine Erinnerung sein. Nichts durfte mehr so schmerzhaft sein wie die Gewissheit, das Astor wahrscheinlich nicht mehr lange durchhielt, wenn sie versagte.

Seine Rettung musste für Felice das wichtigste sein. Und wie bei einem Schutzzauber, zogen ihre Gedanken eine unsichtbare Mauer zwischen ihr und dem Rest der Welt hoch.

Felice verdrängte den Schmerz, dass ihre Freunde ihr so misstrauten und das zu Recht. Felice verdrängte das schmerzhafte zucken ihres Herzens, wenn sie an den Blick dachte, den Remus ihr zugeworfen hatte, bevor er aus Professor McGonagalls Klassenzimmer gestürmt war. So viel Verachtung und Abscheu...

Aber daran durfte sie nicht denken! Felice hatte von Anfang an gewusst, dass alles so kommen würde und das war es auch. Sobald sie Astor wieder bei sich hätte, würde sie nicht mehr zurückkehren. Sie würde Hogwarts niemals wieder sehen.

Wann diese Idee zu verschwinden genau gekommen war, wusste sie nicht. Sie war einfach da gewesen und hatte sich eingenistet in den tiefen Abgründen Felice' Geistes. Am besten wäre es, wenn sie also schon vorher mit allem abschloss. So wie vor ein paar Wochen, als sie den Professor hätte töten müssen und es nicht getan hatte.

Felice atmete tief durch und schloss die Augen. Den Kopf nach hinten, gegen die Wand gelehnt, konzentrierte sie sich auf ihre Mission. Den Ärmel ließ sie oben. Es gab keinen Grund mehr die Narben zu verstecken, bald wäre es egal.

Sie würde ihre Rache bekommen. Ihr Vater würde dafür büßen, was er Astor und ihr alles angetan hatte, dafür dass er ihre Mutter ermordet hatte und weiß Merlin noch wie viele.

Als Felice leise Schritte vernahm, drehte sie den Kopf in die Richtung aus der sie herkamen und öffnete die Augen, in der Erwartung den Professor vor sich stehen zu sehen. Aber statt des altehrwürdigen Schulleiters stand dort nur Remus, der die Hände tief in den Taschen seiner Hose vergraben hatte. Unsicher ob er wirklich genau jetzt, genau hier sein wollte, sah er Felice entgegen, deren Augen beinahe kalt zurück blickten.

>>Was willst du hier?<<, fragte sie ihn in beinahe gleichgültigem Ton. >>Ich wollte—<<

>>Dein Mantel liegt im Gryffindor Gemeinschafstraum auf der Sessellehne am Fenster.<<, unterbrach Felice ihn und wandte den Blick ab. Ein Schmerzhaftes pochen in ihrer Brust, verriet sie an sich selbst. Anscheinend war die Mauer noch nicht dick genug.

Die Erbin GrindelwaldsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt