Strandläuferin

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Adrien erstarrte mitten in der Bewegung. Auf seinem Gesicht zeichnete sich so etwas wie Unglauben und Überraschung ab, doch relativ schnell wurde daraus Wut.
„Ihr habt was?", fragte er leise. In seinem Blick lag etwas Gefährliches.
Ich schluckte und spielte nervös an meinen zitternden Fingern. „Ja... Ich... Wir... Er hat mich geküsst.", stammelte ich und sah auf den Sandboden.
Er stand auf, machte jedoch keine Anzeichen weg zu gehen. Nein, er verharrte einfach auf der Stelle.
„Wann?", wollte er stimmlos wissen.
Ich konnte ihn nicht ansehen. Er war verletzt, das wusste ich und ich würde den Schmerz in seinen Zügen nicht ertragen können. Vor allem da es meine Schuld war. Ich hätte es ihm früher sagen müssen! Ich... ich hätte es ihm einfach gleich sagen sollen. Im Auto. Oder auf dem Weg dahin. Doch ich doofe Kuh hatte geschwiegen! Zu meinem eigenen Schutz. Weil ich genau wusste, dass er sauer sein würde. Natürlich würde er sauer sein, immerhin hatten Cam und ich uns geküsst!
„In der Nacht in der wir geflohen sind.", murmelte ich leise und fokussierte noch immer den Sand.
„Ich hab kein Wort verstanden!", grollte Adrien und kam einen Schritt näher.
„In der Nacht vorm Krankenhaus. Als Nassim hinter uns her war.", wiederholte ich lauter und fuhr mir mit den wackelnden Händen über das Gesicht.
Sein Schweigen war mir Antwort genug. Dann hörte ich Schritte und als ich es endlich schaffte, den Blick zu heben sah ich gerade noch wie er an mir vorbeiging und in Richtung Haus marschierte.
„Adrien!", rief ich laut. „Bleib hier! Lass es mich erklären! Oder zumindest versuchen!"
Bei meinen Worten fuhr er herum.
„Was?", schleuderte er mir wütend entgegen. „Was willst du mir da bitte erklären?"
„Die ganze Situation!", schrie ich und merkte wie auch in mir langsam die Wut aufkochte. „Gib mir wenigstens die Chance es zu erklären! Glaubst du ich hatte das geplant?! So kurz nachdem ich mir endlich meine Gefühle für dich eingestanden hatte?!" Wahrscheinlich konnte Rafael und die halbe Insel mich hören, aber das war mir egal.
Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er warf das Handtuch, dass er über der Schulter trug auf den Boden.
„Ich weiß nicht was ich überhaupt noch glauben soll, VERDAMMT!!!", brüllte er laut.
„Du sollst mir glauben, du Vollidiot!", schimpfte ich und war kurz davor ihm den Kopf abzureißen. Er handelte viel zu schnell und intuitiv. Natürlich war er wütend und er hatte ja auch jedes Recht dazu. Aber vielleicht würde er anders darüber denken, wenn er die ganze Geschichte kannte. Doch dazu müsste dieser sture Mistkerl mir erst einmal zuhören!
„Wie hast du mich gerade genannt?", fragte er und kam langsam auf mich zu.
Ich lachte. „Du hast mich schon verstanden, de Manincor! Aber ich wiederhole es auch gerne nochmal. Ich weiß ja, dass dein Gehör während all der Jahre ziemlich gelitten hat. Du bist ein sturer, egoistischer Vollidiot! Zufrieden?" Mir war durchaus bewusst, dass ich mich auf dünnes Eis begab und jetzt eigentlich aufhören sollte ihn zu provozieren, aber ich fing gerade erst an!
Er kam immer näher, bis uns nur noch wenige Meter trennten. Seine Augen hatten einen leichten schwarzen Schimmer bekommen, allerdings schüchterte mich das nach all dem was ich schon gesehen hatte in den letzten Wochen,  nicht mehr wirklich ein.
„Sag das nochmal!", forderte er mich auf und sein rechtes Auge zuckte kurz.
„Was genau? Das stur? Oder das egoistisch? Oder doch das VOLL-IDIOT?" Die letzten zwei Silben betonte ich extra um ihm zu zeigen, dass er mir keine Angst machte.
Er knurrte bedrohlich und seine Augen wurden noch dunkler. „Das wirst du bereuen."
„Ach wirklich?" Ich lachte bitter. „Ich bereue es bereits, dass ich gedacht habe mit dir könne man vernünftig reden."
„ICH kann vernünftige Gespräche führen!", verteidigte er sich „Nur nicht wenn mein Gegenüber meinen Bruder geküsst hat."
„VERDAMMT ADRIEN!", brüllte ich „Ich. Habe. Ihn. Nicht. Geküsst. OKAY??" Ich atmete tief ein und aus und fügte dann sanfter hinzu: „Wenn du es mich erklären lassen würdest, wüsstest du das jetzt!"
Einige Minuten standen wir einfach nur da und starrten einander herausfordernd an. Keiner wollte der erste sein der nachgibt. Okay, vielleicht waren wir uns beide in dieser Sache ziemlich ähnlich. Stur waren wir offenbar beide.
Irgendwann gab er sich mit einem Seufzen geschlagen und schloss die Augen. Seine Körperhaltung entspannte sich und seine Schultern sackten ein Stück nach unten. Als er seine Augen schließlich wieder öffnete, war sogar der schwarze Schimmer verschwunden und das klare Blau blickte mir entgegen.
Augenblicklich atmete auch ich aus und ließ die Anspannung von mir weichen.
„Okay.", sagte er. „Sprich!" Seine Stimme klang müde.
Und so begann ich ihm von allem zu erzählen. Wie Cam und ich im Aufzug standen. Von dem Auto in der Einfahrt. Dass ich meine Kapuze verloren und sie uns entdeckt hatten. Wie wir gelaufen waren. Wie Nassim vor uns auf dem Weg stand. Wie ich gestolpert bin. Wie Cam mich geküsst hatte und schließlich auch wie sehr ich seit dem Moment damit kämpfte es ihm zu sagen und es nicht konnte, weil ich Angst hatte alles zu zerstören.
Wir saßen inzwischen im Sand und blickten hinaus auf das dunkler werdende Meer. Adrien hatte die ganze Zeit ohne ein einziges Wort zu sagen neben mir gesessen und zugehört.
„Ich weiß, dass es schwer ist das alles zu verstehen und ich erwarte auch nicht von dir, dass du mir verzeihst. Und wenn du mich jetzt wegschickst, weil du meinen Anblick nicht mehr ertragen kannst, dann verstehe und akzeptiere ich deine Entscheidung. Dann packe ich jetzt meine Sache und wenn du morgen früh aufwachst, ist es als wäre ich nie da gewesen." Während ich erzählte, spürte ich wie Tränen mir in die Augen stiegen und als es so weit war, ließ ich sie einfach laufen. Mir fehlte die Kraft sie daran zu hindern. Und natürlich schmerzten meine Worte, vor allem da ich keine Ahnung hatte wie er sich entscheiden würde. Doch ich wusste, dass ich das richtige tat. Und mehr zählte für mich nicht.
Ich hatte keine Ahnung wie lange er mich einfach nur ansah, bis sich irgendwann ein kleines Lächeln auf seine Lippen schlich.
„Warum grinst du denn jetzt so dämlich?", fragte ich und heulte nur noch mehr, weil sein Lächeln so wunderschön war und ich es ab morgen vielleicht nie wieder sehen könnte.
„Weil du so süß bist.", antwortete er und lachte leise.
Und als ich ihn daraufhin fragend ansah, lachte er lauter und zog mich an sich. „Ich könnte dich nie wieder gehenlassen oder wegschicken. Talia, ich liebe dich und daran wird sich so schnell auch nichts ändern.", erklärte er und ich kuschelte mich an ihn.
„Heißt das, du verzeihst mir?", hakte ich sicherheitshalber nochmal vorsichtig nach.
Seine Brust vibrierte an meinem Kopf, als er lachte. „Es gibt nichts, dass ich dir verzeihen müsste."
„Tja, manchmal ist es doch ganz gut erstmal zuzuhören, nicht?", zog ich ihn spielerisch auf und lächelte leicht.
Er seufzte. „Es tut mir Leid, okay? Ich weiß auch nicht was da vorhin mit mir passiert ist. Und ich schäme mich, dass ich einfach abhauen wollte. In Zukunft werde ich erst zuhören und dann abhauen."
Entsetzt schlug ich ihm auf den Arm.
Er grunzte nur vergnügt. „Keine Sorge. Mich wirst du so schnell nicht wieder los."
„Das will ich auch schwer hoffen.", erwiderte ich nur und grinste in mich hinein.
Die Sonne war schon längst untergegangen und es war bereits dunkel. Aber wir saßen noch immer am Strand und ließen unsere Füße von dem kalten Wasser der Nordsee umspülen.
Eigentlich machten wir nicht viel außer uns gegenseitig unsere Lebensgeschichte zu erzählen. Mehr oder weniger. Das heißt ich stellte Frage über sein Leben und er antwortete.
Ein lauter Donner ließ uns schließlich auseinanderfahren und aufspringen. Schnell brachten wir die Kissen und Decken, die wir zwischendurch geholt hatten, ins Trockene.
Dann liefen wir lachend am Strand entlang und ließen uns vom Regen durchweichen. Es war so spontan, so schön.
Lachend drehte ich mich im Kreis. Das Gesicht dem Himmel entgegen gestreckt. Adrien holte mich ein und legte seine großen Arme um meine Mitte, danach hob er mich hoch und wirbelte mich herum. Ich jauchzte und feuerte ihn an.
Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so unbeschwert herumgealbert hatte. Aber es musste ziemlich lange zurückliegen. Zuhause musste ich früh erwachsen werden. Da durfte ich nicht einmal an solche Aktionen denken.
Daher war es jetzt umso schöner.
Adriens Lachen hallte in meinen Ohren. So dunkel. So rau. So wundervoll.
Grinsend ließ er mich wieder runter und beugte sich vor um mich zu küssen. Aber so leicht würde ich es ihm nicht machen. Kurz bevor seine Lippen sich auf meine legten, tauchte ich unter ihm durch und floh kichernd den Strand entlang. Weit kam ich allerdings nicht.
Und daran war nicht nur der aufgeweichte Sand schuld...
In regelmäßigen Abständen erhellte ein Blitz die dunkle Nacht. Der Donner folgte laut und der lauwarme Sommerregen prasselte auf uns nieder, als würde es nie wieder aufhören.
Aber ich glaube selbst wenn das der Fall wäre, wäre es uns völlig egal.
Irgendwann waren wir im Sand stecken geblieben und hatten nur noch Augen füreinander.
Rafael - der Spielverderber - war schlussendlich derjenige der uns in Haus jagte und uns eine ewige Standpauke darüber hielt, was alles passieren konnte, wenn man sich bei Gewitter draußen aufhielt.
Er war wie ausgewechselt, jetzt nachdem ich mit Adrien geredet und damit seinem Willen gefolgt war. Er verhielt sich tatsächlich als wäre nie etwas passiert. Als hätte er mir nie gedroht.
Ich wusste noch nicht wie ich darauf reagieren sollte. Ob ich es ignorieren sollte. Oder dasselbe wie er machen: Tun als wäre nichts gewesen.
Im Moment reichte er jedenfalls jedem von uns ein Handtuch, und scheuchte uns danach ins Bad.
Natürlich achtete er darauf, dass wir in getrennte Badezimmer gingen und auch angezogen wieder herauskamen.
Was ein Spießer...
Naja irgendjemand musste diese Rolle übernehmen, jetzt da Cam ja nicht mehr da war.
Wobei er dabei eher wie eine übervorsichtige Mutter wirkte. Als ich ihm das sagte, lächelte er nur milde und nahm meine Worte ohne irgendein Kommentar zur Kenntnis.
Dass er mich damit provozierte war ihm mehr als bewusst.
Doch ich hatte nicht vor mich auf sein Spielchen einzulassen. Was er konnte, konnte ich nämlich auch und in meinem Kopf legte ich mir bereits den perfekten Racheplan zurecht. Der würde sich noch wundern. Und das ziemlich gewaltig...
Gegen kurz nach drei lag ich dann endlich in meinem Bett und sah hinaus auf das Unwetter, dass gegen mein Fenster drückte und trotzdem keine Chance hatte, jemals hineinzugelangen. Die Nordsee war schwarz wie die Nacht um sie herum.
Blitze spiegelten sich in dem dunklen Wasser. Es war beeindruckend. Und schön. Auf seine ganz eigene Weise.
Plötzlich klopfte es leise und keine Sekunde später steckte Adrien seinen Kopf hinein.
„Kannst du auch nicht schlafen?", fragte er leise und mit gedämpfter Stimme, wahrscheinlich damit Rafael ihn nicht hören konnte.
„Nicht wirklich.", antwortete ich und gähnte trotzdem.
Adrien schmunzelte.
„Nein. Nein.", wehrte ich sofort ab. „Es ist nicht so, dass ich nicht müde bin. Ich kann nur einfach nicht einschlafen."
Er lächelte. „Geht mir genauso. Darf ich reinkommen?"
Ich nickte und er schlüpfte mit einem letzten Blick nach draußen in den Flur zu mir ins Zimmer.
Wir waren wie zwei kleine Kinder, die Angst hatten bei etwas Verbotenem erwischt zu werden und genau das machte es umso aufregender. Egal in welchem Alter!
Nachdem Adrien die Türe geschlossen hatte, war es wieder dunkel im Raum. Er bewegte sich lautlos und so konnte ich nur erahnen wo er sich gerade befand, bis sich die Matratze neben mir senkte und er sich zu mir legte.
Behutsam hob ich die Bettdecke ein wenig an, damit er sich ebenfalls darunter legen konnte.
Er robbte an mich heran, legte seinen Arm um meine Brust und zog mich näher an sich heran. Ich genoss das Gefühl seiner starken Brust in meinem Rücken und beruhigte mich augenblicklich. Es war komisch, aber wenn er mir so nah war wie gerade fühlte ich mich sofort geborgen, beschützt und irgendwie auch angekommen. Vor ein paar Wochen noch hätte ich niemals geglaubt, dass es zu so etwas kommen würde. Tja und nun lag ich hier. In seinen Armen. Und würde für nichts auf der Welt tauschen.
Gemeinsam sahen wir nach draußen und beobachteten wie das Gewitter seine Kräfte demonstrierte. Sein Atmen strich regelmäßig mein Ohr und allmählich merkte ich wie die Müdigkeit sich doch bemerkbar machte.
Meine Augen wurden schwer und so schloss ich sie einfach. Ich wusste, das Adrien nicht gehen würde.
Er hauchte mir einen Kuss auf die Schläfe. „Träum schön, meine kleine sture Strandläuferin."
„Ich bin nicht stur...", murmelte ich schlaftrunken und konnte nicht einmal sagen, ob er es überhaupt gehört hatte. Als ich jedoch sein Lächeln in meinem Rücken spürte, wusste ich, dass er es verstanden hatte.
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen und so schlief ich schließlich ein.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now