Erste Begegnung

12.4K 837 29
                                    

Als ich nach Adrien rief, kreischte das Wesen auf und ich schrie noch lauter. Im Schein meiner Taschenlampe sah ich, dass vom Kinn des Vampirs Blut tropfte. Ich könnte wetten, dass es noch warm war.
Seine roten Augen fokussierten mich. Eine Mischung aus Gier, Schadenfreude und Wahnsinn spiegelten sich darin und brachten mich dazu, ein paar Meter zurück zu weichen.
Fauchend überschritt das Monster die Türschwelle und kam geduckt auf mich zu.
Der Mann der das Monster verkörperte hatte helle Haare, trug eine blaue Hose und ein weißes Oberteil, auf dem das helle Blut nur besser zur Geltung kam.
Mein Magen rebellierte bei dem Anblick, aber ich kämpfte alles zurück und versuchte stark zu bleiben, als ein widerwärtiger Geruch mir in die Nase kroch.
Der Lichtschein mit dem ich den Vampir auf Abstand hielt, wackelte bedächtig.
„Adrien!", schrie ich wieder. „Jetzt wäre ein guter Moment um mir zu Hilfe zu eilen."
Aber es blieb still.
Ich brauchte also einen anderen Plan. Vielleicht war es ja möglich an das Gewissen, des Dämons zu gelangen.
„Ich will dir nicht wehtun müssen.", versuchte ich das Wesen zu beruhigen. „Also bleibst du einfach ab besten da stehen und bewegst dich nicht, verstehst du?"
Offenbar verstand es mich nicht, denn es legte nur den Kopf ein wenig schief, ehe es einen gewaltigen Satz machte und auf mich losging.
Entsetzt kreischte ich und holte mit der Taschenlampe aus. Doch bevor ich einen Treffer erzielen konnte, brach über mir das Dach ein und ein dunkler Schatten warf den Vampir zu Boden.
„Lauf!", schrie Jake und versuchte den wild um sich schlagenden Dämon auf dem Boden zu fixieren.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und ergriff panisch die Flucht. Als ich an dem Schattenwesen vorbeilief, begehrte es sich heftig unter Jakes Griff auf und versuchte nach mir zu schnappen.
Schnell sprang ich zur Seite und flüchtete aus der Scheune. Ohne wirkliches Ziel lief ich los und klammerte mich beim Laufen an die Taschenlampe.
Erst als ich im Wald vor mir ein paar rote Augen sah, entschied ich mich für die entgegengesetzte Richtung und bremste scharf ab.
Schnell fuhr ich herum und sprintete zurück. Meine Beine schmerzten und die Narbe an meinem Bauch zog unangenehm. Doch ich achtete auf nichts davon.
Chris Haus kam in Sicht und ich steuerte darauf zu. Wenn ich mich darin verstecken könnte, hätte ich größere Chancen hier lebend rauszukommen. Zumindest war das mein neuer Plan.
Doch noch bevor ich überhaupt auf die Terrasse flüchten konnte, riss mich etwas von hinten um und ich knallte auf den Boden.
Die Taschenlampe flog aus meiner Hand und rollte außer Reichweite.
Ich wurde auf den Rücken gedreht und fand mich einem anderen Vampir gegenüber. Er knurrte bedrohlich und entblößte ein paar scharfer Eckzähne. Sehr scharfer Eckzähne.
Rote Augen bohrten sich in meinen Blick und nachdem ich meinen Schock überwunden hatte, begann ich wie verrückt zu wehren.
Doch der Dämon machte nicht den Anschein, als wolle er mich aussaugen. Stattdessen versuchte er mich wegzuzerren. Richtung Straße.
Allerdings war ich nicht gewollt, kampflos mit ihm mitzugehen. Irgendwie ahnte ich, dass ich sonst schneller als mir lieb war, auf Nassim stoßen würde.
Wer konnte sonst für diesen Angriff verantwortlich sein?
Ich rollte mich wieder herum und versuchte an meine Taschenlampe zu gelangen, während der Vampir meine Schultern auf den Boden drückte.
Meine Fingerspitzen waren vielleicht drei Zentimeter von dem Metall entfernt, aber noch nie waren drei kleine Zentimeter mir so groß vorgekommen.
Eine Hand schloss sich um meinen Nacken und zerrte mich hoch.
„Adrien!", brüllte ich und trat um mich. Plötzlich wurde ich fallen gelassen und hörte hinter mir einen dumpfen Aufschlag.
Ich rappelte mich auf und drehte mich um.
Im ersten Moment sah ich nur zwei dunkle Schatten die aufeinander einschlugen. Erst Sekunden danach konnte ich Adrien als einen der zwei ausmachen. Seine Iris war schwarz und seine Flügel weit von sich gestreckt.
Er knurrte das andere Wesen an und legte ihm die Hände um den Hals. Noch nie hatte ich ihn so erlebt und ich wollte nicht Zeuge werden, wie er den Vampir umbrachte.
„Tu es nicht!", rief ich und kurz zuckte sein Blick zu mir.
Beim Anblick seiner kalten Gesichtszüge, taumelte ich zurück und landete unsanft auf meinem Hintern.
Auf einmal tauchten weitere Vampire aus der Dunkelheit auf und segelten auf uns zu.
Adrien sah erneut zu mir, während er noch immer den Hals seines Gegners würgte.
„Hau ab!", befahl er und drückte den Blutsauger wieder in den aufgeweichten Boden, als er sich ihm wiedersetzte.
„Renn so schnell du kannst und dreh dich nicht um. Ich finde dich.", donnerte er und blitzte mich unter seinen nassen Haaren hindurch an.
Ich rutschte mehrmals aus, als ich versuchte aufzustehen, aber der Regen machte es so gut wie unmöglich.
Ohne zurückzusehen ließ ich den Garten hinter mir und erreichte die Straße. Ich verbarg mich im Schatten des Hauses und holte erstmal eine Minute Luft.
Der Asphalt war leer. Niemand war zu sehen. Im Schein der Straßenlaternen glitzerten die Regentropfen wie kleine Sterne.
Vorsichtig wagte ich mich auf den Gehweg und somit ins Licht. Zügig ging ich weiter und sah mich immer wieder gehetzt um. Der Wind pfiff unheimlich und sorgte dafür, dass ich das ein oder andere Mal anhalten musste um nicht zu taumeln.
Dann hörte ich auf einmal Schritte und stoppte.
Das Licht malte meinen Schatten auf den Boden und ich hoffte, dass er mein einziger Verfolger war.
Still verharrte ich auf meiner Stelle und lauschte in die Nacht. Ich hatte mich nicht getäuscht. Da waren Schritte.
Einige Zeit später schritt eine dunkle Gestalt aus den Schatten ein paar Meter weiter.
Regungslos starrte ich mein Gegenüber an und versuchte auszumachen, ob er Freund oder Feind war.
„Hallo Talia.", sagte die Person und blickte auf.
Als gelbe Augen mich streiften, hielt ich den Atem an und ging ein paar Schritte zurück.
Ich wollte rennen, schreien, einfach nur weg. Aber es war als wären meine Füße eins mit dem Boden, während er langsam auf mich zukam.
„Schön, dass wir uns einmal ohne deine Beschützer begegnen.", meinte er und lächelte.
Zwei Meter trennten ihn von mir und trotzdem konnte ich nicht weg. Die Angst lähmte mich.
Seine dunklen Haare hingen ihm tief in die Stirn und betonten seine hohen Wangenknochen noch besser.
Ich schluckte, als er noch näher kam.
Dann fuhr ich instinktiv herum und wollte losrennen. Doch er war schneller und landete vor mir.
Erschreckt taumelte ich zurück.
„Na wer will denn hier schon wieder abhauen?", fragte er und schüttelte den Kopf, als spreche er mit einem kleinen Kind. „Wir lernen uns doch gerade erst kennen."
Er streckte die Hand aus und strich mir eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Als seine Finger meine Wange berührten, schloss ich die Augen und atmete tief ein.
Auf keinen Fall wollte ich, dass er merkte wie viel Angst er mir einjagte.
„Adrien hatte schon immer einen guten Geschmack.", hauchte er an meinem Ohr und ich schauderte als sein Atmen auf meine Haut traf. Langsam umrundete er mich einmal und kam vor mir wieder zum Stehen.
„Eine Frage brennt mir allerdings auf der Zunge." Er stellte sich vor mich und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick wanderte gemächlich über meinen Körper und ich musste mich zusammenreißen um nicht sofort die Flucht zu ergreifen.
„Warum Adrien? Ich meine Cam ist der Traum einer jeden Frau. Er ist freundlich, zuvorkommend, attraktiv. Und sein Bruder. Versteh mich nicht falsch. Aber..." Er machte eine Pause und lächelte mich gefährlich an. „... aber Adrien ist ein Monster."
„Das einzige Monster hier bist du.", zischte ich und weigerte mich ihn mit „Sie" anzusprechen. Wenn man jemanden siezte, zeigte man damit, dass man ihm Respekt entgegenbrachte. Aber für Nassim hatte ich keinen Respekt übrig.
Angst, ja. Aber das hatte nichts mit Respekt zu tun.
„Autsch.", machte er und legte in einer gespielt verletzten Geste die Hand auf seine Brust. „Hat er dir wirklich nur all das böse über mich erzählt?", wollte er wissen und seufzte.
„Er hat mir das erzählt, was ich wissen wollte.", gab ich zurück und starrte ihn böse an.
„Dann hat er dir sicher auch erzählt, dass ich seine Mutter umgebracht habe, oder?" Er lächelte und seine Augen schimmerten kurz rot auf.
Ich nickte und gab mir große Mühe nicht zu zittern.
„Und dass ich seinen Vater von den Klippen gestürzt habe, weiß er das inzwischen auch?", fuhr er fort.
Als ich das hörte, versteifte ich mich und sah ihn entsetzt an.
Nassim lachte leise. „Also hat er das immer noch nicht herausgefunden. Aber es wird mir eine Freude sein, es ihm zu erzählen, wenn er kommt um dich zu retten."
„Warum sollte er das tun?", entgegnete ich und reckte tapfer das Kinn.
„Ach Mädchen du musst noch so viel lernen." Theatralisch zog er die Augenbrauen in die Höhe und schloss kurz die Augen.
„Er wird dich holen.", meinte er ziemlich überzeugt.
„Und warum bist du dir da so sicher?", hakte ich nach und ging einen Schritt zurück. Er folgte mir und schloss den Abstand zwischen uns.
„Erstens: Adrien ist immer noch ein Seelenfresser. Das heißt er braucht dich genauso wie ich. Und zweitens: Du trägst den Ring seiner Mutter an deinem Ringfinger, dass heißt er liebt dich. Und Liebe macht bekanntlich blind. Er wird ahnungslos in meine Falle tappen und dann kann ich ihn ein für alle Mal vernichten. Dann bin ich das mächtigste Wesen der Welt. Keiner wird mich mehr aufhalten können.", fantasierte er und lächelte wieder.
„Warum bringst du mich nicht einfach um?" Ich schickte ihm meinen bösesten Blick und hoffte, dass er aufhörte so zu lächeln. Es machte mich rasend, dass er sich so sicher war, bei dem was er tat.
„Wo bleibt denn dann der ganze Spaß?", stellte er die Gegenfrage. „Außerdem solange ich nicht weiß, ob ich mit dir nicht irgendwie Luzifer noch mehr Macht absaugen kann, bleibst du bei mir. Wir werden uns eine schöne Zeit zusammen machen. Aber erst werde ich deinen Verlobten ausschalten.", erklärte er mir seinen Plan.
Das war der Moment in dem mir auf einmal alles egal war und ich mich einfach umdrehte und wegrannte. Der Regen peitschte mir ins Gesicht und ich wusste, dass ich eigentlich keine Chance hatte. Aber der Versuch zählte.
Ich rannte den nassen Bordstein entlang und stolperte alle paar Meter. Aber das war egal. Hauptsache ich kam hier weg. Weg von diesem Irren.
Sein Lachen hallte mir hinterher.
„Du entkommst mir nicht!", rief er und kurz darauf senkte sich ein Schatten über mich.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now