Vergangenheit und Gegenwart

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Adriens Sicht:

Ihr Lachen verfolgte mich als ich die Türe zu ihrem Zimmer hinter mir schloss und ich ertappte mich selbst dabei wie ich in mich reingrinste, als sie mir ein "Ich stell mich nicht tot!" Hinterher rief.
Kopfschüttelnd kam mir das Handy wieder in den Sinn.
Seufzend gab ich meinen Code ein und suchte nach der richtigen Nummer. Schon lange hatte ich diese Zahlen nicht mehr benutzen müssen aber das hier war ein absoluter Notfall.
Leise ging ich einige Schritte fort von Talias Zimmer und atmete tief durch.
"Adrien. Schön von dir zu hören.", erklang keine Minute später Davids Stimme durch das Telefon.
"David. Die Freude ist ganz deinerseits.", erklärte ich kalt.
Sein schräges Lachen Drang leise an mein Ohr und ich erinnerte mich warum ich das hier tat.
"Du hast mich lange warten lassen.", meinte er und ich musste mich zusammenreißen um nicht das Handy in meiner Hand zu zerquetschen.
"Ich hatte gehofft niemals auf deine Dienste angewiesen sein zu müssen." entgegnete ich nur.
"Ich weiß schon worum es geht. Sie hat es dir ganz schön angetan sagt man sich.", behauptete er und unwillkürlich tauchte vor meinem inneren Auge das Bild einer gewissen Person auf. Rote kurze Haare umrahmten ihr Gesicht und die grasgrünen Augen starrten mich neugierig an. Schnell Vertrieb ich das Bild und konzentrierte mich wieder auf den Mann am anderen Ende der Leitung.
David war ein Seher. Einer der letzten. Und damit umso kranker. Kurz gesagt: Er war ein Psycho. Seine Augen waren schwarz wie Kohle und versprachen jedem der hineinsah den Tod. Den kompletten Kontrast dazu bildeten seine schneeweißen Haare. Diese waren lang und er Band sie immer streng zu einem kleinen Zopf im Nacken.
Nur leider brauchte ich ihn. Beziehungsweise seine Dienste. Natürlich war ich selber noch immer in der Lage mich der schwarzen Mächte zu bedienen, aber sie schwächten mich. Und Schwäche war das letzte was ich momentan gebrauchen konnte. Also musste ich wohl anders an meine Informationen kommen.
Drohend knurrte ich in den Hörer. "Wag es nicht. Ich weiß was du bezweckst."
Wieder dieses irre Lachen. "Gut. Dann sage mir nun was du von mir brauchst Prinz der Finsternis."
"Informationen.", antwortete ich knapp.

Es dämmerte bereits und ich stand hier draußen vor dem Krankenhauseingang und blickte in die Dunkelheit. Ich brauchte frische Luft um einen klaren Kopf zu kriegen. Innerlich war ich so aufgewühlt. So durcheinander. Und der Grund dafür war so simpel: Ich war verliebt.
Und doch wollte ich es mir nicht eingestehen.
Liebe macht schwach. Liebe macht verletzlich. Tja nun war ich beides. Da war also irgendetwas gehörig schief gelaufen.
Ich wusste nicht einmal was es war, was mich so zu ihr zog. Vielleicht ihre Unschuld? Ihr Stolz? Ihre Unwissenheit? Ihr Wesen?
Es war als hätte jemand einen längst verlorenen geglaubten Knopf gedrückt, der meine Gefühle von ihren Ketten befreite.
Vor knapp einer halben Stunde hatte ich den Kopf in ihr Zimmer gesteckt. Sie lag in ihrem Bett und blickte nach draußen. Böse starre sie ihre Wächter an.
Ich könnte sie niemals verletzten. Und deswegen war ich so wütend. Wütend auf mich. Auf das Monster in mir. Diese Kreatur die mich dazu zwang von anderen zu nehmen.
Im ersten Jahrhundert nach meiner Verwandlung hatte ich vieles versucht um diesen Fluch loszuwerden. Ich war von Dächern gesprungen. Hatte mir die Pulsadern aufgeschnitten. Sogar einen Dolch hatte ich mir in die Brust gestoßen.
Natürlich hatte ich es auch mit anderen Wegen probiert:
Freibriefe zur Vergebung der Sünden, auch wenn ich das von vornherein für Quatsch hielt.
Eintritt in sämtliche Kirchen der Welt, obwohl ich nicht an einen Gott glaubte. Denn wenn es einen Gott gab, würde er wohl kaum zulassen, dass ich zu dieser Kreatur wurde.
Zu lange hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen und nun war ich dessen müde.
Aus diesem Grund war ich die letzten einhundert Jahre mehr tot als lebendig gewesen und eigentlich mit geschlossenen Augen durch mein Leben gerannt.
Und dann tauchte sie plötzlich auf...
Und ich begann wieder einen Sinn zu sehen. Seit sie in meiner Nähe war, wollte ich wieder leben. Ich wollte fühlen. Erleben. Menschlich sein.
Gott was redete ich da nur? Mein Vater würde mich für verrückt erklären. Was war es da doch für ein Glück, dass er mich so nicht sehen musste. Auf Einen weichen verliebten Idioten wäre er wohl kaum stolz.
Bei dem Gedanken an meine Eltern bildete sich ein Knoten in meiner Brust und ich wusste wieder warum ich Nassim so hasste.
Ohne dass ich es wollte krochen die Bilder wieder aus den hintersten - den dunkelsten - Ecken meines Kopfes wieder hervor.
Es war einige Tage nach unserem Pakt mit Luzifer. Es war spät. Die Nacht war kalt und dunkel. Aber das war mir egal.
Wir lebten außerhalb des Dorfes, nah am Wald. Doch das störte uns nicht. Cam und ich waren in dem alten Haus aufgewachsen und kannten den Wald besser als uns selbst.
Die Nacht war bereits weit fortgeschritten, als ich leisen Schrittes die gekieste Auffahrt zum Hof meiner Eltern entlang schlich. Mutter würde mich umbringen, weil ich wieder so spät nach Hause kam. Und wo Cam schon wieder steckte, wusste ich auch nicht.
Doch dann drängen plötzlich qualvolle Schreie an mein Ohr und alle Vorsicht war vergessen. So schnell meine Füße mich trugen rannte ich zu unserem Haus und stieß die Türe auf.
Der Anblick der sich mir bot würde ich nie vergessen können. Er würde mich immer verflogen.
Meine Mutter lag mit weit aufgerissenen Augen in einer großen roten Lache auf dem Boden. An ihrem Hals war eine große Wunde. Sie blutete stark. Ihre hellen Haare sahen in dem Blut um sie herum aus wie ein Heiligenschein. Ihr weißes Nachtgewand hatte an vielen Stellen hellrote Handabdrücke und Flecken.
Über ihr stand Nassim und fuhr herum als die Tür mit einem lauten Knall gegen die Wand knallte. Seine Lippen waren rot. Seine Spitzen Eckzähne ebenfalls. Er blickte mich gierig aus seinen roten Augen an. Und in diesem Moment realisierte ich was passiert war. Mein Zorn war nicht zu bändigen und so stürzte ich mich auf ihn. Er floh. Wie Ratten ein sinkendes Schiff verließen.
Als er fort war, kniete ich mich neben den leblosen Körper meiner Mutter und schüttelte sie. Immer und immer wieder, doch ich wusste, dass sie nicht aufstehen würde Das würde sie nie wieder.
Niemals würde ich das Gefühl vergessen, als ich aufstand weil ich etwas draußen gehört hatte und meine Hände rot von ihrem Blut waren. Wie meine Finger bebten. Wie viel Zorn ich spürte.
Überall war ihr Blut. Ich hatte sie geliebt. Sie war die schönste Frau die ich jemals gesehen hatte. Sie war anmutig, stolz, grazil. Hätte man nicht gewusst, dass sie nur eine einfache Bäuerin war, hätte man sie für eine Königin halten können. Und jetzt war sie tot.
Und es war meine Schuld. Wäre ich doch nur nicht so lange in der Dorfkneipe gewesen. Wäre ich doch nur pünktlich nach Hause gegangen. Ich hätte sie retten können. Ich hätte sie beschützen müssen.
Als ich mich umdrehte stand mein Vater im Türrahmen. Das war der Moment an dem er zerbrach. Der Anblick seiner geliebten Frau, trieb in zur Verzweiflung und er begann mir Vorwürfe zu machen. Bis heute spürte ich den Schmerz den seine Worte hinterlassen hatten. Aber er hatte Recht.
Als ich ihn fragte wo er überhaupt gewesen war, sagte er, er habe Cam gesucht. Erfolglos.
Noch in der gleichen Nacht beerdigten wir sie. Es regnete und mein Vater grub ein tiefes Loch am Waldrand. Cam war verschwunden. Und mein Vater trug seine eigene Frau zu Grabe. Es brach ihm das Herz. Und ich war schuld.
Wenige Tage später kam ich nach Hause und er war fort. Es dauerte knapp zwei Wochen bis wir ihn fanden. Er war stromabwärts den Fluss getrieben worden. Die große Wunde an seinem Kopf zeugte davon, dass er von den Klippen im Wald gesprungen war. Er hatte sich umgebracht. Und auch das war meine Schuld.
Ich konnte dort nicht mehr leben und ging.
Es war das Beste. Für alle.
Ich schüttelte den Kopf um diese schreckliche Erinnerungen loszuwerden, aber sie waren tief eingebrannt in meiner Seele. Es hatte angefangen zu nieseln. Aber das störte mich nicht.
Ich schloss die Augen und wandte das Gesicht dem Regen zu.
Alles was ich liebte verging. Sei es wegen dem Monster in mir oder durch Nassim, dem es Vergnügen bereitete das zu nehmen, was ich begehrte. Und aus diesem Grund hatte ich solche Angst um Talia.
Ich wollte sie nicht so vorfinden wie meine Mutter. Allein der Gedanke daran brachte meine Welt zum Schwanken.
Doch war es das wirklich wert? Ich zerstörte damit nicht nur ihr Leben. Wollte ich das wirklich? Würde ich sie einfach so in meine Welt mitnehmen? Was wenn ihr etwas passierte? Könnte ich mir das jemals verzeihen?
Die Zweifel trieben mich noch zur Verzweiflung... Und aus diesem Grund konnte ich Talia momentan nicht sehen. Ihr in die Augen zu sehen würde mich dazu bringen, sie nie wieder gehen zu lassen. Doch das konnte ich auch so schon nicht mehr. Es mochte egoistisch sein, aber ich brauchte sie! Sie konnte meine Erlösung sein!
Ich beschloss ein paar Schritte zu gehen und überquerte die unbefahrene Krankenhauszufahrt. Der Park lockte mit Dunkelheit und ich ließ mich nur zu gerne von den Schatten verschlucken. In der Finsternis fühlte ich mich unbesiegbar. Sie war mein Heim. Dort gehörte ich hin. Am Wegrand spendete alle paar Meter eine kleine Laterne spärlich Licht. Ich entspannte mich allmählich. Das Handy in meiner Jackentasche vibrierte und ich angelte es hervor. Es war eine Nachricht von Cam.

Dänemark geht klar. Also wo zum Teufel bist du jetzt?!
Die Jungs sind bereit. Wir warten nur noch auf dein Zeichen.

Ich schmunzelte. Der Plan war absurd. Aber er würde klappen. Ich schrieb nicht zurück. Ich brauchte noch etwas Zeit.
Gerade wollte ich das Handy wieder wegpacken, als mich jemand von hinten anrempelte und sich an mir vorbeidrängte. Nicht, dass der Weg breit genug war...
"Hey!", sagte ich laut. "Pass auf wo du hinläufst."
Die Person hatte eine schwarze Jacke an und deren Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Trotzdem brauchte ich keine Sekunde um zu begreifen, wer der Typ war. Diese katzenartigen Augen würde ich überall erkennen. Und die Narbe in der linken Augenbraue zeigten deutlich wenn ich hier vor mir hatte.
"Sie wird mein sein.", flüsterte er und lachte leise. "Denn sie ist der Schlüssel." Bei seinen Worten hatte mein Hals sich zugeschnürt und ich musste sofort an Talia denken.
Dann drehte Nassim sich um und begann zu rennen.
Ich brauchte nicht lange um ihm zu folgen. Doch er war schon immer schneller gewesen. Und meine Schwingen konnte ich hier nicht benutzen. Das Risiko gesehen zu werden war zu groß. Wenn ich ihn erwischte würde er sich wünschen, niemals geboren worden zu sein. Die Wut kochte in mir auf und ich wurde noch schneller. Er war nur wenige Meter vor mir. Ich steckte die Hand aus. Fast konnte ich den Stoff seiner dunklen Jacke erreichen, doch dann bog er ab. Verärgert zischte ich und schlug ebenfalls die neue Richtung ein. Doch offenbar war es die falsche gewesen, denn ich stand wieder an der Straße. Rechts war Kilometerweit niemand. Das gleiche links.
Ich fluchte laut. Ich hatte ihn verloren!
In diesem Moment klingelte mein Handy erneut.
"Ja?" Genervt nahm ich ab.
Talia stand kurz vor einem Wutanfall, weil sie mit mir reden wollte.
Ich versicherte sofort zu kommen und legte auf.
Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Talia... Sie war etwas besonderes und ich würde auf sie achten wie auf meine Flügel.
Ich wusste, dass er hier irgendwo war. Ich konnte es spüren.
"Es wird der Moment kommen, an dem ich dich finde. Und dann wirst du bezahlen für das was du getan hast. Und solltest du ihr auch nur ein einziges Haar krümmen, so schwöre ich wirst du dir wünschen mir niemals begegnet sein.", flüsterte ich in die Nacht. Erst dann machte ich mich auf den Weg zurück zum Krankenhaus.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now