Der große Knall

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Das hatte ich jetzt also von meiner großen Klappe:
Ich saß angekettet im Keller des Hauses, in dem Nassim mich gefangen hielt und das schon seit Stunden...
Die Wände waren feucht und es roch nach Schimmel. Es gab zwei Fenster durch die nur spärliches Licht in den großen Raum schien. Eine Glühbirne hing von der Decke und half den Schatten in den Ecken zu wachsen.
Meine Hände hingen in einer Eisenkette gefangen, die in der Wand neben mir verankert war. Bei jeder noch so kleinen Bewegung scheuerte das Eisen an meinen Handgelenken und ich stöhnte schmerzgepeinigt auf.
Drei große Vampire hatten es sich auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers bequem gemacht und spielten Karten.
Zwei von ihnen rauchten, während der dritte mit offenem Mund auf einem Kaugummi herumschmatze.
"Hey!", rief ich und versuchte ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.
"Was?", fuhr einer von ihnen mich direkt an.
"Ich habe Durst!", sagte ich und versuchte die Schmerzen hinter meiner Stirn zu vergessen. Der Sturz hatte mich wohl heftiger erwischt, als ich dachte. Zumindest klebte ein Pflaster über der Wunde, sonst würde ich mir wohl die ganze Zeit irgendwelche Monster vom Leib halten müssen, weil sie geronnenes Blut sahen.
"Für dich gibts nicht.", blaffte er mich an und drehte sich wieder zu anderen.
Frustriert warf ich den Kopf gegen die Wand in meinem Rücken und schloss die Augen.
Verdammt! Im Moment sah die Situation aussichtslos aus. Mehr als das.
Und was noch viel schlimmer war: Ich wusste nicht, wie lange ich noch durchhalten würde.
Für einen Schluck Wasser würde ich gerade so gut wie alles tun.
Meine Kehle war trocken und ich kämpfte mit meinem Körper. Meine Beine waren eingeschlafen und schrieen nach Bewegung. Es war wirklich eine Qual.
Vor allem weil ich nicht wusste, wie lange ich hier noch so verharren musste. Wenn Nassim mich leiden sehen wollte, dann war ich mit Sicherheit noch eine Zeit lang hier gefangen.
In diesem Augenblick tauchte ein Schatten im Türrahmen auf und meine Bewacher zuckten zusammen, nur um danach ganz panisch die Karten vom Tisch zu räumen.
Ich konnte mir bei dem Anblick ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Das hatten sie davon...
"Mich interessieren eure kranken Spiele um Blut nicht.", sagte die Person und anhand der Stimme konnte ich sagen, dass es Cam war, der uns einen Besuch abstattete.
Sofort rutschte mir mein Grinsen von den Lippen. War er gekommen um mich leiden zu sehen, oder um mir zu helfen?
Konnte ich ihn jetzt auf meine Seite ziehen?
Vorsichtig bewegte ich meine Hände und versuchte die Durchblutung darin irgendwie wieder in Gang zu bringen, allerdings vergebens. Ich spürte nicht mehr als ein taubes Kribbeln während ich meine Finger bewegte.
Cam nickte mit dem Kopf Richtung Ausgang und sofort stürmten die Vampire aus dem Raum.
Erleichtert atmete ich auf und ließ die Schultern ein Stück sinken. Mit Cam alleine könnte ich im Notfall fertig werden. Mit drei ausgewachsenen Vampiren jedoch nicht.
Danach beobachtete ich wie Cam die Tür schloss und es noch ein Stück dunkler im Zimmer wurde.
Er kam zu mir und ging vor mir in die Knie.
"Ich hab nicht viel Zeit, sobald Nassim erfährt, dass ich mit dir alleine hier unten bin, wird er einen von uns holen kommen.", flüsterte er und ließ seinen Blick über mich wandern.
"Es tut mir schrecklich leid, was ich getan habe.", fuhr er fort und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.
"Heißt das, du hast gehört was er gesagt hat?", wollte ich leise wissen und richtete mich in meinem Fesseln so gut es ging auf.
Cam sah mich nur an und ignorierte meine Frage. "Warte auf den großen Knall. Dann rennst du so schnell deine Beine dich tragen. Nicht vorher!"
Auf der Treppe waren Schritte.
Synchron blickten wir zur Tür. Dann ging alles relativ schnell. Cam drückte mir einen kleinen Gegenstand zwischen die tauben Finger, sprang auf und durchquerte so schnell er konnte den Raum.
Keine Sekunde später wurde die Tür aufgerissen und Nassim stürzte herein.
Sein Blick glitt von mir zu Cam und zurück. Skepsis lag in seinen Augen.
"Was geht hier vor?", verlangte er zu erfahren.
"Nichts. Ich wollte mich nur selbst nochmals davon überzeugen, dass du sie wirklich erwischt hast.", antwortete Cam und auf seinem Gesicht lag der altbekannte harte Ausdruck. Der, der nicht das kleinste Gefühl verriet.
Nassim sah Cam eine geschlagene Minute an und wägte ab, ob er die Wahrheit erzählte.
"Ich hoffe für euch, dass du nichts anderes getan hast.", meinte er und die unterschwellige Drohung war nicht zu überhören.
"Was sollte ich schon anderes tun? Glaubst du ich fasse sie an, seit sie mit meinem Bruder das Bett geteilt hat? So nötig hab ich es nicht!", keifte Cam zurück und starrte Nassim feindselig an.
Ich wusste, dass Cam spielte und es nicht so meinte und trotzdem verletzte mich das was er sagte.
Aber zumindest spielte er seine Rolle so überzeugend, denn Nassim lächelte und ihm anerkennend auf die Schulter klopfte.
"Entschuldige mein Freund, ich bin momentan etwas angespannt.", entschuldigte er sich und gemeinsam machten die beiden sich daran den Keller zu verlassen.
Bevor Cam aus dem Raum verschwand blickte er unbemerkt zu mir zurück und ich sah den Schmerz in seinen Augen.
Doch ich wusste jetzt, dass er auf meiner Seite war und das beruhigte mich. Allerdings würde es schreckliche Folgen haben, wenn Nassim herausfand, dass er sich in Cam täuschte.
Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was dann alles passieren würde...
Wenn ich hier lebend rauskommen wollte, durfte ich nicht die Hoffnung aufgeben.
Erst als meine Bewacher sich wieder an den runtergekommenen Tisch setzten, fiel mir der Gegenstand wieder ein, den Cam mir zugesteckt hatte.
Vorsichtig, um ja nicht erwischt zu werden, blickte ich zwischen meine Fesseln und entdeckte einen kleinen silbernen Schlüssel.
Vor Erleichterung hätte ich beinahe laut geseufzt, konnte mich aber im letzten Moment noch zurückhalten.
Danke Cam! Wenn ich wirklich lebend aus dieser ganzen Sache rauskommen sollte, würde ich ihm um den Hals fallen und ihm sagen, wie leid mir alles tat und das ich ihm alles verzieh, was er getan oder gesagt hatte.
Doch dafür musste ich erstmal aus diesem stinkenden Kellerloch entkommen.
Ich war unglaublich froh, dass meine Hände zu zweit in einem Eisenring steckten, denn wenn sie beide einzeln an die Wand gekettet wären, hätte ich weit mehr Probleme mich zu befreien.
Am liebsten würde ich mich jetzt sofort befreien, aber in meinem Kopf spuckte die ganze Zeit ein Satz herum, den Cam gesagt hatte.
Warte auf den großen Knall.
Was meinte er damit nur? Egal wie ich es auch drehte oder wendete, es ergab für mich einfach keinen Sinn.
Großer Knall, großer Knall... Vielleicht wollte Cam mir doch einfach nur falsche Hoffnungen machen. Aber wenn dem wirklich so wäre, warum hatte er mir dann den Schlüssel gegeben?
Wenn er mich quälen und leiden sehen wollte, hätte er mir doch nicht das perfekte Mittel zur Flucht gegeben.
Dafür gab es doch andere Wege.
Es sei denn, er wollte, dass Nassim mich erwischte...
Aber das war alles sehr weit hergeholt.
Ein großer Knall konnte außerdem alles sein: Eine Fehlzündung. Ein Trommelschlag. Ein Gegenstand der zu Boden fiel. Ein lautes Klatschen.
Ein großer Knall! Vielleicht war es auch ein Code für irgendetwas. Aber für was? Einige Zeit grübelte ich weiter darüber nach. Eine sinnvolle Erklärung wollte mir jedoch einfach nicht einfallen.
Statt mir weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, wandte ich mich daran, meine Hände aus ihrem Gefängnis zu befreien.
Ich musste höllisch aufpassen, denn sobald ich mich zu heftig bewegte, quietschte das Eisen der Kette und einer der Vampire drehte sich zu mir herum.
Natürlich tat ich jedes Mal, als wäre ich unschuldig, doch beim vierten Mal wurden die Dämonen wohl etwas misstrauisch.
Ich bemerkte erst, dass einer von ihnen auf mich zukam, als sein Stuhl mit einem lauten Kreischen über den Boden schrammte.
"Was machst du da?", wollte er wissen und zündete sich die sechste Zigarette in der letzten halben Stunde an.
"N-Nichts!", entgegnete ich schnell. Zu schnell. Kritisch zog er die Augenbrauen in die Höhe und ging vor mir in die Hocke.
"Nichts also?", wiederholte er und blies mir provokant seinen Zigarettenrauch ins Gesicht.
Angewidert wandte ich das Gesicht ab und hielt den Atem an.
"Was soll ich schon machen?", fragte ich und versuchte ihm auszuweichen.
"Egal was Nassim sagt, ich glaub dir kein Wort.", meinte er und grinste mich an. "Ich denke du weißt genau, was du tust. Mich täuscht du nicht, du kleines Miststück."
Er streckte seine Hand nach mir aus und wollte mir über die Wange fahren.
Doch bevor er mir noch näher kommen konnte, zerschnitten laute Schreie die Szene. Über uns polterten Schritte und es wurden irgendwelche Kommandos gebrüllt.
Fragend tauschten meine drei Bewacher komische Blicke.
Plötzlich donnerte es draußen laut, jedoch nicht wie in einem Gewitter. Es war viel lauter und dumpfer.
Die Scheiben splitterten und Sachen flogen durch die Gegend. Dann umfing mich Wärme und die Vampire kreischten auf.
Erneut knallte es laut und da wusste ich was Cam gemeint hatte.
Ich sollte auf den großen Knall warten.
Der große Knall war eine Explosion.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now