Ungenießbar

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Und dann tat ich genau dass, was ich tat wenn ich überfordert war und am liebsten abhauen würde. Ich wurde ironisch und hoffte mit meinen Sprüchen die Situation etwas aufzulockern.
„Du weißt aber schon, dass das gerade verdächtig nach einem Antrag klang, oder?", fragte ich also und lachte um meine Unsicherheit zu verbergen.
„Was nicht ist, kann ja noch werden.", grinste er und sah mich ahnend an. Er wusste natürlich, dass ich versuchte vom eigentlichen Thema abzulenken.
„Träum weiter, Romeo!", holte ich ihn auf den Boden der Tatsachen zurück.
„Darf ich das denn nun als „Ja" werten?", wollte er wissen und sein Blick wurde wieder ernst.
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Sollte ich ihm diese Chance wirklich geben? Sollte ich UNS diese Chance geben?
Am Ende würde ich eh daran kaputt gehen. Entweder sagte ich nein und kehrte von mir selbst enttäuscht nach Hause zurück und würde mich mein Leben lang fragen, warum ich es nicht gewagt hatte.
Oder ich sagte ja und würde erstens meine Familie nicht wiedersehen und zweitens in diese andere - fremde - Welt gezogen werden in der Schwingen der Nacht und Adriens Erzfeind auf mich warteten.
Mein Kopf sagte mir, dass ich zurück nach Hause gehen sollte.
Aber mein Herz...
„Okay! Ich versuche es!", stimmte ich dann zu und konnte selber kaum glauben was ich da gerade gesagt hatte.
Aber mein Herz sagte mir nun mal, dass es richtig war. Ich würde es mit ihm versuchen. Wie schwer konnte es schon werden mit einem Wesen der Dunkelheit eine Beziehung zu führen? Mal ganz davon abgesehen, dass er sich von Seelen ernährte natürlich.
Gott was tat ich hier nur?
Man konnte förmlich zusehen wie die Anspannung aus Adriens Gesicht abfiel und er erleichtert ausatmete. Seine Lippen verzogen sich zu diesem wunderschönen Lächeln und er schüttelte den Kopf. „Danke.", meinte er und nahm meine Hand. „Du wirst es nicht bereuen."
Ich hoffte es. Aber jetzt war es wohl zu spät für einen Rückzieher und den wollte ich eh nicht machen. Zumindest nicht jetzt. Vielleicht auch nie. Okay, zumindest nicht in absehbarer Zeit.
Er stand auf und ging zur Tür.
„Wo gehst du hin?" Ich wollte mich aufsetzten, aber die Schmerzen hinderten mich.
Überrascht fuhr ich herum. „Ich muss nur kurz telefonieren. Nach Hause können wir nicht mehr. Nassim hat bestimmt jemanden vorm meinem Haus abgestellt um uns zu beobachten. Wir müssen untertauchen und das ziemlich bald.", erklärte er mit angespannter Stimme.
„Okay dann hab ich aber zwei Fragen!", unterbrach ich ihn. Obwohl das gelogen war. Ich hatte mehr als zwei Fragen, aber diese zwei hatten oberste Priorität.
„Wo willst du hin? Und wie willst du unbemerkt hier rauskommen? Mal ganz abgesehen davon, dass dieses Gebäude besser bewacht wird als jeder Knast der Welt, hat Nassim zu einhundert Prozent auch jemanden hier her zitiert der uns im Auge behalten soll. Für mich sieht das ganze nach einer - für jeden Menschen -  ausweglosen Situation aus.", entgegnete ich nur und ließ mich zurück in die weichen Kissen sinken. Dieses lange aufrechte Sitzen war noch immer anstrengend. Vom Stehen mal ganz zu schweigen.
„Na gut, dass ich kein Mensch bin.", grinste er und verschwand mit dem Handy am Ohr nach draußen. Was hatte er jetzt wieder vor. Wollte er mich für tot erklären und dann auf einem dieser kalten, silbernen Leichenschubkarren aus dem Krankenhaus schaffen? Da würde ich ganz sicher nicht mitspielen. Solange ich bei vollem Bewusstsein war, würde mich niemand auf so ein Ding kriegen. Niemand! Nicht einmal Adrien de Manincor!
Mir wurde schon schlecht wenn ich nur daran dachte, wer da vielleicht vor mir draufgelegen hatte... Igitt! Nein, nein, nein. Mir lief es jetzt schon kalt den Rücken runter.
„Ich stell mich nicht tot!", rief ich ihm hinterher und konnte sein Lachen durch den geöffneten Türspalt hören.
Ich zuckte zusammen, als Cam gegenüber von mir laut grunzte und anfing sich auf dem Sofa herumzurollen. Allerdings war die Liegefläche recht klein und er recht groß und so dauerte es keine weitere Minute, bis er herunterfiel. Mit einem dumpfen Knall kam er auf dem Boden auf und ich konnte ihn stöhnen hören. Vorsichtig drehte ich mich zur Seite und steckte den Kopf so aus dem Bett um ihn sehen zu können.
„Also eine weiche Landung sieht anders aus, Cam.", kicherte ich und beobachtete wie er sich den Rücken hielt und stöhnend auf dem Boden lag.
„Dir auch einen guten Morgen Talia. Und außerdem bin ich ein paar Jahrhunderte älter als du!", sagte er und richtete sich langsam auf. Dabei gab seine Wirbelsäule ein paar echt übel klingende Geräusche von sich.
Ich kniff die Augen zusammen. „Okay ich nehme alles zurück. Alte Männer sollte man nicht beleidigen."
Genervt sah er mich an und sein Blick zeigte, wie viel er von diesem Spruch hielt. „So alt bin ich trotzdem nicht, meine Liebe.", erwiderte er daher nur und streckte sich einmal.
„Jaja. Hast deine besten Jahre noch vor dir.", provozierte ich und versuchte nicht laut loszulachen.
„Hat mein Bruder deine Tabletten verwechselt oder warum bist du so komisch heute Morgen?", fragte er ohne auf mein Kommentar einzugehen und ich kicherte nur noch mehr.
„Wo ist der eigentlich?", wollte er dann wissen, nachdem er sich einmal um die eigene Achse gedreht hatte und Adrien nicht finden konnte. Was wahrscheinlich daran lag, dass dieser nicht hier war.
„Draußen. Telefoniert. Ich habe das Gefühl, dass wir nicht mehr lange hier sein werden.", antwortete ich und seufzte. Mein Blick wanderte zu der Stelle an der Nassim gestanden hatte. Würde er mir wirklich etwas antun, wenn er mich erwischen würde?
Konnte er wirklich so kalt sein?
Adrien hatte gesagt, er wäre ein herzloser Mörder der Spaß am Töten hätte. Aber ich wusste nicht, ob ich das glauben konnte. Oder sollte.
Wahrscheinlich weil ich in jeder Person immer nach dem Guten suchte.
Natürlich hatte ich jetzt nicht vor mich auf die Straße zu schleichen, wild mit den Armen zu fuchteln, laut „Nassim" zu rufen, nur um ihn dann zu fragen ob er ein kaltblütiger Mörder war, der sich am Schmerz anderer Menschen erfreute.
Ganz lebensmüde war ich nämlich doch nicht. Spätestens beim auf die Straße schleichen endete mein Plan bereits. In meinem Zustand würde ich nicht einmal bis zum Aufzug kommen. Mal abgesehen davon, dass ich an Adrien und Cam vorbei müsste.
Was schon schwer genug war ohne eine fette Naht auf dem Bauch zu haben.
Für mich also eine Sache der Unmöglichkeit. Und um ehrlich zu sein war ich gar nicht so scharf darauf Nassim nochmal gegenüber zu stehen.
„Wie kommst du darauf?", riss Cams Frage mich aus meinen Gedanken.
„Frag ihn lieber selbst. Ich will keine unnötige Panik verbreiten.", wehrte ich ab und er stimmte mir zu.
„Ich hab da so eine Befürchtung.", gestand er dann und ab diesem Zeitpunkt hatte ich dann doch Panik.
Als Cam meinen skeptischen Blick sah, wurde seine Miene weicher. „Hey keine Sorge. Falls wir innerhalb der nächsten fünf Tage hier aufbrechen sollten, werde ich Adrien so die Hölle heiß machen. Du verlässt das Krankenhaus in deinem Zustand nämlich nicht. Du wirst keinen Schritt aus diesem Zimmer setzten, bis die Nähte gezogen sind und du wieder Kräfte hast.", beruhigte er mich. Das hieß er versuchte es. Denn wir wussten beide, dass es schwer war Adrien etwas auszureden, wenn er sich dieses Etwas in den Kopf gesetzt hatte.
„Danke, das ist echt nett von dir, aber ich glaube, dass wird nicht viel bringen. Du hättest ihn sehen sollen. Es war echt unheimlich.", meinte ich und schüttelte den Kopf. „Und ich werde mich nicht nackt auf einen Leichenwagen legen, damit ihr ein weißes Plastiktuch über mir ausbreiten könnt. Vergesst es!", wiederholte ich nochmals und starrte ihn eingehend an.
Cameron lachte nur. „Keine Sorge. Ganz so schlimm wird's schon nicht."
Erleichtert atmete ich aus.
„Wobei die Idee gar nicht so schlecht ist...", stellte er dann fest und dachte nach.
Entsetzt sah ich ihn an. „WAS?"
Als er dann laut losprustete, beruhigte ich mich wieder.
„HAHA! Welch ein lustiger Scherz!", sagte ich. „Was haben wir alle gelacht."
Er lachte nur noch lauter.
„Das ist nicht witzig." Ich fand es gar nicht lustig, dass er sich so an meinen Ängsten amüsierte. Aber nun dann... Das war wohl die Rache für vorhin.
In diesem Moment klopfte es an der Tür und er beendete seinen Lachkrampf direkt. Adrien würde im Leben nicht klopfen.
Wir tauschten einen Blick und atmeten erleichtert auf, als er nur der Frühstücksservice war, der Cam ein Tablett in die Hand drückte und dann seinen Weg fortsetzte. Hinter der freundlichen Person knallte die Tür regelrecht ins Schloss.
Und schon hatte ich wieder zwei Gründe die dafür sprachen, dass Krankenhaus endlich zu verlassen:
Unfreundliches Personal.
Laute Türen.
Cam blickte angewidert auf das Essen in seiner Hand und schüttelte den Kopf.
„Essen kannst du aber schon alleine, oder?", hakte er nach und blickte skeptisch zu mir.
„Ich habe eine Verletzung am Brustkorb! Nicht an den Händen! Natürlich kann ich alleine Essen." Ich sah ihn mit diesem „Dein-Ernst-Blick" an, woraufhin er das Tablett auf meine Bettdecke stellte und mir eine Gabel in die Hand drückte.
„Ich werde mal sehen, ob ich Adrien finde.", entschloss er dann und war innerhalb weniger Sekunden aus dem Zimmer geflüchtet.
Das hieß ich war wiedermal alleine. Mit dem Löffel in der Hand und dem komischen Essen vor mir, dass mich irgendwie böse anstarrte.
Ich nahm einen kleinen Bissen von dem Rührei und spuckte es eigentlich direkt wieder aus. Igitt war das widerlich!
Damit hatte ich einen dritten Punkt auf meiner „Ich-Will-Hier-Raus-Liste":
Ungenießbares Essen!

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now