Das Monster neben mir

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Langsam öffnete ich die Augen. Das erste was ich sah war Blau. Eine wunderschöne blaue Iris, die nicht ihr gewöhnliches kaltes Schimmern von Eis besaß. Eher wie die unendlichen Tiefen des Ozeans. Er war so nah. Mein Blick zuckte zu seinen schön geschwungenen Lippen. Es wäre so leicht. Eine kleine Bewegung und ich würde endlich wissen, wie diese Lippen sich anfühlten. Ob sie so weich waren wie sie aussahen. Mir fehlte allerdings der Mut um über diese kleine Hürde zu springen und meinem Wunsch nachzugehen. Also verharrte ich genauso wie ich war. Um uns herum war alles still. Keiner traute sich etwas zu sagen, sonst wäre der Moment fort. Mir wäre es lieber, er würde dennoch etwas sagen. Irgendetwas. Sonst lief ich Gefahr etwas sehr dummes zu tun.
Sein Atem traf mein Gesicht. Ich erstarrte.
"Es tut mir leid.", flüsterte ich dann und schloss die Augen wieder. Ich konnte das nicht. Er war doch ein Monster. Aber er hatte auch diese andere Seite. Die Seite die mich wieder gerettet hatte. Zum zweiten Mal. Die Seite die neben mir im Bett lag.
"Was tut dir leid?", fragte er. Seine tiefe dunkle Stimme klang ein wenig kratzig, als hätte er seit Tagen nicht mehr geredet. Schön.
Ich setzte mich auf, fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare und biss mir auf die Lippe. Ich wusste, dass er mich beobachtete und ich wusste, er würde mich auffangen falls ich fallen sollte. Seine Blicke brannten sich geradezu in meinen Rücken. Aber ich hatte keine Angst.
"Ich weiß es nicht. Vielleicht, dass ich damals gesprungen bin. Dass ich nicht auf dich gehört habe. Dass ich mich gestern Nacht eingeschlossen hab. Dass du da warst. Dass ich zusammengebrochen bin. Schon wieder. Dass wir uns so kennengelernt haben. Dass ich nicht stark genug für dich bin."
Meine geflüsterten Worte hingen im Raum.
Zwei, drei Minuten passierte gar nichts und ich fürchtete schon, Adrien wäre leise verschwunden. Aber dann merkte ich wie er sich ebenfalls aufrichtete und spürte eine Berührung an meiner Wange. Ganz leicht. Wie ein Sonnenstrahl sich an einen grauen Tag durch die dunklen Wolken schiebt.
Ich wagte nicht zu atmen. Unsicher schloss ich die Augen und wartete. Er strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Eine kleine unbedeutende Geste die doch so viel aussagte.
"Ich bin froh, dass du das gesagt hast.", wisperte er dann. "Gerade das zeigt mir, dass du viel stärker bist als du glaubst. Um wahre Stärke zu erkennen muss man den Unglauben daran erst aussprechen. Alleine dass du mir gegenüber sagst du fühlst dich zu schwach zeigt mir, dass du es nicht bist. Wer würde denn sonst seinem größten Feind zeigen, dass er nicht mehr kann. Dass der andere gewonnen hat. Niemand. Aber du hast es getan, Talia! Du bist stark! Glaub an dich!"
Ich öffnete meine Lider und sah zu ihm. Tränen glitzerten in meinen Augen. Aber ich wollte nicht mehr weinen. Das hatte ich in der letzten Zeit zu oft. Viel zu oft.
"Warum?", wollte ich wissen. In seinen Augen sah ich Schmerz. Gott, er war so wunderschön.
"Ich weiß es nicht.", erklärte er dann. "Es ist nur... Ich... Ach scheiße." Er vergrub das Gesicht in den Händen und stöhnte.
Okay, das war jetzt irgendwie peinlich. Was sollte ich jetzt machen? Unsicher saß ich in dem fremden Bett. Neben mir der Chef der Schattenwesen persönlich. Sollte ich gehen? Nach kurzem Überlegen entscheid ich mich dagegen. .Ich wollte ihn lieber nicht erzürnen.
Sollte ich ihn... trösten? Aber wie tröstete man seinen Entführer? Seinen schlimmsten Albtraum?
Vorsichtig blickte ich zu ihm. Sein Atem machte ein komisches Geräusch, wenn er auf Adriens Handflächen traf. Seine schwarzen Haare standen ihm in alle Richtungen vom Kopf.
Ganz langsam streckte ich meine Hand aus und fuhr ihm darüber. Die Schwarze Masse fühlte sich weich an. Und strohig. Eigentlich ein schönes Gefühl.
Ich hatte wahrscheinlich eher damit gerechnet, dass er es mir verbieten oder einen blöden Spruch loslassen würde. Aber als nichts passierte, fuhr ich erneut leicht mit den Fingern durch seine schwarzen Haare. Meine Hand zitterte. Es war ein Spiel mit dem Feuer und ich wusste, dass ich mich verbrennen konnte. Aber es passierte nichts. Er saß einfach bewegungslos da und tat gar nichts!
Irgendwie traute ich dem Frieden noch nicht. Ich konnte, nein ich WOLLTE, nicht glauben dass es so friedlich sein konnte. So leicht. Immerhin handelte es sich hier um Adrien! Ich meine Adrien, der mich entführt hatte! Adrien der... ja was eigentlich? Meinen Piercing geklaut hatte? Das klang ziemlich albern. Ja, er machte mir Angst! Und ja, er hatte mich entführt! Aber das war's doch eigentlich schon. Er hatte mir nichts getan. Eigentlich.
Stattdessen hatte er mich gerettet. Mehrfach. Und er war für mich da wenn es mir schlecht ging. 'Er ist nicht wie du!', erinnerte mich eine kleine Stimme in meinem inneren. Und ich wollte ihr glauben. Ich wollte glauben, dass Adrien ein Monster war. Ein unmenschliches Wesen, das Frauen entführte.
Aber das was hier neben mir saß, war das komplette Gegenteil. Nicht zu vergessen die letzte Nacht, als er mich zugedeckt hatte.
Als ich erneut einen Blick auf ihn warf, bemerkte ich, dass meine Hand inzwischen gleichmäßig durch seine Mähne glitt und er die Hände von seinem Gesicht genommen hatte. Sein Blick begegnete meinem und mir stockte der Atem. Adriens Augen glitzerten so schön. So unglaublich schön. Meine Hand rutschte vorsichtig von seinen Haaren hinunter über seine Schläfe bis hin zu seiner Wange. Jede Sekunde fürchtete ich zu weit gegangen zu sein und er aufspringen und mich anschreien würde. Aber es geschah nichts desgleichen. Sein Blick hielt den meinen fest und ich war nicht gewollt ihn abzuwenden. In seinen Augen lag eine so unendliche Tiefe, dass ich mit meinem Gesicht am liebten noch näher an seines gekommen wäre um dieses "Etwas" darin genauer sehen zu können. Doch ich schaffte es im letzten Moment mich zurückzuhalten.
Mein Daumen strich bedächtig über seinen Wangenknochen. Seine Haut war weich. Sanft schmiegte er sich an meine Hand.
"Warum hasst du mich so?", fragte er dann und obwohl er ziemlich leise sprach, hallte seine Stimme laut in der Stille des Raumes. Erschreckt zog ich meine Hand zurück und schloss kurz die Augen.
"Ich hasse dich nicht.", wisperte ich und sah zu wie seine Hand sich meiner näherte, sie erreichte und zu sich zog. Sie festhielt.
Während ich meine nächsten Worte sagte, schaffte ich es nicht ihm in die Augen zu sehen.
"Ich hasse es, dass mein Herz schneller schlägt, wenn du im gleichen Raum bist wie ich. Ich hasse es, dass ich in deinen Augen versinken könnte. Ich hasse es, dass mein Selbstbewusstsein sich komplett verabschiedet, wenn du mit mir redest. Ich hasse es, dass meine Knie zittern wenn du mich ansiehst. Ich hasse es, dass meine Gefühle durchdrehen wenn du mich berührst. Ich hasse es, dass ich nicht mehr weiß was ich sagen soll, wenn du mich etwas fragst. Ich hasse es, dass du mir das Leben gerettet hast, denn das macht es schwer dich zu hassen. Ich hasse es, dass ich in dir mehr sehen könnte, als das Monster, dass mich entführt hat."

So meine Lieben!
Ich weiß dass es nur ein kurzes Kapitel war, aber mir war diese Szene zwischen den beiden irgendwie wichtig und ich hab mir echt Sau viel Mühe gegen dieses Kapitel so hinzukriegen und hoffe es ist mir gelungen. Sagt mir was ihr davon haltet. Aber ich werde morgen wahrscheinlich noch eins hochladen.
Dann möchte ich mich noch bedanken, ich habe in den letzten Tagen so viele Nachrichten und Rückmeldungen erhalten, dass ich erst bisschen überfordert war, weil ich einfach nicht wusste, wie ich mit so viel Lob umgehen sollte. An alle die sich jetzt angesprochen fühlen noch einmal ein ganz dickes Fettes Dankeschön! Eine Person möchte ich sogar namentlich benennen, weil ich noch nie ein sicher Kompliment bekommen habe und es mich in gewisser Weise berührt hat.
Vielen Dank also an KatyPeter95!
An alle anderen kann ich nur sagen, dass ich mich so wie immer über Votes und Kommis freuen würde.

Eure

Anna-Lena

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now