Blut im Regen

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Ich schrie auf, als sich ein paar Arme um mich legten und stieß Nassim mit aller Kraft fort. Dann drehte ich mich um und rannte weiter.
"Du dummes kleines Menschlein.", rief er und ich konnte Schritte hinter mir hören.
Nicht umdrehen!
Nicht zurückschauen!
Laufen!
Abhauen!
Das hatte jetzt erstmal Priorität. Hauptsache weg von hier. Ich wusste egal was passierte, dass ich Nassim auf keinen Fall die Chance geben sollte, mich zu erwischen. Denn dann wäre alles verloren. Unsere ganze Flucht wäre umsonst.
Unsere Opfer vergebens.
"Du muss noch so viel lernen!", ertönte seine Stimme plötzlich vor mir und ich stolperte nach hinten, als er erneut vor mir landete und mich amüsiert ansah.
"Von dir mit Sicherheit nicht!", keuchte ich atemlos.
Er lachte nur amüsiert. "Gerade von mir. Wir werden genug Zeit haben, wenn du erstmal mein bist."
"Vergiss es!" Ich fuhr herum und änderte die Richtung wieder. Aber ich war mir bewusst, dass er mir dicht auf den Fersen war.
Irgendetwas traf mich am Hinterkopf und ich sah den Boden auf mich zukommen. Doch bevor ich mit ihm Bekanntschaft machen konnte, ergriff ein Arm meine Schulter und hinderte mich daran.
"Siehst du, dass meinte ich mit du musst noch viel lernen.", hörte ich eine raue Stimme an meinem Ohr.
"Regel Nummer eins:", begann er und legte von hinten die Arme um meine Mitte. Doch das hinderte mich nicht daran um mich zu treten.
"Einem Dämon der Nacht entkommt man nicht.", knurrte er und seine Lippen berührten mein Ohr.
"Regel Nummer zwei:" Seine Hände fuhren an meiner Seite hinab, bis sie auf meiner Hüfte liegen blieben.
"Zeige einem Vampir niemals deinen nackten Hals." Sein Mund wanderte von meinem Ohr zu meinem Hals und blieb dort liegen. Sofort erschlaffte meine Gegenwehr und ich bewegte mich nicht.
Etwas spitzes drückte leicht gegen meine Haut. Ich hielt die Luft an und schloss die Augen. Angst überflutete meinen Körper. Sollte das mein Ende sein? Ausgesaugt von einem elenden Vampir. Irgendwo blutleer auf einem Gehweg.
"Na also.", lobte Nassim mit dunkler Stimme. "Du lernst schnell."
Wenig später verschwand der Druck von meinem Hals und ich atmete erleichtert wieder ein.
"Und jetzt hör auf so ein Theater zu machen, sonst muss ich unfreundlich werden.", drohte er und lockerte seinen Griff etwas.
Sofort nutze ich meine Chance und floh aus seiner "Umarmung".
Meine Hand zuckte zu meinem Hals. Schnell überprüfte ich ob irgendwo etwas rotes war. Aber ich schien mit dem Schrecken davon gekommen zu sein. Zumindest dieses Mal.
Nassim beobachtete jede meiner Bewegungen ganz genau und starrte mich an, als würde er sich gleich wieder auf mich stürzen.
Als er einen kleinen Schritt auf mich zu machte, wich ich erschrocken nach hinten aus und streckte ihm in einer Geste der Abwehr meine Hand entgegen.
"Bleib weg von mir, du Monster!", keuchte ich und bebte vor Entsetzen.
Er lachte leise und war verschwunden. Erleichtert wollte ich aufatmen, als mir jemand von hinten eine Hand auf die Schulter legte.
"Sonst was?", wollte er belustigt wissen, als ich zu ihm herumgefahren war.
Ängstlich taumelte ich ein paar Schritte zurück.
"Sonst bring ich dich um!", fauchte ich und brachte noch ein paar Meter Distanz zwischen uns.
Er lachte nur laut. "Du willst mich umbringen?"
"Wenn du mich nicht in Ruhe lässt." Meine Stimme zitterte und war nur halb so stark wie ich sie mir gewünscht hatte.
"Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, Prinzessin. Aber das kann ich nicht.", sagte er als wäre es das normalste auf der Welt.
Jegliche Belustigung war aus seinem Gesicht gewichen und stattdessen war dort nun wieder dieser raubtierhafte, kalte, bedrohliche Blick.
"Du bist krank!", flüsterte ich und starrte ihn durch den Regen böse an.
Auf seine Lippen legte sich wieder dieses unheimliche Lächeln. "Mag sein. Allerdings bist du dann das Heilmittel."
Dann öffnete er seine Arme und stürzte sich auf mich.
Ich schrie auf und versuchte zu fliehen. Doch er war schneller und riss mich zu Boden. Meine Stirn knallte hart gegen die Kante des Gehwegs und alles verschwamm vor meinem Sehfeld.
Regungslos blieb ich liegen und schloss die Augen. Mein Kopf fühlte sich an als würde er explodieren. Selbst mein eigener Atem erschien mir viel zu laut.
Ein genüsslicher Laut über mir, riss mich schließlich zurück in die Realität.
"Ahhh!", seufzte Nassim und ging neben mir in die Hocke. "Riechst du das?", fragte er. "Riechst du dein Blut?"
Etwas zähflüssiges lief mir über die Stirn und lief mir über die Augen. Seit wann war Regen rot?
Erst als Nassims Frage in meinen Verstand durchgedrungen war, wurde mir bewusst, dass es keine Regentropfen waren.
Es war mein eigenes Blut, dass mir gerade übers Gesicht lief.
Mir wurde schlecht.
Ächzend rollte ich mich herum und wollte aufstehen, aber meine Beine wollten mir nicht länger gehorchen.
Hinter meiner Stirn pochte es unerträglich und ich hoffte, dass der Schmerz bald nachließ.
"Auf einmal doch so friedlich?" Nassim beugte sich über mich und atmete tief ein.
"Mein Kundschafter hat wirklich untertrieben, was dein Blut angeht. Es fällt mir schwerer als bei einem normalen Menschen zu widerstehen.", ergänzte er, wischte mir mit der Hand über die Stirn und leckte sich danach die Finger ab.
Angewidert wand ich das Gesicht ab, kämpfte ich mich auf die Füße und versuchte ein paar Schritte zu machen, doch nach wenigen Metern brach ich erneut zusammen.
Alles drehte sich.
Atemlos lag ich auf dem aufgeweichten Grund und ließ zu, dass der Regen auf mich herunter prasselte.
Ich konnte nicht mehr. Mir war schlecht. Meine Beine schmerzten. Von meiner Lunge mal ganz abgesehen.
Hinter mir hörte ich Nassim lachen und da erst wurde mir bewusst, dass ich gerade auf dem besten Weg war, mich ihm auszuliefern.
Vorsichtig setzte ich mich auf, zog die Jacke aus und drückte das Innenfutter auf meine Stirn. Solange ich weiter Blut verlor, würde ich es nicht schaffen zurück auf meine Füße zu kommen.
Fest biss ich die Zähne zusammen, als ich den Stoff auf meine blutende Wunde presste. Es brannte höllisch.
Mein vernebeltes Blickfeld klärte sich langsam und als die Blutung weniger wurde, stand ich auf und machte langsam ein paar Schritte vorwärts.
Ich wackelte und hatte Probleme in einer geraden Linie zu gehen, aber ein paar Meter später hatte ich auch das abgelegt.
Mit jedem Schritt wurde ich schneller und flüchtete vor dem Lachen, dass mich verfolgte.
"Ich habe dich unterschätzt.", rief er hinter mir. "Du bist stärker als ich gedacht habe."
Ohne ihn anzusehen, rannte ich um eine Ecke und prallte gegen etwas hartes.
Ich rutschte aus, schaffte es aber im letzten Moment mein Gleichgewicht zu finden und zu halten.
Schwer atmend musste ich feststellen, dass ich gegen eine Person gerannt war.
"Bitte!", flehte ich. "Bitte! Helfen Sie mir!"
Meine Welt wankte bedächtig und ich musste mich an der Straßenlaterne neben mir festhalten um nicht umzukippen.
"Da ist dieser Irre und... und...", stotterte ich und versuchte irgendwie meinen Atem zu kontrollieren. "und er will mich entführen."
Mein Gegenüber hatte eine dunkle Regenjacke an und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ein paar weißer Kopfhörer baumelten aus dem geschlossenen Kragen.
Das Licht der Straßenlaterne stand so über uns, dass seine Jacke tiefe Schatten auf seinen Kopf warf und es praktisch unmöglich war, etwas von seinem Gesicht zu sehen.
"Bitte!", keuchte ich und senkte den Kopf vor Erschöpfung etwas. "Ich muss einfach nur hier weg, bevor er oder einer seiner Handlanger mich findet!"
"Na dann hast du ja Glück...", sprach der Unbekannte und blickte endlich auf. "...das ich einer von diesen Handlangern bin."
Grüne Augen leuchteten mir entgegen und die Lippen waren zu einem, mir bekanntem, Lächeln verzogen.
"Nein!", flüsterte ich stimmlos und ging sofort nach hinten. Weg von ihm. Weg von diesem Verräter. Weg von dem Mann in dem ich mich so getäuscht hatte.
Ich schüttelte den Kopf. "Geh weg!"
"Ich fürchte, dass ist nicht möglich.", entgegnete er und blitzte mich amüsiert an. "Das habe ich dir schon einmal gesagt. Bevor du mir ein Messer in die Brust gerammt hast."
"Ich wollte das nicht! Das musst du mir glauben, Cam!", beteuerte ich und flüchtete nach hinten.
Er wiederholte meine Worte mit einem bitteren Ton in der Stimme. Als sein Blick mich traf, war ausser Wut nichts anderes mehr zu erkennen.
"Weißt du ich habe lange überlegt, wie ich es meinem Bruder am besten heimzahlen kann und dann bist du mir sozusagen über den Weg gelaufen. Es ist nur fair, wenn ich ihm das nehme was ihm am meisten bedeutet, nachdem er es bei mir genauso gemacht hat.", erklärte er und schüttelte den Kopf als spreche er mit einem unwissenden Kind.
Ich versuchte nicht länger ihm ins Gewissen zu reden, da ich inzwischen begriffen hatte, dass es nichts bringen würde. Cam war ein Psychopath und ich brauchte keine Sekunde länger um zu begreifen, dass ihm nicht mehr zu helfen war.
Noch immer schmerzte es, dass ich mich so in ihm getäuscht hatte. Allerdings war es einfacher ihn zu hassen, wenn er so war wie jetzt gerade.
Einen verrückten Dämonen konnte man leichter vergessen, als einen liebevollen, aufrichtigen Mann mit wunderschönen grünen Augen.
"Du bist der perfekte Weg für meine Rache.", fuhr er fort und visierte etwas hinter mir an.
Bevor ich herumfahren konnte, um nachzusehen, wer hinter mir stand, legten sich kräftige Arme um meine Brust und drückten mich an einen Körper.
Ich brüllte auf und versuchte mich loszureißen.
Plötzlich bohrte sich etwas in meinen Hals und ich schrie.
Ein quälendes Brennen breitete sich in meinem Körper aus und ich war wie gelähmt.
Dann wurde mir schwarz vor Augen.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now