Ungeduldig

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Der Tag kroch wirklich langsam dahin.
Es war bereits kurz nach vier und weder Cam noch Adrien hatten es für nötig gehalten mir zwischenzeitlich mal einen Besuch abzustatten. Alleine ließen sich mich aber trotzdem nicht. Es wäre ja auch zu schön gewesen!
Mir gegenüber saß Rafael die Nase tief in ein Buch vergraben. Auf dem Balkon stand ebenfalls einer von Adriens Handlangern und vor meiner Zimmertüre zwei weitere. Es war schrecklich. Als eine Schwester mir mein Mittagessen gebracht hatte, war sie fast schon hysterisch aus dem Zimmer geflüchtete. Aber ich konnte es ihr nicht einmal verübeln. Rafaels Blick verfolgte jeden peinlichst genau, der sich im Zimmer bewegte. Mal ganz davon abgesehen, dass es sich bei allen der Männer um Schattenschwingen handelte...
Nur wussten meine „Besucher" dies natürlich nicht.
Ich seufzte. Gott, war das langweilig. Schon seit Tagen hatte ich nichts mehr zu lesen. Das Buch das Cam mir geschenkt hatte, befand sich gerade in Rafaels Klauen und ich kannte sämtliche Serien im Fernsehen bereits auswendig.
„Was ist los, junge Dame?", fragte Rafael in diesem Moment und blickte von seinem Buch auf.
„Ich mach mir Sorgen.", erklärte ich knapp und sah wieder nach draußen. Der Mann dort, stand mit verschränkten Armen auf meinem Balkon und behielt die Umgebung genau im Blick. Man könnte meine, es läge hier der Präsident der Vereinigten Staaten nicht einfach nur ein unbedeutendes rothaariges Mädchen.
Rafael folgte meinem Blick und verstand. Er klappte das Buch zu und legte es neben sich auf den kleinen Tisch.
„Um Adrien oder?", riet er und hatte genau ins Schwarze getroffen. Natürlich. Wie konnte es auch anders sein. Ich fragte mich nur, ob man es mir so ansah, wie die Beziehung zwischen Adrien und mir momentan war.
„Auch.", gestand ich dann nach kurzer Zeit.
Er lächelte wissend. „Ich kann dich bei diesem Thema beruhigen. Ihm geht es gut. Aber er macht sich große Sorgen um dich."
Nun war es an mir zu lächeln. So etwas hörte man doch ausgesprochen gerne...
„Wieso?", hakte ich nach und dachte daran, dass Adrien vielleicht etwas wusste, was ich nicht ahnte und er sich deshalb Sorgen machte. Wenn dem wirklich so war, kam mir nur ein Name in den Sinn: Nassim.
Ich dachte nur daran und schon lief es mir kalt den Rücken runter. Diese Augen. Diese gelben Augen. Sie hatten förmlich nach Gefahr geschrien.
„Tut mir leid. Aber ich darf nichts sagen, was dich beunruhigen könnte.", entschuldigte er sich und damit war die Sache klar.
Ich meine wenn er schon solche Aussagen machte! Wenn es harmlos wäre, würde er es mir sagen. Zu einhundert Prozent!
Na super! Nicht einmal im Krankenhaus hatte ich meine Ruhe vor diesen Wesen! Es war doch echt zum verrückt werden!
„Und was plant Adrien dann?", wollte ich wissen „Und sag mir jetzt nicht, dass er nichts plant! Denn so gut kenne ich ihn nämlich auch.", fügte ich noch hinzu. Rafael sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, mir etwas anderes als die Wahrheit zu erzählen.
„Ich glaube, dass kannst du dir selber denken.", behauptete er also und sah mich komisch an. Wahrscheinlich überlegte er, wieviel er mir erzählen sollte. Oder durfte.
Nach ein paar Minuten seufzte er und schüttelte den Kopf. „Er will hier weg."
„Und wohin?", bohrte ich weiter „Und wann? Und vor allem, wie?"
Rafael machte eine beruhigende Handbewegung und fuhr sich durch die Haare.
„Ich soll dir eigentlich gar nichts darüber sagen, aber bevor du dich zu Tode aufregst, erzähle ich es dir okay? Aber nur wenn du dich danach beruhigst!", forderte er und ich nickte sofort wie wild mit dem Kopf.
„Okay.", stöhnte er und massierte sich die Schläfen. „Adrien will dich hier rausholen und in eines seiner Häuser fahren." Er stoppte und ich wollte sofort etwas fragen, aber er hielt warnend den Zeigefinger in die Höhe und so klappte ich meinen geöffneten Mund wieder zu.
„Ich glaube er möchte am liebsten zu dem an der dänischen Grenze.", vermutete er und jetzt schaffte ich es doch nicht mehr, meine Klappe zu halten.
„An der DÄNISCHEN GRENZE?!", echote ich und starrte ihn an.
Lachend sah er mich an. „Ja. Sogar auf dänischer Seite."
Ich glaubte ich hatte mich wohl verhört! Das war ja unendlich weit weg von meinem Zuhause! Wenn die Jungs dachten sie würden mich einfach so nach DÄNEMARK kriegen, musste ich sie enttäuschen.
„Wenn ich mich nicht täusche hat er da eine wunderschöne Architektenvilla auf einer kleinen künstlich vorgelagerten Insel in der Nordsee. Es wird dir gefallen.", versprach er und ich konnte das Grinsen in seinem Gesicht nur schwer ertragen. Wer sagte, dass ich da überhaupt freiwillig mit hin zog?
„Wie sie dich hier rauskriegen wollen, ist mir allerdings auch ein Rätsel. Du bist schlimmer als jede Kratzbürste der Welt. Vor allem da du jetzt weißt wo es hingehen soll. Und ja ich glaube ich habe einen Fehler gemacht, als ich dir gesagt habe, wo ihr hingeht." Er kratze sich am Nacken und sah mich entschuldigend an.
Aber aus der Nummer kam er nun nicht mehr raus.
„Rafael.", schleimte ich. „Du weißt doch bestimmt, wann Adrien das alles umsetzen will oder?"
Skeptisch blickte dieser mich an und schüttelte den Kopf. „Ich sag nichts. Ich hab schon zu viel gesagt."
Ich stieß einen ungeduldigen Laut aus und stellte mir gerade vor wie ich ihn ansprang und ihm den Kopf abriss. Aber meine Kabel ketteten mich ans Bett.
Was ein Glück er doch hatte...
"Das ist echt nicht fair!", jammerte ich und blickte ihn böse an.
"Ich fürchte du wirst dich daran gewöhnen müssen. Adriens Meinung lautet: Umso weniger Leute etwas von seinen Aktionen wissen, umso geringer ist das Risiko, dass etwas daneben gehen könnte.", erklärte er aber ich fand, dass das absoluter Schwachsinn war! Wobei ich es wahrscheinlich genauso machen würde, das musste ich ja gestehen.
"Ich finde trotzdem, dass ich ein Recht habe zu erfahren, was hier los ist, da ich ja mit Sicherheit irgendwie beteiligt bin!", fuhr ich ihn an und knirschte verärgert mit den Zähnen.
Beschwichtigend hob er die Hände. "Das mag sein, aber du wirst weder von mir noch von einem der Jungs etwas erfahren also versuch es erst gar nicht!"
Ich funkelte ihn nur wütend an. Das war nicht zu glauben! Hatten die sich alle gegen mich verschworen oder was war hier los?
Einige Minuten starrten er und ich uns einfach nur an. Der Raum um uns herum war totenstill. Irgendwann gab ich seufzend auf und fuhr mir genervt durch die Haare.
Rafael lächelte, ließ sich wieder auf seinen Platz sinken und vergrub keine Minute später die Nase in meinem Buch! Diese Schattenschwingen hatten doch alle einen Dachschaden! Kopfschüttelnd sank ich zurück in mein Kissen und starrte wieder zu der langweilig weißen Decke empor.
Könnte man eigentlich an Langeweile sterben? Wenn ja, war ich kurz davor!
Ich vermisste meinen Dodge! Meine Rennen! Den Adrenalinschub dabei! Das Feiern danach! Ich vermisste meine beste Freundin!
Kurz: Ich vermisste das Abenteuer...
Natürlich war das hier auch ein Abenteuer, wahrscheinlich sogar das größte meines Lebens und trotzdem! Vielleicht vermisste ich auch den Alltag oder das was man in meinem alten Leben so hatte nennen können. In diesem Moment klopfte es und einer der zwei Türwächter steckte seinen Kopf zu uns herein.
"Alles okay?", Fragte er und sein Blick wanderte zwischen Rafael und mir umher.
"Ja. Wieso nicht?", stellte er die Gegenfrage.
Der Fremde zuckte mit den Achseln. "Ich war der Meinung etwas gehört zu haben."
Bevor Rafael etwas sagen konnte, antwortete ich: "Ja, ganz richtig! Es war der Verzweiflungsschrei einer einsamen Frau."
Beide Männer sahen mich überrascht an.
"Oh.", machte der Unbekannte dann nur. "Ich glaube ich gehe dann auch mal lieber wieder." Er wollte den Rückzug antreten, aber nicht mit mir!
"Oh nein!", rief ich und war froh, dass meine alten Kräfte so allmählich wieder zu mir zurückkehrten. "Sie bleiben schön hier."
Die beiden wechselten einen Blick.
Ich quälte mich ächzend auf, bis ich neben meinem Bett stand und die Zwei vorwurfsvoll ansah. Es war ein Wunder, aber es ging mir ausgesprochen gut. Das einzige was ich fühlte war ein Anflug von Schwäche. Aber dieser war nicht weiter zu beachten.
"Ich verlange sofort zu erfahren, was hier los ist!" Ich wusste, dass ich nicht unbedingt überzeugend war in meinem weißen Hemd, aber das interessierte mich reichlich wenig.
"Ich will wissen, wo Adrien ist! Wann dieser gedenkt mich aus diesem Gefängnis zu entlassen und was seine weitere Vorgehensweise ist! Das wird ja wohl nicht so schwer sein!" Zu sagen, dass ich sauer war, wäre eine gehörige Untertreibung gewesen.
Der Türwächter blickte unsicher zu Rafael. Dieser nickte.
"Ich werde den Chef anrufen und ihm sagen, dass seine kleine Prinzessin kurz davor ist einen Anfall zu bekommen. Wir wollen ja nicht, dass jemand dabei zu Schaden kommt." Er ließ seinen Blick kritisch über mich wandern, ehe er den Kopf schüttelte und sein Handy hervorholte.
Aber so oder so: Ich hatte mein Ziel erreicht!
Adrien würde kommen.
Und dann könnte er was erleben...

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now