Und gestern die Ewigkeit

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"Was?", schrie ich, doch Er lächelte nur milde über den Rand seiner Zeitung hinweg.
"60.000 Dollar. Tja, das WAR der Wert. Aber ich hoffe, du kannst mich wenigstens darüber informieren, wie der Scotch geschmeckt hat. Nachdem ich ja nich in den Genuss kommen werde...", meinte er, faltete das Papier in seiner Hand, legte es auf den Tisch, verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich zurück und sah mich eingebildet an.
"Ähh, ja...", brachte ich lediglich hervor und suchte in meinem Kopf nach irgendetwas von gestern Nacht.
"Lass mich raten.", unterbrach Adrien mein Grübeln und legte den Kopf ein wenig schief. "Du kannst dich nicht mehr erinnern, oder?"
Verzweifelt sah ich ihn an.
"Das ist nicht dein Ernst! Du hast eine Flasche des teuersten Scotchs der Welt getrunken - wohl bemerkt alleine! - und kannst dich nicht mal daran erinnern, wie er geschmeckt hat?", wollte er wissen und sein Blick war eine Mischung aus Fassungslosigkeit, Belustigung und Entsetzen.
"Naja...", drugste ich herum, ohne mich festlegen zu wollen. "Jaa... Nein!"
"Was denn jetzt?", lachte Adrien.
"Ich kann mich nicht erinnern, okay?!", fuhr ich ihn an und keine Sekunde später sah ich die Genugtuung auf seinen Zügen.
"Es tut mir leid. Ich hatte das auch nicht geplant. Aber bei Jake fühle ich mich normal. Als wäre all das niemals passiert. Ich kann ein bisschen die sein, wie die Talia die ich vorher war. Ich kann an mein altes Leben anknüpfen und auch wenn ich weiß, dass das total sinnlos ist, weil ich die Person die ich jetzt bin viel besser leiden kann, tue ich es. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht vergessen möchte wer ich einmal war. Oder daran, dass ich mich dann meiner Familie näher fühle, da ich etwas gewohntes mache. Ich weiß, dass das total bescheuert ist und ich bereue es wirklich, dass es so "ausgeartet" ist und natürlich werde ich dir den Scotch ersetzen.", erklärte ich und warf die Hände in einer Geste der Kapitulation in die Luft.
Die Minuten danach verbrachten wir mit Schweigen und das brachte mich fast zum Ausrasten. Adrien saß einfach nur mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl und beobachtete mich. Das schien offenbar zu einem seiner Hobbies geworden zu sein...
Als er nach weiteren Augenblicken noch immer nicht reagierte, sprang ich mit einem genervten Stöhnen auf und lief in die Küche auf der Suche nach einem Geschirrtuch, Papiertüchern oder Ähnlichem um die Milch endlich mal vom Tisch zu entfernen.
Unter der Spüle fand ich dann wonach ich gesucht hatte und marschierte murrend zurück ins Wohnzimmer.
Genervt warf ich das Handtuch auf den Tisch und just in diesem Moment kam Rafael hereinspaziert, ließ seinen Blick über uns gleiten und als er dann das Chaos auf dem Esstisch sah, zog er wortlos eine Augenbraue in die Stirn. Ich dachte, nein ich hoffe er würde es dabei belassen und einfach den Mund halten. Aber Rafael wäre nicht Rafael, wenn er einfach mal kein Kommentar abgeben würde!
"Seit wann sagt ihr euch denn so guten Morgen? Gibts keinen verliebten Kuss mehr? Wird stattdessen jetzt mit Milch geworfen? Ich gönne euch ja wirklich euer Glück, nur tut mir einen Gefallen: Es sind noch andere Leute im Haus, also wäre es wünschenswert, dass ihr euren Akt der Liebe nicht in der Küche austragt.", meinte er und warf mir einen abschätzenden Blick zu.
Ich versuchte wirklich seine Wort zu überhören, mich nicht von ihm provozieren zu lassen. Aber in diesem Moment kam einfach alles zusammen: Die schlechte Laune mit der ich aufgewacht war, der 60.000 Dollar Scotch, Adriens eingebildetes Lächeln, meine allgemeine Gereiztheit und die Tatsache, dass Rafael mir einfach auf die Nerven ging!
Und all diese Faktoren zusammen, brachten mich an meine nervliche Grenze. Noch so ein blödes Kommentar von irgendjemandem und ich würde ausrasten!
"Kannst du einmal die Klappe halten?", fragte ich ihn wütend und wünschte, dass ihm das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht fiel. Doch stattdessen wurde sein widerliches Lächeln nur noch breiter.
"Warum sollte ich?", erwiderte er und sah mich herausfordernd an.
"Weil es nervt.", erklärte ich freundlich und musste mich echt zusammenreißen. Am liebsten hätte ich ihn mit dem Küchentuch in meinen Händen erwürgt. Aber da ich sicherlich nicht weit kommen würde, begnügte ich mich damit, es in meinen Händen zu einem Ball zu pressen.
"Es nervt und treibt mich allmählich an die Grenze meiner Toleranz.", fügte ich noch hinzu und starrte ihn böse an.
"Du hast mir hier gar nichts zu sagen, verstanden?", zischte er und funkelte mich an.
"Das sehe ich ein wenig anders.", lachte ich und fuhr mir durch die Haare.
"Du kleines Monster.", flüsterte er und baute sich vor mir auf. "Du kapierst es einfach nicht oder?"
"Oh ich kapiere ganz genau, was du gerade bezweckst. Du elender Schleimer.", knurrte ich und sah ihm direkt in die Augen. Vor ihm hatte ich bestimmt keine Angst. Zumindest nicht, wenn Adrien im selben Raum war.
"Ach wirklich? Was denn?" Rafael lächelte und fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Ich schauderte.
"Willst du wirklich, dass ich das vor ihm sage?", fragte ich und deutete mit einem Kopfnicken auf Adrien.
Als Antwort knurrte Rafael nur gefährlich. "Ich warne dich."
"Falsch.", korrigierte ich leise. "ICH warne DICH!" Mit den Händen stieß ich gegen seine harte Brust.
Das war der Moment, in dem sich Adrien schließlich zwischen uns schob und jeden von uns ernst ansah. "Beruhigt euch mal, verstanden?"
Rafael und ich warfen uns trotzdem böse Blicke zu.
Dann drehte Adrien sich zu mir. "Geh doch zu Jake in die Garage. Ich verspreche dir, ich komme sofort nach. Rafael und ich müssen nur noch kurz etwas besprechen."
"Wenn es sein muss.", sagte ich und entspannte mich ein wenig.
"Versprochen. Und dann machen wir einen Tag lang nur du und ich.", behauptete er und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn.
"Okay.", gab ich mich schließlich geschlagen.
"Gib mir das Handtuch. Ich räume gleich auf.", meinte er und nahm mir das Geschirrtuch ab.
Wortlos gab ich es ihm und ging an ihm vorbei Richtung Tür. Allerdings stellte Rafael sich in meinen Weg und so stieß ich mit der Schulter gegen ihn.
"Ich weiß, was für ein Spiel du spielst. Aber mich täuscht du nicht.", versprach ich ihm still und erst als Adrien warnend meinen Namen sagte, riss ich mich von ihm los und verließ das Zimmer.
Aufgebracht holte ich meinen IPod und ein paar Kopfhörer und stürmte in die Garage.
Jake sah auf und stoppte sofort die Musik als er mich sah. "Was ist los?", fragte er alarmiert.
"Ich drehe durch, aber sonst gehts mir gut.", erklärte ich lachend und ging an ihm vorbei zu meiner Wand mit den Boards.
"Oh oh. Das klingt nicht gut.", meinte er und folgte mir. "Was hat Adrien jetzt wieder verhauen?"
"Nichts. Er hat nichts gemacht.", wehrte ich ab und ließ meinen Blick über die Wand wandern.
"Rafael?", riet er dann und hatte genau ins Schwarze getroffen.
"Jaa!", rief ich enthusiastisch. "Er macht mich wahnsinnig! Er tut als wäre ich eine schlimme Krankheit, der man lieber nicht näher kommen will! Dann bedroht er mich regelmäßig und provoziert mich ohne Pause! Was ist sein Problem?"
Jake hatte mir aufmerksam zugehört und ich musste gestehen, es tat unglaublich gut, mich einfach mal über Rafael auszulassen.
