Engel der Nacht (überarbeitet)

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Der erste Gedanke der mir durch den Kopf schoss, als ich hochschreckte war: MARY!!!

Ich legte mir die Hand auf den schmerzenden Kopf und bemerkte ein Pflaster an meiner Stirn. Was war passiert? Mary und ich. Die Vampire. Wir sind liegengeblieben. Ich hab gekämpft. Ich bin gestürzt. 

Der Mann mit den eisblauen Augen.

Sofort war ich hellwach, richtete mich auf und begutachtete meine Umgebung. Ich lag in einem großen Himmelbett. Die Matratze war von schwarzen Umhängen verdeckt, so dass man nur schwer nach draußen sehen konnte. Die Bettwäsche war ebenfalls schwarz. Langsam blickte ich hinter die Vorhänge. Dahinter war ein großer Raum. Mit nackten Füßen tapste ich zu einem der großen Fenster. 

Momentmal! 

Warum war ich barfuß? Langsam ließ ich meinen Blick über meinen Körper gleiten. Das waren nicht meine Sachen. Meine Beine steckten in einer schwarzen Jogginghose und ich trug noch mein eigenes Top. 

Ich blickte aus einem der Fenster und zog daran. Aber keine Chance, es bewegte sich keinen Millimeter. 

"Abgesperrt.", flüsterte ich. Natürlich war es das. Mein Kopf schmerzte so. Alles drehte sich. 

Wo war ich hier? Das hier war nämlich nicht mein zu Hause. War ich bei dem Unbekannten mit den blauen Augen? Oder hatten uns doch die Vampire erwischt? 

Wo war meine Schwester? 

Mein Kopf schmerzte so unglaublich. Ich klammerte mich an die Fensterbank und versuchte mich auf den Füßen zu halten. Ich musste hier raus!

Mit scharfen Augen sah ich mich weiter im Zimmer um. Gegenüber von mir befanden sich zwei Türen. Davor stand eine kleine Kommode, auf der ein silberner, spitzer Brieföffner lag. 

Schnell eilte ich darauf zu und packte mir ihn in die Hosentasche. Ich wusste nicht, wo ich war, oder wer mich erwischt hatte, also war ich dankbar, für jede Waffe, die mir in die Quere kam. 

 Meine Füße gaben keinen Laut von sich, als ich zur linken Tür ging und hineinspähte. 

Es war ein Badezimmer. Geräumig, aber ebenso in grau gehalten, wie das Schlafzimmer. Es gab eine ebenerdige Dusche, eine freistehende Badewanne, ein WC und ein flaches Waschbecken. Leise schloss ich die Türe wieder und ging zur anderen. Sie war verschlossen! Das hieß, dass dahinter mit ziemlicher Sicherheit ein Flur oder ein Weg hinaus war. Mit meiner ganzen Kraft rüttelte ich an der Türklinke, aber auch hier bewegte sich, ebenso wie beim Fenster, nichts! 

"Ach komm schon!", sagte ich laut und als ich einsehen musste, dass das zu nichts führte fluchte ich laut und trat dagegen.
"Shit!" 

"Spar dir deine Kräfte! Du wirst sie noch brauchen.", riet eine bekannte Stimme hinter mir. Langsam drehte ich mich um und stand IHM gegenüber. 

Er war groß, nicht zu muskelbeladen, hatte kurze Schwarze Haare und diese kalten eisblauen Augen, die es auch in diesem Moment schafften mir kalte Schauer über den Rücken zu jagen.

"Wo ist meine Schwester?", fragte ich leise und versuchte seinem Blick standzuhalten. 

"Zu Hause.", antwortete er knapp. Verwirrt blickte ich auf. 

"Ich bin kein Monster. Deine Schwester gehört zu eurer Mutter.", fügte er hinzu.

Leicht nickte ich. "Danke."

"Gerne." Sein Blick sog jede meiner Bewegungen auf. Als wäre ich etwas unglaublich Wertvolles. Sein intensiver Blick jagte mir Schauer über den Rücken. 

"Und was willst du von mir? Warum bin ich nicht bei meiner Familie?" Meine Stimme war leise und ich wusste nicht, wie lange ich es noch schaffte gerade zu stehen. 

"Es tut mir sehr leid, dass du das alles sehen musstest. Ich fürchte, du bist zwischen die Fronten eines Krieges geraten, der nicht für euch Menschen bestimmt ist. Bis vor Kurzem gab es Regeln und eine davon besagte, dass wir keine Menschen angreifen. Aber die andere Seite, hat beschlossen, dass es ihr egal ist.", erklärte er in wenigen Sätzen. 

"Und was hab ich damit bitte zu tun? Warum hast du mich dann gerettet?", fragte ich und konnte nicht verhindern, dass ich so langsam wütend wurde. 

Das hier war doch ein schlechter Scherz. Das konnte nicht wahr sein! Er war doch völlig gestört. Aber die Bilder von gestern Nacht brannten hinter meiner Stirn und ließen mich glauben, was er sagte. 

"Das weiß ich noch nicht so Recht, aber offensichtlich warst du von Bedeutung für die andere Seite, also bleibst du erstmal hier bei mir, bis wir herausgefunden haben, wer du bist.", entschied er.

"Ohhh nein! Nein, nein!", wurde ich laut. "Bestimmt nicht. Das kannst du vergessen. Ich bin ein Niemand. Ich bin nichts Besonderes. Das hier wird kein Märchen mit einer wunderschönen Prinzessin, die gerettet werden muss! Nope! Ich bin raus und gehe jetzt nach Hause. Danke für die Übernachtungsmöglichkeit, aber ich muss jetzt wirklich los!" Ich deutete auf den Flur hinter ihm und versuchte mich an ihm vorbeizudrängen, aber er stellte sich mir nur in den Weg. 

"Es tut mir leid, Talia, aber ich kann das nicht zulassen. Du bist erstmal mein Gast.", wiederholte er.

Innerlich begann es unter meiner Haut zu brodeln und ich merkte, dass ich gleich einen Wutanfall bekommen würde. Das hier war mir zu viel. Cassy und ihre Analyse bezüglich meiner unkontrollierbaren Emotionen kam mir wieder in den Sinn und ich wusste, dass ich unberechenbar war, wenn ich ausrastete. 


"Fahr zur Hölle.", murmelte ich nur und schluckte, in der Hoffnung, nicht die Beherrschung zu verlieren.

Aber er lachte auf meine Verwünschung hin nur leicht auf. "Da war ich schon und glaub mir. Hier auf dieser Welt ist es schlimmer." Er wandte sich zum gehen. 

Als er unter dem Türrahmen stand, drehte er sich noch einmal um: "Ach ja." Fordernd hielt er mir die Hand entgegen. 

Verwirrt blickte ich ihn an. 

"Gib mir den Brieföffner, bevor ich ihn mir holen komme."

"Wie..."

Er schnitt mir das Wort ab. "Ich kriege alles mit. Ich bitte dich jetzt das letzte Mal. Gib ihn mir."

Kurz überlegte ich, aber offenbar brauchte ich zu lange für ihn, denn er marschierte schon zielstrebig auf mich zu. 

"Ich gebe dir nicht meine einzige Waffe!", schleuderte ich ihm entgegen und versuchte ihm auszuweichen. 

Aber er war schneller - natürlich war er das. 

Seine Hand erwischte meinen Ellenbogen und er schleuderte mich gegen die Wand. 

Meine Hände hielt er mir auf dem Rücken zusammen. 

Egal, wie sehr ich mich auch wand: Ich hatte keine Chance. 

"Denk daran, wenn du unartig bist, werde ich das mit deiner Schwester rückgängig machen. Vielleicht will sie uns hier ja doch ein bisschen Gesellschaft leisten?"

Unter meiner Oberfläche brodelte es gewaltig. "Das wagst du nicht!", zischte ich gefährlich und versuchte ihn zu treten. 

Er drückte mich jedoch nur noch weiter an die Wand.  "Wollen wir es ausprobieren?"

Seine Hand fuhr in meine rechte Hosentasche und angelte den Brieföffner heraus. 

Bei seiner Berührung schauderte ich. Verdammt was war los mit mir?

Dann ließ er von mir ab und wandte sich zu gehen. 

"Was bist du für ein Wesen?", schrie ich laut, als er schon fast durch die Tür verschwunden war.
Er erstarrte in der Bewegung, drehte sich langsam um und sprach.

"Ich bin der Engel der Nacht und mein Name ist Adrien. Mehr musst du nicht wissen."
Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand. Das letzte was ich hörte, war, dass der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. 

Ich war wieder allein. Irgendwo. Eingesperrt von einem Engel der Nacht...

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt