Der letzte Funke

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Langsam öffnete ich meine Augen.
Mein Blick war trüb und ich war nicht in der Lage irgendetwas zu erkennen.
Ich stöhnte und rollte zur Seite. Mein Kopf pochte schmerzhaft und mein Hals brannte höllisch.
Was war nur passiert?
Ich blinzelte ein paar Mal bis mein Sehfeld sich allmählich klärte.
"Adrien?", krächzte ich und versuchte irgendetwas zu erkennen.
Ein dunkles Lachen antwortete mir.
"Weit gefehlt.", sagte die körperlose Stimme.
Vorsichtig drehte ich mich auf die andere Seite. Weiter zu der Stimme.
Als ich allerdings die Person sah, die dort vor mir saß, war ich schlagartig wach und sprang wortwörtlich auf.
"Nassim!", keuchte ich und drückte mich an die Wand.
Er richtete sich auf und sah mich amüsiert an. "Wie geht es dir?", wollte er wissen.
Automatisch zuckte meine Hand zu meinem Hals. Es tat weh. Mehr als das.
"Du fragst mich allen Ernstes wie es mir geht?!", brauste ich auf und funkelte ihn böse an.
"Ja, ich dachte ich versuche es mal auf die nette Art und Weise.", meinte er achselzuckend.
Ich lachte bitter. "Du und nett? Niemals!"
Er lächelte. "Warum denn nicht? Ich war schließlich nicht immer das Monster, das ich jetzt bin."
"Denkst du mich interessiert deine Leidensgeschichte?", fragte ich und schaffte es nicht den Zorn aus meiner Stimme zu verbannen. "Erwartest du Mitleid?"
Seine Augen verloren ihren belustigten Ausdruck und erst da wurde mir bewusst, in was für einer Situation ich mich gerade befand:
Nassim hatte mich erwischt und irgendwo hingebracht, während ich bewusstlos war.
Er hatte mich gebissen, daher die Wunde an meinem Hals.
Und - das allerschlimmste - er hatte es geschafft, Cam auf seine Seite zu ziehen.
All das nur um Adrien leiden zu sehen.
"Nein!", knurrte Nassim mir gegenüber. "Was ich erwarte, kannst du dir nicht einmal in deinen heftigsten Albträumen ausmalen."
"Mein Albtraum steht mir bereits gegenüber. Viel schlechter kann es also kaum noch werden.", gab ich zurück und scannte den Raum ab.
Es war ein großes Zimmer.
Schäbiges, altes, abgenutztes Parkett diente als Boden und der Putz bröckelte bereits von den Wänden.
Das Glas der Fenster war bereits angelaufen und milchig.
Die Tür war mir gegenüber, allerdings standen zwei große Männer davor. Ihre Augen hatten einen leicht rötlichen Schimmer.
Noch mehr Vampire und so wie ich Nassim einschätzte, waren es mit Sicherheit nicht die einzigen in diesem alten Haus.
"Oh du hast ja keine Ahnung.", behauptete Nassim und seine Mundwinkel zuckten ein Stück nach oben. "Es wird noch viel schlimmer werden."
"Da muss ich dir wohl Recht geben.", sagte ich und lächelte mild "Für dich wird es die Hölle werden, wenn Adrien kommt und du zu Staub zerfällst, wenn er mit dir fertig ist."
Sein Lächeln wurde noch breiter. "Du bist dir ja sehr sicher, dass er kommt."
"Nein.", erwiderte ich und reckte stolz das Kinn nach oben. "Ich WEIß, dass er kommt!"
"Dann bleibt ja nur noch die Frage wann. Wie lange wird er dich wohl hier leiden lassen, hm?" Anzüglich ließ er seinen Blick über mich wandern und verharrte bei meinem Hals.
Ein weißer Verband verdeckte die Wunde und somit die zwei kleinen Löcher, die dort am verheilen waren.
Behutsam legte ich die Hand darauf, ohne Nassim aus den Augen zu lassen. Im Moment sah er so aus, als würde er sich in den nächsten Sekunden auf mich stürzten und mir die Halsschlagader aufreißen.
Und ich wusste, dass er dazu in der Lage war.
Angst mischte sich in meine Gefühle und ein kalter Schauer überlief meinen Körper.
"Er wird kommen!", wiederholte ich leise und blickte Nassim stur in die Augen.
"Wenn versuchst du hier eigentlich gerade zu überzeugen? Mich? Oder dich?", fragte Nassim und lachte.
Seine Reaktion machte mich wütend. Nicht, weil sie total unangebracht war. Sondern weil er Recht hatte.
Verzweifelt klammerte ich mich an den Gedanken, dass Adrien mich holen würde. Doch was war, wenn dies nicht der Fall war?
NEIN! An so etwas durfte ich nicht einmal denken! Adrien würde mich finden und hier rausholen.
"Ist ja eigentlich auch egal." Nassim schüttelte den Kopf. "Wir werden auch so genug Spaß mit einander haben." Er drehte sich auf den Fersen um und ging Richtung Tür.
Ich ging nicht auf seine Provokation ein, sondern riss das nächste Fenster auf und versuchte hinaus zu klettern.
Es war Zufall oder Glück, dass wir im Erdgeschoss waren, denn so fiel ich nicht in die Tiefe.
Allerdings schaffte ich es nicht meinen zweiten Fuß ebenfalls über den Fensterrahmen zu hieven, denn da zogen mich bereits mehrere Hände zurück.
Ich schrie auf und trat um mich.
Irgendwie schafften Nassims Handlanger schließlich mich zu bändigen und drehten mir die Arme auf den Rücken, so dass ich ihren Boss ansehen musste.
Dieser hatte die Szene beobachtet und kam nun auf mich zu.
Ich schloss die Augen und drehte den Kopf weg.
"Sieh mich an, Talia!", grollte er, aber ich dachte nicht daran. Mein Widersetzen hatte zur Folge, dass sein Handrücken in mein Gesicht knallte.
Überrascht öffnete ich meine Augen und sah ihn an.
Irgendwie schaffte ich es nicht zu weinen. Diese Genugtuung wollte ich ihm nicht geben.
"Ich hasse dich!", zischte ich und blickte von unten zu ihm auf.
Er lachte nur.
Dann sah er mich an und lächelte. "Ich werde deinen Stolz schon noch brechen! Ich habe genug Zeit."
Als Antwort spuckte ihm ins Gesicht und grinste zufrieden, als ich bemerkte, dass ich ausgesprochen gut getroffen hatte.
Mein Triumph dauerte allerdings nicht lange an, denn nachdem er sich meinen Speichel vom Gesicht gewischt hatte, legte er seine Hand unter mein Kinn und zwang mich so, ihn anzusehen.
"Großer Fehler. Ganz großer Fehler meine Liebe.", knurrte er.
Ich lächelte zufrieden und starrte ihn herausfordernd an.
"Weißt du, eigentlich wollte ich dich wie einen Gast behandeln. Aber du lässt mir keine andere Wahl..." Er drehte mein Gesicht ein wenig und blickte dann die Vampire an, die mich festhielten.
„Ab jetzt bist du meine Gefangene und wirst auch wie eine behandelt."
Er nickte mit dem Kopf und die Monster begannen daraufhin mich aus dem Raum zu schleifen.
„Eine Frage hab ich noch.", rief ich und die beiden Riesen hielten inne.
Nassim fuhr zu uns herum und sah mich überrascht an.
„Ja?", forderte er mich auf zu sprechen, während er sich mit einem Stofftuch über das Gesicht wischte.
„Was für eine Rolle spielt Cam in deinem kranken Plan?" Ich richtete mich so gut es in dem Griff meiner zwei Wachen ging, auf.
Nassim nickte anerkennend. „Du bist schlau. Also will ich es dir verraten..." Er lächelte ein wenig. „Sieh es als Zeichen meiner Güte."
Ich schnaubte und verdrehte die Augen.
„Der junge Cameron ist blind vor Wut. Ich habe ihm gesagt, er würde seine Rache bekommen und naiv wie er ist, stimmte er zu. Ich dachte mir, er könnte irgendwann wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, lautlos zuschlagen und dich zu mir bringen. Aber er hat versagt. Mehrmals. Wobei mir das eigentlich egal ist. Mir geht es darum ihre komplette Familie auszulöschen. Ihn und Adrien. Einen der beiden habe ich bereits in meinem Haus. Und glaub mir, der andere wird nicht mehr lange auf sich warten lassen." Seine Lippen verzogen sich zu einem triumphierenden Lächeln, während ich noch versuchte, die Tragweite seiner Worte zu begreifen.
„Du willst sie umbringen!", keuchte ich dann entsetzt.
Er nickte. „Cam war nur Mittel zum Zweck. So schlage ich praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe. Adrien wird daran zu Grunde gehen. Ich habe nicht nur seine Verlobte in meinen Händen, sondern auch sein letztes bisschen Familie. Er wird unüberlegt handeln und genau das werde ich mir zu Nutze machen."
„Du bist komplett wahnsinnig!", flüsterte ich und konnte nicht fassen, was für ein Monster er doch war.
Er hatte Cam die ganze Zeit auf mich losgejagt nur um sich selbst die Finger nicht schmutzig zu machen und um Adrien noch mehr zu demütigen.
Das war einfach nur krank!
Meine Worte reichten nicht mal ansatzweise um zu beschreiben, wie abstoßend ich ihn und seinen teuflischen Plan fand.
„Ich glaube du hast Cam auf mich gehetzt, um das Spiel mit meiner Angst zu genießen, stimmt's?" Ich lehnte mich so weit zu ihm vor, wie meine Wächter es zuließen.
Nassim sah mich überrascht an. Offenbar hatte ich Recht.
„Aber ich muss dich enttäuschen. Ich habe keine Angst vor dir. Und vor Cam schon gar nicht. Ich weiß, dass er mir nie wehtun würde. Auch wenn er so getan hat. Tief in seinem Herzen ist die Hoffnung noch nicht verloren." Provozierend sah ich ihn an.
„Ich glaube da täuscht du dich gewaltig.", erwiderte er mit einem widerlichen Grinsen. „In Cam ist nicht der kleinste Funken Licht mehr. Sein Herz ist schwarz wie die Nacht. Er ist verloren, seit er zu mir kam, nur weiß er das noch nicht. Aber keine Sorge..." Er unterbrach sich um seinen folgenden Worten mehr Gewicht zu verleihen. „...ich werde dafür sorgen, dass du ihm nicht zu nahe kommst. Sonst könntest du ihm wohlmöglich noch verraten, dass er innerhalb der nächsten 48 Stunden sterben wird. Zusammen mit seinem elendigen Bruder."
Wütend funkelte ich ihn an und preschte nach vorne. Ich nutzte den Moment der Unachtsamkeit meiner Peiniger und entkam ihnen.
Mit einem lauten Schrei stürzte ich mich auf Nassim und verpasste ihm einen saftigen Kinnhaken, bevor er reagieren konnte.
Ich holte erneut aus und zielte auf seine Nase, aber da hatten die beiden Vampire mich bereits wieder eingefangen.
„Ich bring dich um!", schrie ich und wehrte mich heftiger als zuvor, als ich aus dem Raum gezogen wurde.
„Ich hasse dich!", brüllte ich und versuchte mich loszureißen, aber offensichtlicher weise hatten die beiden Jungs dazugelernt, denn ihre Hände lagen wie Schraubzwingen um meine Arme.
„Dafür wirst du bezahlen!", heulte Nassim und rieb sich schmerzgepeinigt das Kinn. Stolz wuchs in meiner Brust.
Wenn ich also sterben würde, so konnte ich zumindest sagen, dass ich nicht kampflos aufgegeben hatte.
Dann verschwand der Dämon aus meinem Sichtfeld und ich richtete meinen Blick nach vorne.
Die beiden Monster zerrten mich unbarmherzig weiter und so schließlich auch aus dem Zimmer.
Einer der beiden hielt kurz inne, als rechts von uns jemand an der Wand lehnte.
„Cam!", sagte ich und hoffte ihn irgendwie erreichen zu können. Er starrte auf den Boden und schien erst aus seiner Trance zu erwachen, als ich seinen Namen sagte.
Seine Augen waren trüb.
Wie lange hatte er dort gestanden?
Hatte er etwa gehört, was Nassim über ihn gesagt hatte?
Und wenn ja, könnte ich ihn dann auf meine Seite ziehen?
Immerhin war es immer noch Cam und ich war mir sicher, dass tief in ihm noch der Mann steckte, den ich kennengelernt hatte.
Die Frage war nur, ob ich es schaffe diese Person wieder an die Oberfläche bringen...

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt