Verbotener Kuss

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Auch wenn ich es mir natürlich nicht eingestehen wollte, fing ich so langsam an mir Sorgen um Adrien zu machen. Es war inzwischen zwei Tage her, seit er so plötzlich geflüchtet war. Meine Stimmungen fuhren Achterbahn. Ich schob es auf die Tabletten die ich schluckte. Inzwischen waren es nicht einfach nur noch Vitamine. Um ehrlich zu sein hatte ich keine Ahnung, was Cameron in mich reinpumpte. Und wissen wollte ich es lieber nicht. Fakt war, dass ich regelmäßig zwischen guter Laune und depressiven Gedanken an zu Hause schwankte. Es war Horror.
Im Moment ging es mir ganz gut. Mal sehen wie lange noch...
Cam hatte mir angeboten, den Pool im Keller mal zu benutzen und diesem Angebot wollte ich nun nachgehen. Wobei die Bezeichnung "Wellnesstempel" es wohl eher traf.
In dem großen Ankleidezimmer hatte ich meinen alten Bikini mit der passenden halblangen Short gefunden. Er passte. Natürlich passte er. Ich hatte den gleichen besessen. Vor einigen Monaten...
Vorsichtig warf ich einen Blick in den Spiegel. Meine Wagen waren etwas eingefallen und ich war dünner, als noch vor ein paar Wochen. Was wohl daran lag, dass mir der Appetit vergangen war, seit ER mich hier festhielt. Obwohl er nicht anwesend war, war ich eigentlich nie alleine in einem Raum. Offensichtlicher Weise hatte er ein oder zwei seiner besten Handlanger damit beauftragt mich nicht aus den Augen zu lassen. Immerhin könnte ich ja wieder durch eine Scheibe springen...
Das Bad war der einzige Ort, an dem ich meine Ruhe hatte. Allerdings hatte man hier drinnen den Spiegel angehängt, falls ich wieder auf dumme Gedanken kommen sollte. Was gar nicht mal so falsch war, denn ich suchte noch immer nach einem Weg aus diesem Albtraum.
Das Schattenwesen hinter mir, warf mir durch den Spiegel einen Blick zu. Am Anfang hatte ich versucht mich mit ihm zu unterhalten, aber meist antwortete er gar nicht. Oder nur sehr knapp.
"Ich bin hässlich, oder?", seufzte ich wehmütig und strich über den Fleck an dem mein Lippenpiercing einst war. Doch Adriens Blut hatte das kleine Loch, das in gewisser Weise ja auch eine Wunde war, zuwachsen lassen.
"Wenn du hässlich wärest, hätte mein Herr dich nicht ausgesucht.", sagte er und mir fiel fast der Kiefer runter. So viel hatte er noch nie an einem Stück gesagt. Als er meinen Blick bemerkte, lächelte er ein wenig. Ich riss die Augen auf. Hatte er gerade? NEIN! Ich musste mich geirrt haben. Er hatte mich ANGELÄCHELT!! Schnell biss ich mir auf die Unterlippe um nicht laut los zu lachen und drehte mich grinsend zu ihm um. Seine braunen Augen waren wieder so kalt wie vorher. Fast. Ein amüsiertes Glitzern darin, war nicht zu übersehen.
Inzwischen hatte ich herausgefunden, dass diese Wesen aus Schatten nur Nachts zu diesen erbarmungslosen Killern wurden und auch nur außerhalb des Anwesens. Ihre Flügel besaßen sie jedoch zu jeder Zeit. Tja, ich lernte dazu.
Kichernd griff ich nach meinem Handtuch und schüttelte den Kopf. Dann verließ ich meine Zimmer und machte mich auf den Weg ins Untergeschoss. Schwere Schritte hinter mir verrieten, dass er mir folgte. Aber daran hatte ich mich gewöhnt. Oder würde es wohl müssen.
Langsam ging ich die große Treppe zur Eingangshalle hinab. Mein Blick fiel auf das Fenster, das ich zerstört hatte. Es war repariert worden. Gestern. Ich hatte in meinem Zimmer warten müssen solange mit Rafael. So hieß mein persönlicher "Schutzbeauftragter", wie er sich selber nannte.
Als die Erinnerungen an den Tag meines Selbstmordversuches wieder hochkamen, wandte ich mich schnell ab und flüchtete durch eine seitliche Tür in den ausgebauten Keller.
Unten angekommen schlug mir ein leichter, schwimmbadtypischer, Chlorgeruch entgegen und ich vernahm das leise Plätschern von Wellen. Cam war also schon im Wasser. Als ich die Milchglastür zum Schwimmbereich öffnete, wäre ich fast in Ohnmacht gefallen. Wie, bitte schön, konnte man so viel Geld haben?! Der Pool war mit hellblauen kleinen Mosaikfliesen ausgelegt und am Anfang ziemlich rechteckig, lief dann aber schmal zu und endete in einer runden Sitzecke die einem Whirlpool ähnelte. Jemand hatte die Fenster an der gegenüberliegenden Seite des Raums bodentief ausgebaut, so dass man einen direkten Blick auf den Garten hatte. Es gab einen großen offenen Duschbereich und mindestens eine Saune.
Mir kam nur ein einziges Wort in den Sinn: WOW!
Das war... unglaublich!
"Willst du nicht reinkommen?", holte Cam's Stimme mich zurück in die Realität.
"Ähm... Ja klar."Ich schüttelte meinen Kopf und warf mein Handtuch auf eine der fein geflochtenen Korbliegen neben mir. Cam stoppte und sah mir belustigt zu, wie ich in das Wasser stieg. Es war nicht kalt. Ganz im Gegenteil nur ungewohnt so viel Haut zu zeigen.
Er holte tief Luft und tauchte unter. Unter Wasser schwamm er zu mir und packte meine Taille. Dann erst tauchte er auf. Ich war mir seiner Nähe mehr als bewusst. Sein von Muskeln definierter Oberkörper war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Die Versuchung meine Hand darauf zu legen war ziemlich groß. Aber ich schaffte es mich von diesem göttlichen Anblick loszureißen und in sein Gesicht zu sehen. Was auch nicht viel besser war. Seine nassen Haare hingen ihm in die Stirn und seine Augen glitzerten verlockend und auf seinen weich geschwungenen Lippen, lag ein schlichtes Lächeln.
Gott, ich wäre fast gestorben! Manchmal war ich eben auch nur ein Mädchen. Man möge es mir verzeihen. Langsam schluckte ich einmal trocken.
Er beugte sich vor und ich konnte seinen Atem auf meinen Lippen schon spüren. Ein Teil von mir wünschte, dass er mich küsste, während der andere Teil laut aufkreischte und das Bild von Adrien vor meinem inneren Auge hinaufbeschwor. Doch ich verdrängte es einfach. Ganz leicht fühlte ich seinen Mund bereits auf meinen, als ein lautes Räuspern und auseinanderfahren ließ. Dabei stieß ich mir schmerzhaft die Hüfte an der Pooltreppe und holte scharf Luft. Das würde einen blauen Fleck geben.
Dann blickte ich mich um, um zu sehen, wer uns gestört hatte.
Rafael stand mit verschränkten Armen am Beckenrand und zog eine Augenbraue in die Höhe, während er Cam strafend und leicht spöttisch ansah.
"Ich glaube kaum, dass es im Interesse deines Bruders ist, wenn du ihr während seiner Abwesenheit, die Zunge in den Hals steckst.", meinte er mit fester Stimme und erst da wurde mir Bewusst, was ich fast getan hätte. Beinahe hatte ich Cameron geküsst! Oder er mich! Oder... ach was weiß ich denn! Das darf nicht nochmal passieren. Es wäre als würde ich meinen besten Freund küssen und das zerstörte meist alles. Also lieber nicht. Auch wenn Cam heiß war...
"Rafael! Das Schoßhündchen meines Geliebten Bruders. Natürlich!", lachte Cam auf. "Wer sonst? Kannst du dich nicht wegdrehen oder die Augen zumachen?"
Verächtlich stieß Rafael die Luft aus. "Ich habe meine Anweisungen, Cameron. Und diese lautet: 'Keiner außer mir fasst das Mädchen an und erst recht nicht mein Bruderherz'. Soll ich es dir noch aufschreiben? Ich rate dir die Finger von ihr zu lassen, bevor du dich am Schluss daran verbrennst. Das wäre ja wirklich zu schade." Die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören. Auf den Blick hin, den Cam ihm zuwarf, ließ sich schließen, dass die beiden nicht unbedingt die besten Freunde waren.
Vorsichtig zog ich den Kopf ein und drehte mich langsam um. Was hinter meinem Rücken geschah, konnte ich nicht mehr sehen, allerdings hörte ich das drohende Knurren und das warnende Zischen deutlich. Keine Minute später hallte Musik durch das Zimmer und ich hielt die Luft an und ließ mich auf den Boden des Pools sinken. Es dauerte keine drei Sekunden, bis mich Cam zurück an die Oberfläche zog.
"Was machst du da?!", fragte er laut. Panik stand in seinen Augen.
"Was sollen ich schon machen? Entspannen?", entgegnete ich barsch und riss mich los.
"Was hast du denn gedacht?"
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
"Du hast... Weil... Wegen... Ich... Das... Oh!", stotterte ich und konnte spüren wie meine Wangen einen rötlichen Ton annahmen.
"Tut mir leid!", flüsterte ich und sah ihn schüchtern an.
Er atmete erleichtert aus und zog mich in seine Arme.
"Mach das nie wieder! Nie Nie wieder! Verstanden?", murmelte er und strich mir über die Haare. Ich konnte sehen, wie Rafael am Beckenrand sich versteifte. Okay umarmen ging also noch. Gut zu wissen...
Cam ließ mich los und hielt mich ein wenig auf Abstand um mir besser in die Augen sehen zu können.
" 'tschuldigung.", wiederholte ich nochmal und fuhr mir durch die nassen Haare. Oh Gott, ich sah bestimmt aus wie ein gerupfter Truthahn! Tja, das war der Nachteil an kurzen Haaren.
"Schon vergessen.", tat er die Sache ab.
Danach schwammen wir ein bisschen und alberten ausgelassen herum. Es tat gut so zu Lachen und alles andere zu vergessen. Aber der Tag ging viel zu schnell vorbei. Als es draußen allmählich begann dunkel zu werden, pfiff Rafael, der alte Spielverderber, mich raus und befahl mir mich fertig zu machen. Also verdrehte ich in Cam's Richtung die Augen und stieg aus dem Wasser. Ich hörte ihn lachen, während ich zurück in mein Zimmer geführt wurde.
"Du hast eine Stunde Zeit, zum Duschen und um dich fertig zu machen. Ich warte hier.", teilte Rafael mir seinen Beschluss mit und schickte mich ins Ankleidezimmer, damit ich mir frische Kleidung heraussuchen konnte. Danach verschwand ich im Bad und duschte ausgiebig. Erst als ich meine eigene Hand wegen des Dampfes nicht mehr sehen konnte, drehte ich das Wasser aus, trocknete mich ab, zog mich an und richtete meine Haare.
Als ich die Türe öffnete, rief Rafael gerade: "Noch zwei Minuten!" Überrascht sah er mir zu, wie ich meine dreckige Wäsche in den dafür vorgesehen Behälter steckte und mich zu ihm umdrehte.
Ich warf ihm ein strahlendes Lächeln zu und machte mich auf den Weg in die Küche. Cam und ich wollten Kochen. Adrien war ja nach wie vor, wie vom Erdboden verschluckt. Was mir natürlich herzlich egal war.
Meine Haare ließ ich so feucht wie sie waren. Da lohnte es sich einfach nicht zu föhnen.
"Und was machen wir feines?", wollte ich wissen, als ich mich zu Cam gesellte.
Er drehte sich zu mir und zog die Lippen zusammen. Es sah niedlich aus. Ließ ihn jünger wirken.
"Ich dachte an Lasagne. Schön fettig, damit wir die wieder ein paar Kilos mehr auf die Hüften schieben.", erklärte er mit einem kritischen Blick auf meine Mitte. Ihm war also nicht entgangen, dass ich einiges an Gewicht verloren hatte. Aber wer konnte bitte schon zu Lasagne 'Nein' sagen? Ich zu 100% nicht! Daher grinste ich und stimmte zu.
"Aber ohne Ei! Das ist widerlich." Angeekelt rümpfte ich die Nase. Cam verschluckte sich an seinem Glas Wasser, dass er eben an die Lippen gesetzt hatte.
"Du machst Ei in deine Lasagne?!"
Seinem Gesicht nach, glich das einer Zombieapokalypse!
"Nein!", wehrte ich sofort ab. "Ich nicht! Aber meine Oma hat das früher immer gemacht und das war so ekelhaft."
Cam schüttelte den Kopf und begann die Zutaten rauszustellen. Gemeinsam rührten wir die Soße an und schichteten danach alles in eine gläserne Auflaufform. Es sah gut aus. Nicht das ich was anderes erwartete hätte... Nein!
In einem Super Tempo räumten wir alles wieder auf und deckten den Tisch. Was die Folge hatte, dass wir viel zu schnell fertig waren, während unser Essen noch im Ofen schmorte. Aber es roch schon unglaublich gut.
Bis es jedoch so weit war, sahen wir noch ein bisschen Fernsehen, wobei Cam jegliche Nachrichten schnell wegschaltete. Irgendwann stellten wir fest, dass nur Unsinn lief und machten den Fernseher wieder aus. Wir unterhielten uns über alles mögliche, bis das Thema plötzlich wieder zu dem beinahe-Kuss von vorhin wechselte.
"Das vorhin tut mir leid. Ich müsste mich eigentlich besser unter Kontrolle haben.", sagte er.
"Es war doch nichts.", beruhigte ich ihn und fuhr mir durch die strohigen, trockenen Haare.
"Aber es wäre fast etwas passiert und ich kenne meinen Bruder. Er reagiert schnell sehr eifersüchtig und das kann auch mal nach hinten losgehen."
Ich zuckte mit den Achseln. "Und selbst wenn. Ihn wird ein Kuss schon nicht umbringen."
In diesem Moment knallte die Haustüre laut und ich sprang sofort auf. Cam ebenfalls.
"Wenn wir ein Kuss nicht umbringen?", hörten wir eine all zu bekannte Stimme durch den Flur hallen. Meine Angst kroch meinen Hals hinauf und ich wich zurück, als ER den Raum betrat. Ein finsterer Zug lag auf seinem Gesicht und er versperrte mir den Weg aus dem Raum, als ich versuchte zu flüchten.
Er war also wieder da. Und er hatte mehr gehört, als er sollte!

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt