Kapitel 1:

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Ich war echt müde und schlecht drauf. Die letzten Wochen waren unheimlich anstrengend für mich gewesen und im Gegensatz zu Awashima-Kun war ich so lang andauernde Einsätze so oft hintereinander nicht gewohnt. Während es ihr also deutlich besser ging als mir, hatte ich auch noch das Problem, jederzeit im Zug einschlafen zu können. Wir waren vorhin auf der Schulinsel, da es dort wohl Probleme gegeben hatte und man uns deshalb sofort zur Unterstützung rufen ließ.

"Können wir nicht mal eine Pause machen?...", fragte ich und gähnte herzhaft. Ich war wirklich todmüde. "Tut mir leid, so ist das nun mal. Aber es ist verständlich, dass du so müde bist. Immerhin musst du ganz ohne die Kraft unseres Königs zurechtkommen", meinte Seri-Chan mitfühlend.

Normalerweise sprach ich sie auch mit Awashima-Kun an, dies aber nur, wenn wir im Dienst und bzw oder mit Kollegen unterwegs waren. Jetzt so ganz unter Frauen und vor allem Freundinnen, benutzten wir auch gegenseitig den Vornamen und waren auch allgemein sehr eng miteinander befreundet.

Ich seufzte leise und nickte leicht. Sie hatte ja leider recht. "Mach dir keine Gedanken, Yumi-Chan. Das wird schon irgendwie", fügte sie dann hinzu und schaute mich leicht lächelnd an. Es war in letzter Zeit eher selten geworden, sie mit einem Lächeln im Gesicht zu sehen. Umso glücklicher machte es mich, dass sie jetzt lächelte. Sie war für mich sogar so etwas wie eine beste Freundin, somit fühlte ich mich dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sie öfters gute Laune hatte und nicht so extrem ernst war, wie wenn wir arbeiteten.

Nachdem der Zug an der Haltestelle auf dem Festland, wie ich immer so schön sagte, hielt, stiegen wir aus und beschlossen, erstmal zusammen eine Tasse Kaffee trinken zu gehen, bevor wir zurück zum Hauptquartier gehen und Munakata-San Bericht erstatten würden. Im Nachhinein ärgerte ich mich allerdings darüber, denn ich konnte ja nicht ahnen, worauf ich mich mit diesem Vorschlag eingelassen hatte.

"Sag mal, fühlst du dich nicht auch beobachtet?"
"Nein, wieso?"
"Ich schon..."
Ich schaute mich unruhig um. Ich fühlte mich sehr unwohl, ständig einen fremden Blick auf mir liegen zu spüren, während wir an der Hauptstraße entlang gingen. Und natürlich war das nicht mal das größte Problem an der ganzen Sache.

Bevor ich wusste, wie mir geschah, zog Seri-Chan mich plötzlich mit in eine Seitengasse.
"Was soll-"
"Pssst! Schau hin", fiel sie mir ins Wort und wies auf eine kleine Gruppe von ungefähr fünf/sechs Personen. Ich zuckte zusammen und schwieg. Jetzt hatte ich es begriffen.

Vorsichtig linste ich hinter der Ecke hervor und beobachtete die Gruppe. Kein Zweifel. Das mussten Mitglieder von dieser gefährlichen Straßengang sein. Wie hießen die noch gleich?... Im nächsten Moment hätte ich mir am liebsten selbst eine runter gehauen. Wie konnte ich das nur vergessen? Homra natürlich. Das waren ja sozusagen unsere 'Erzfeinde'. Und es war auch noch der Rote Clan.

Ich betrachtete sie genauer. Eine Gruppe von Männern, stellte ich zuerst fest. Moment, nicht ganz... Mein Blick blieb sofort an dem größten von ihnen haften und ich verkrampfte mich unbewusst. Warum musste der ausgerechnet jetzt auftauchen? Aber er war es, da war ich mir zu 100% sicher. Mikoto Suoh, der Rote König.

Dann bemerkte ich das kleine Mädchen neben ihm und versteckte mich sofort wieder hinter der Wand. Hoffentlich hatte der Rote König mich nicht gesehen, denn ich hatte das Gefühl, dass er in meine Richtung geschaut hatte. Und warum zur Hölle konnte ich meinen Blick zuerst nicht von ihm abwenden? Was heißt zuerst, hätte ich mich nicht erschrocken, hätte er mich auf jeden Fall gesehen. Wenn er es nicht sowieso schon hat.

Seri-Chan schaute mich besorgt an. "Ist alles in Ordnung?", fragte sie und riskierte selbst einen Blick. Ich würde am liebsten auch gleich wieder gucken, aber... Moment mal, was denke ich denn da!? Nein, nein nein. Ich schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden. "Aber gut zu wissen, dass der Rote König unterwegs ist", meinte sie anschließend und verwirrte mich damit. Was sollte daran gut sein, dass ein Typ wie der draußen herumlief?

"Wovon redest du?", fragte ich verwirrt. "Das wirst du gleich sehen. Komm mit", meinte sie ruhig und ich hatte ja im Grunde sowieso keine Wahl, als ihr zu folgen. Noch unangenehmer wurde es für mich, als wir vor einer gewissen Bar zum stehen kamen, die witzigerweise genauso hieß wie der Rote Clan. "U-und was genau wollen wir jetzt hier?", fragte ich verunsichert. Seri-Chan antwortete mir nicht, sondern betrat die gemütliche Bar als erste. Ich folgte ihr - absolut planlos, was das Ganze sollte.

Ein kleines Glöckchen klingelte, als sie die Tür öffnete und wir wurden von einem freundlichen, jungen Mann mit hellbraunen Haaren und einer violetten Brille auf der Nase begrüßt. Mich wunderte es, dass auch er meine Vorgesetzte mit 'Seri-Chan' ansprach. Die beiden kannten sich wohl schon länger.

"Sag mal, Seri-Chan, wer ist denn die reizende Dame, die du mitgebracht hast?", fragte er sie und stellte sich mir als Izumo Kusanagi vor. Ihm gehörte diese Bar also. "Das ist fürs erste nicht so wichtig, Izumo-San. Aber du kannst sie mit Yumi ansprechen", übernahm Seri-Chan für mich das Reden. "Yumi-Chan also. Ein schöner Name für ein schönes Mädchen. Freut mich sehr. Was darf ich denn dir anbieten?", sagte er und ich wurde sofort ein bisschen rot.

Da mir in der Situation nichts besseres einfiel, bestellte ich mir einfach ein Glas Wasser, während Seri-Chan sich für irgendwas mit Alkohol entschied. Was es war, hatte ich aber nicht verstanden. Nur eine Sache wurde mir während der paar Minuten, die nichts passierte und ich nachdenklich das Wasserglas anstarrte, bewusst. Wenn wir ganz großes Pech hatten, könnte es durchaus passieren, dass der Rote König zurückkommt, bevor wir wieder verschwunden waren. Ich hoffte sehr, dass zumindest das nicht passieren würde.

Seri-Chan unterhielt sich währenddessen mit dem überaus freundlichen Barkeeper und auch ich fand ihn ganz nett. Irgendwie war der gute ganz anders, als die ganzen Gerüchte sagten, die man so über den Roten Clan hörte. Naja vielleicht war er auch nur beim Arbeiten so, wer wusste das schon.

Etwas beunruhigt schaute ich mich um und dann zu Seri-Chan. "Müssten wir nicht langsam wieder los?", fragte ich möglichst unauffällig und hoffte, dass sie mir zustimmen würde. Zu meiner Überraschung wandte Kusanagi-San sich kurz an mich. "Keine Sorge. Mikoto kommt erst später wieder und die Jungs sind auch beschäftigt", meinte er und schmunzelte. Ich schaute ihn verwundert an, konnte er etwa Gedanken lesen?

Es war schon recht spät, als wir an diesem Abend wieder zum Hauptquartier zurückkehrten. Glücklicherweise war uns keiner von Homra in die Quere gekommen und Mikoto Suoh hatte ich auch nicht mehr getroffen, was ich schade fand... Moment, nein fand ich nicht. So ein Blödsinn...

Ich hatte mich, bevor ich ebenfalls zum Abendessen ging, abgeduscht und umgezogen. Irgendwie empfand ich das als sicherer, Seri-Chan würde es bestimmt genauso machen. Und selbst wenn nicht, so gut wie sie und Izumo Kusanagi sich kannten, würde es bei ihr garantiert keine Probleme geben. Müde und hungrig lief ich in die Mensa und nahm wie immer meinen Platz zwischen Seri-Chan und Munakata-San ein. Doch etwas war anders. Ich spürte Anspannung und das gefiel mir überhaupt nicht.

"Und Kazuki-San?... Wie ist es gelaufen?", fragte mein König und schaute mich ernst an. Als hätte er gewusst, dass ich mich einfach nur geweigert hatte, hinter den Grünen her zu spionieren. "Es geht... Ich habe nur ein paar Mitglieder von Homra gesehen, mehr nicht. Wir mussten ja plötzlich zur Schulinsel", meinte ich und aß schweigend weiter.

Der Blaue König nickte verstehend. "Ich muss mich dafür entschuldigen... Aber zwei durchaus hochrangige Mitglieder von Homra hatten dort randaliert. Um Fushimi kümmere ich mich noch persönlich", meinte er. Oh... Oh... Das verhieß nichts Gutes. Ein schlecht gelaunter Fushimi konnte durchaus gefährlich werden.

"Bitte sag mir, dass ich mich nicht schon wieder um diesen Idioten kümmern muss", murrte ich leise zu Awashima-Kun und seufzte. "Keine sorge. Der geht heute nirgendwo mehr hin, soviel ist sicher", meinte sie beruhigend. Ich nickte nur und erhob mich wieder. Überrascht schaute sie mich an, denn es war keine Viertelstunde vergangen, seitdem ich mich gesetzt hatte. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie war mir der Appetit vergangen...

Ich schaute sie entschuldigend an, bevor ich mich meinem König zuwandte. "Verzeiht... Aber ich bin müde", meinte ich leise und verzog mich auf mein Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten. Dort angekommen warf ich mich auf mein Bett und schaute still an die Decke. Langsam aber sicher dachte ich immer mehr über den Tag nach. Eine seltsame Wendung... Und was war eigentlich mit mir los gewesen?

Ich setzte mich auf, als ich ein Klopfen an meiner Zimmertür vernahm und erlaubte, einzutreten. Es überraschte mich nicht, dass Seri-Chan diejenige war, die mir gefolgt war. So war es immer, wenn ich mich früher als gewöhnlich aus dem Speiseraum verzog oder aber schweigend da saß und nichts zu mir nahm. Sie wusste einfach immer, wenn ich jemanden zum Reden brauchte.

☑[K] Zwischen Chaos, Ordnung & der Liebe✅Where stories live. Discover now