"Ich kann ihn auch nicht sonderlich leiden.", gestand er und zuckte mit den Achseln "Er tut als wäre er etwas besseres, als wir anderen. Er ist halt nur länger dabei."
"Er ist ein Arschloch.", brachte ich es auf den Punkt.
Jake schmunzelte. "So kann man es auch sagen."
"Es ist Fakt.", bestärkte ich meine Meinung.
"Ich sage ja auch nicht, dass du nicht Recht hast. Es ist nur so, dass Adrien ihm vertraut. Und solange das so ist, können wir nichts machen.", seufzte er und nahm mich in den Arm. Ich schlang meine Arme um seine breite Brust.
Jake war wie ein großer Bruder für mich geworden und es tat gut zu wissen, dass ich für meine Sorgen immer ein offenes Ohr bei ihm hatte.
"Ich weiß.", murmelte ich an seiner Brust und atmete seinen Geruch ein. Jake roch nach Diesel und Moos. Eine schöne Mischung. Eine vertraute Mischung.
"Aber ich traue ihm nicht.", ergänzte ich dann noch, legte mein Kinn auf seine Brust und blickte ihn seine grünen Augen.
"Das tuen die wenigsten von uns hier.", sagte er und seine Augenbrauen zuckten kurz in die Höhe.
Verwirrt sah ich ihn an. "Warum das denn? Ich meine, ich habe meine Gründe. Aber ihr?"
Jake lächelte. "Wenn du mich loslassen würdest, könnte ich es dir erklären."
Ich atmete seufzend aus. "Und was ist wenn ich nicht will?"
"Dann wird ein gewisser Jemand der mit A anfängt und auf Drien endet, es bestimmt wieder falsch interpretieren und wir kriegen beide Ärger.", meinte er und lachte herzlich.
Seine Brust vibrierte unter meinem Kinn.
"Okay.", resignierte ich, ließ ihn los und ging einen Schritt zurück.
"Möchtest du etwas trinken?", fragte er und klopfte jetzt erst seine Hände an seiner Arbeitshose ab. Na danke, als hätte er das nicht machen können, bevor er mich umarmt.
Doch bei seinen Worten riss ich die Augen weit auf. Hatte ihm letzte Nacht nicht gereicht? Mir definitiv schon!
Als er mein Gesicht sah, lachte er und hob abwehrend die Arme. "Keine Sorge ich dachte mehr so an Kaffee oder Tee. Das andere Zeug hat Adrien schon lange konfisziert. Jetzt stehe ich wieder ganz am Anfang."
Erleichtert atmete ich aus. "Tee wäre super."
Er lachte wieder und ich folgte ihm zu der kleinen Kaffeeinsel in der Mitte des Saals. Ein Sofa stand hier ebenfalls und man hatte einen fantastischen Blick durch eine beeindruckende Glasfront nach Draußen aufs Wasser.
Als ich meine Tasse Tee und er seinen Cappuccino in der Hand hielt, begann er endlich.
"Du musst wissen, dass Rafael nie mit seiner Vergangenheit abschließen konnte. Was so viel heißt wie, er ist so geschädigt davon, dass es ihm unmöglich ist zu vertrauen. Er musste - zwangsweise - im ersten Weltkrieg an die Front und hat Sachen gesehen, die er nie hat vergessen können. Doch das Schicksal hat es nie gut mit ihm gemeint. Er wurde verwundet und das von einem Freund, der sich später als Spion des Feindes herausstellte. Jedenfalls war er eigentlich schon tot." Er legte eine Pause ein und schien an irgendetwas zu denken. Wahrscheinlich eine Erinnerung. Ich wusste nicht wie alt Jake war, aber der Schmerz in seinem Blick war offensichtlich. Er schoss die Augen kurz und schüttelte den Kopf.
"Und das ist die Stelle in der Adrien ins Spiel kommt. Er fand ihn und machte ihn zu einem von uns. Nur dadurch konnte er überleben. Allerdings ist Adrien aus diesem Grund auch der Einzige, dem Rafael vertraut. Der Verrat von damals hat ihn schwer verletzt und so lange ist das ganze noch nicht her, wenn man bedenkt wie viel Zeit unsereins zur Verfügung steht. Dir mag es vielleicht wie eine Ewigkeit erscheinen, aber für uns ist es, als wäre es gestern."

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now