Abwesend

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Als ich aufwachte, bemerkte ich als erstes das gleichmäßige Rauschen unter mir und als ich meine Augen öffnete, blendetet mich die Sonne die sich auf der Scheibe vor mir spiegelte. Ich war in einem Auto? Warum war ich in einem Auto?
"Wo bin ich?", wollte ich fragen aber meine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Krächzen.
Was war passiert? Ich verschloss die Augen vor der Helligkeit und mit einem Schlag waren all die Bilder der letzten Nacht wieder da.
Panisch öffnete ich meine Lider wieder und merkte wie mir die Galle in den Hals schoss.
"Halt an!", schrie ich, stürzte keine Sekunde später aus dem Wagen und ins nächste Gebüsch. Behutsam strichen zwei Hände mir die Haare aus dem Gesicht und reichten mir erst eine Packung Taschentücher und danach eine Flasche Wasser.
Mit dem kalten Wasser spülte ich mir gründlich den Mund aus und säuberte mich so gründlich wie es nur ging. Aber viel brachte das auch nicht, da mein Oberteil aussah als hätte ich gerade den dritten Weltkrieg bestritten.
Ich schluckte tapfer als mir erneut Säure die Speiseröhre hochkam.
"Besser?", fragte Jake und sah mich mitleidig an.
Ich nickte nur vorsichtig. "Danke.", sagte ich mit dünner Stimme.
Mein Gesicht war hochrot und ich schaffte es nicht ihm in die Augen zu sehen. Mir war es unsagbar peinlich was gerade passiert war und auch wenn Jake wie ein großer Bruder für mich war, war es mir unangenehm.
"Kein Problem. Ich hatte schon damit gerechnet.", gestand er und legte sanft seine Hand unter mein Kinn. Dann drehte er es so, dass ich ihn ansehen musste und lächelte.
Mein Kopf leuchtete inzwischen in der Farbe einer reifen Tomate.
"Ich hatte gedacht, dass es viel schlimmer wird.", meinte er und fixierte meine Augen.
"Es ist okay. Ich bin ziemlich froh, dass du dich nur übergeben hast. Ich habe da schon ganz andere Sachen erlebt.", versuchte er mich zu überzeugen.
Ich schluckte und nickte. "Verstanden."
"Gut." Er reichte mir einen Kaugummi und nickte aufmunternd.
Dankbar griff ich danach und steckte ihn mir zwischen die Lippen. Schnell vertrieb die Minze den schalen Geschmack und ich konnte mich ein wenig entspannen.
Jake führte mich zu einer Bank in der Nähe und sorgte dafür, dass ich mich darauf setzte.
Er umsorgte mich wie meine Mutter es früher immer getan hatte und musste lachen. Es war echt süß. Alle zwei Minuten fragte er ob es mir besser ging und ob ich darüber reden wollte.
Natürlich wollte ich darüber reden. Ich hatte unzählig viele Fragen. Doch erstmal musste mein aufgebrachter Magen sich beruhigen. Es würde mit Sicherheit kein gutes Ende nehmen, wenn ich ihn jetzt sofort wieder mit den Bildern letzter Nacht konfrontierte.
Um mich abzulenken sah ich mir meine Umgebung ein bisschen genauer an. Wir standen auf einem kleinen Rastplatz. Ein paar LKWs, sowie einige Autos standen hier um eine kurze Rast einzulegen oder sich kurz die Beine zu vertreten. Dahinter konnte ich eine Autobahn erkennen.
Offenbar musste ich sehr lange geschlafen haben, denn ich hatte nicht den leisesten Schimmer wie ich hier her gekommen war. Nun dass wir mit einem Auto hier waren, erklärte sich von selbst. Aber wie genau das passiert war und was dazwischen geschehen war, wusste ich nicht.
"Wie fühlst du dich?", fragte Jake jetzt wieder.
"Besser.", sagte ich wahrheitsgetreu. Besser hieß ja nicht gleich gut. Denn mir ging es alles andere als das.
"Sehr gut. Denn wir müssen langsam weiter.", erklärte er und half mir beim Aufstehen. Mein Knie zitterten und mein Kreislauf drohte sich zu verabschieden. Er ahnte so etwas wohl, denn er stütze mich unauffällig und steuerte ein großes schwarzes Auto an.
"Das ist deiner?", wollte ich wissen als der Wagen einmal kurz aufblinkte, Jake auf den Schlüssel in seiner Hand gedrückt hatte.
Er schmunzelte. "Ja. Und Adrien hat nichts damit zu tun. Den hab ich mir alleine finanziert."
"Wow." Anerkennung schwang in meiner Stimme mit und Jake konnte sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen.
"Er hat schon was.", grinste er und öffnete die Beifahrertür, ehe er mir hineinhalf.
"Definitiv.", bestärkte ich nachdem er um die Motorhaube herumgegangen war und sich nun auf seinen Sitz warf.
"Das heißt du magst ihn?" Jake lenkte das Monster wieder in den Verkehr und hielt sich nicht gerade zurück was die Geschwindigkeit anging.
"Also bitte.", prustete ich und schüttelte den Kopf. "Wer mag den BMW X6 denn bitte nicht?"
Er lachte und ich grinste zumindest. Autos waren wirklich ein Thema mit dem man mich sofort hatte und mich supergut ablenken konnte.
Ich war Jake dankbar, dass er darauf ansprang und wir die nächsten Minuten einfach nur über seinen Autogeschmack philosophierten.
Doch irgendwann konnten wir beide die Anspannung die im Auto lag nicht mehr leugnen. Schließlich war er es, der das Thema wieder zur Sprache brachte, nachdem wir knapp eine Stunde gefahren waren ohne ein Wort zu wechseln.
"Du weißt, dass wir darüber reden müssen, oder?" Sein Blick war auf die Straße gerichtet und sein Kiefer spannte sich konzentriert an.
Da erst fiel mir auf, dass Jake schön war. Auf seine ganz eigene Art. Die feinen schmalen Lippen. Die hohen Wangenknochen die sein Gesicht so wunderbar einrahmten.
Es waren so viele kleine Details die mir erst jetzt auffielen. Warum, konnte ich nicht sagen.
"Jaa.", seufzte ich, streifte die Schuhe von den Füßen und zog sie anschließend auf den Sitz.
"Also dann frag.", forderte er mich auf.
Ich brauchte nicht lange zu überlegen, was ich ihn fragen sollte, denn dafür gab es zu viele unbeantwortete Fragen in meinem Kopf.
"Was ist mit Cam?", wollte ich als erstes wissen und drehte mich so im Sitz, dass ich ihn sehen konnte.
"Der wird wieder.", antwortete er kurzangebunden und ihm war anzusehen, wie er zu dem Thema stand.
"Das heißt du hast ihn nicht getötet?" Ich wusste nicht ob ich nun erleichtert oder beunruhigt sein sollte.
"Nein. Aber ich hätte es gerne.", meinte er und ich sah wie seine Hände sich um das Lenkrad klammerten. Es störte ihn also ziemlich, dass Cam noch lebte.
Ich beließ es dabei. "Wo fahren wir hin?", fragte ich weiter.
Jakes Blick zuckte kurz zu mir. "Es tut mir leid, aber ich habe meine Anweisungen."
Überrascht zog ich die Augenbrauen in die Stirn. Selbst wenn Adrien nicht in der Nähe war, hielten sich also alle an seine Befehle.
Ich stöhnte, schüttelte den Kopf und blickte aus dem Fenster. Dieser Mann machte mich wahnsinnig und wenn er mir das nächste Mal über den Weg lief, würde ich ihm genau das sagen.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now