01 | flucht.

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Für den Rest ihres Lebens würde sich Maden Bolton fragen, was geschehen wäre, wäre ihr Vater in jener Nacht nicht nach Hause gekehrt. Hätte er seine Familie bloß ein klein bisschen weniger geliebt. Oder auch, hätte er nur ein klein bisschen mehr in sie vertraut.

Denn dann wären sie vielleicht noch immer am Leben. Alle von ihnen: Ihre Ma, John, Gus. Oder aber, sie wären trotzdem alle tot. Und Maden wäre eine von ihnen. Mit roten Rosen und leise flackernden Lichtern auf ihrem Grab.

Der Tag, an dem Andrew Bolton nämlich von seiner Dienstreise aus England zurückkehrte, war ein Freitag. Und der Tag, an dem sein Haus in Flammen stand, begann in derselben Nacht.

Draußen um den Nichtzauberer-Ort Thurles ertrank die stumme Mitternacht den irischen Abendhimmel und Maden hatte einem bedeutungslosen Tagtraum über ihren Verwandlungshausaufgaben nachgehangen, als die Türschwelle des Hauses knarrte.

Später einmal würde sie behaupten, dass sie es hätte ahnen können – es hätte ahnen müssen –, dass sich die Dinge ändern würden. Unmittelbar bevor sie es wirklich taten. Dass die abgehackte Gangart ihres Vaters oder auch seine angeregt zischende Stimme in der Luft gehangen hatte wie Blei; dass sein wettergegerbtes Gesicht im verdunkelten Flur geschwebt war wie eine Unmöglichkeit – er war viel zu früh zuhause gewesen; viel zu unüblich, mitten in der Nacht.

Dass Maden nicht die Erste gewesen war, die erkannt hatte, dass etwas nicht stimmte. Ihre Mutter war trotz des Kusses auf ihrer Stirn im Türrahmen erstarrt; ein Versprechen von Geborgenheit, das nicht zu dem Ausdruck auf dem Gesicht ihres Mannes passte.

Genauso wenig wie sein Tonfall, die Härte in seinen Worten: „Ich habe Gus gerufen, er kommt her."

Keine Begrüßung. Keine Leichtigkeit. Asche auf seinen Schultern wie ein Mal.

Das Klicken der Haustür hallte selbst da noch immer in Madens Ohren nach.

„Dad, was ist los?"

Sie hatte auf den kalten Fliesen gestanden und zu ihm gestarrt, ihren kleinen Bruder John am Arm, der nichts verstand. Und es folgte bloß der alles entscheidende Blick ihres Vaters, der sie nicht ansah, sondern nur seine Ehefrau fand: „Marie, bring die Kinder hoch."

Und Maden hätte es wissen müssen. Es wissen müssen, auch wenn sie es nicht hätte wissen können. Allein anhand der Tatsache, dass ihr Vater ihren Bruder rief; dass Augustus Bolton nach Hause kam und sie nicht begrüßte. Dass seine Prankenhände und sein Gewinnerlächeln nicht durch den Türspalt lugten. Auch, wenn es Mitternacht war, auch, wenn sie schlafen sollte - Maden, lass die Hausaufgaben sein, geh ins Bett - er war immer vorbeigekommen.

Doch nun lag auch in seinem Tonfall drückende Ungewissheit: Die Art eines Erwachsenen, der sich zu etwas Größerem verpflichtet hatte, der die Last des Lebens viel zu gefasst auf sich nahm. Und noch nie war Maden ihr Bruder fremder erschien, noch nie bewusster, ergebener, als sie ihn und ihren Vater weit nach Mitternacht in der Küche belauschte.

„Sobald ich eine Antwort erhalte, kehre ich nach England zurück."

Ein schmaler Spalt in der Tür warf gelbes Licht auf den Boden des Hausflurs und der Schatten ihres Vaters huschte an der Tapete entlang. Ihr hitzigen Gespräch hatten sie aus ihrem Zimmer gelockt, Unruhe hatte sich in jede Faser ihres Körpers geschlichen.

Jetzt bohrten sich ihre nackten Füße auf die unterste Treppenkante und selbst, wenn der Verwandlungsaufsatz sie noch vor einer Stunde in neblige Schläfrigkeit getränkt hatte, war sie nun hellwach. Durch das offene Fenster über ihr drang ein fernes Grillenzirpen mit dem Rest der Tageswärme hinein, während die windlose Nacht ganz Irland verschluckte; es war ein heißer Sommer.

THE OUTCOME » fred weasley ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt