Eine Geschichte

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Am nächsten Morgen wurde ich von lauten Flüchen geweckt und schreckte hoch. Als ich sah wo ich mich befand ließ ich mich wieder seufzend zurück ins Bett sinken. Adrien war offensichtlich bereits aufgestanden, denn seine Bettseite war leer. Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich an die letzte Nacht zurück dachte. Irgendwie war es ein schönes Gefühl gewesen. So eng bei ihm zu stehen. Seine Hand in meiner zu spüren. Seinen Blick auf mir zu fühlen. Ich streckte mich und stand dann langsam auf. Die Sonne schien durch das Fenster herein und kitzelte mein Gesicht. Heute würde ein guter Tag werden. Mit müden Schritten ging ich in Adriens Badezimmer. Er hatte mir gestern noch angeboten es zu benutzen und auf dieses Angebot würde ich jetzt zurückkommen. Offenbar hatte er so etwas schon geahnt, denn zwei frische Handtücher lagen auf dem Schrank neben der ebenerdigen Dusche, sowie eine große Auswahl meiner Lieblingskleidung. Mein Lächeln wurde allerdings noch breiter, als ich den kleinen schneeweißen Zettel darauf sah. Adrien hatte eine wunderschöne, etwas altmodische Schrift mit vielen kleinen Verschnörkelungen. Aber sie passte zu ihm. Sie war fast genauso schön.

Guten Morgen Talia,
ich hoffe du hast gut geschlafen.
Wenn du das hier liest, bin ich nicht mehr im Haus.
Ich muss eins meiner Autos in die nächste Werkstatt bringen,
da ist bei dem Sturm in der gestrigen Nacht wohl irgendwie
ein großer Kratzer in den Lack gekommen.

Ich drückte die Augen zusammen und versuchte nicht an das Geräusch zu denken, dass mein Schlüssel verursacht hatte. Es tat mir wirklich leid. Immerhin hatte ich einen ziemlich teuren Schaden in ein ziemlich teures Auto gemacht. Aber ich fand es wahnsinnig süß von ihm dass er hinter seine Zeilen einen kleinen zwinkernden Smiley gemalt hatte.

Aber keine Sorge: Ich werde pünktlich zu
unseren Friedensverhandlungen wieder zurück sein.
Es ist mir eine Ehre mit dir über einen
Waffenstillstand zu diskutieren.
Auch wenn ich fürchte, dass ich ein wenig aus der
Übung geraten bin.
Ich freue mich auf unser Gespräch und beeile mich möglichst
Schnell wieder zurück zu sein.
Fühl dich solange wie Zuhause. Du darfst auch raus auf das Grundstück
gehen, aber nur in Begleitung. Cameron oder Rafael stehen zu
deiner Verfügung.
Wobei ich mich freuen würde, wenn du mit Rafael Vorlieb nehmen würdest.
Ich werde versuchen gegen 13 Uhr wieder zurück zu sein.
Bis heute Mittag
Adrien

Mein Herz machte einen Satz und ich musste mich mehrmals daran erinnern, dass das hier noch immer Adrien de Manincor war. Aber es fiel mir wirklich schwer.
Ich nahm den Brief, faltete ihn vorsichtig einmal in der Mitte und legte ihn unter meine frische Kleidung.
Dann verriegelte ich die Badezimmertüre um auch ja meine Ruhe zu haben und stieg unter die Dusche. Das heiße Wasser verscheuchte die Spuren der Nacht und ich grinste, als ich sah, dass Adrien sogar mein Shampoo und mein Duschgel bereitgestellt hatte. So viel Aufmerksamkeit hatte ich ihm gar nicht zu getraut.
Als ich fertig war versank das Bad in einer großen Dampfwolke.
Ich trocknete mich ab und zog neue Kleidung an. Meine Wahl fiel auf eine enge schwarze Hose mit ein paar dünnen löchrigen Stoffstellen, einem einfachen schwarzen Top und einer dunklen Strickjacke. Danach öffnete ich das bodentiefe Fenster und lüftete einmal kurz ordentlich, während ich meine Haare föhnte und kämmte.
Als ich vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer stand, blickte ich ziemlich zufrieden an mir hinab. Mir blickte eine neue Person entgegen. Von der alten Talia war kaum noch etwas übrig. Aber das machte mir nichts aus. Ganz im Gegenteil. Ich hatte hier ein unfreiwillig ein neues Leben und ich war irgendwie dankbar für diese zweite Chance. Natürlich vermisste ich meine Familie und meine Freunde. Ich wusste auch nicht, was aus mir geworden war. Meine Mutter hätte mit Sicherheit nicht gewollt, dass ich zu dieser Person wurde. Aber da ich ja nicht einmal wusste, ob ich sie jemals wiedersehen würde, war das auch egal. Hatte sie es inzwischen aufgegeben nach mir zu suchen? Hatte sie überhaupt nach mir gesucht? Oder war sie froh eine Sorge weniger im Leben zu haben? Versteht mich nicht falsch. Ich liebte meine Ma und sie mich auch, aber ich hatte sie so oft flüstern gehört, wie einfach es doch wäre mit nur einer Tochter. Es wäre einfacher wenn ich so wie meine Schwester wäre. Doch so war ich nicht und aus diesem Grund hatte meine Mutter es nicht immer leicht.
Schon relativ früh hatte ich gesagt, dass ich sobald sich eine Möglichkeit ergab, von Zuhause weg wollte. Aber Mary musste sich doch an die Nacht erinnern, an das was passiert war. Hoffte ich jedenfalls.
Mit dem Zeigefinger fuhr ich mir über den kleinen Punkt unter meiner Lippe. Er war das letzte Zeichen, dass an meinen Lippenpiercing erinnerte und ich musste ehrlich zugeben, dass ich ihn nicht vermisste. Ich hatte ihn mir eh nur stechen lassen, weil ich mal mit einem Tätowierer zusammen war. Es hatte höllisch wehgetan.
Ein wütendes Schnauben riss mich aus meinen Gedanken und ich zog fragend die Augenbrauen zusammen. Die Talia im Spiegel tat es ebenfalls. Klar immerhin war ich das ja.
Auf leisen Sohlen schlich ich aus dem Zimmer und schloss die Tür leise hinter mir. Als ich an meinem Zimmer vorbeikam stellte ich fest, dass der rote Fleck verschwunden war. Aber nicht nur das. Mit ihm war auch der ganze Raum geräumt worden. Das ganze Mobiliar fehlte. Ich zog die Augenbrauen noch weiter zusammen und ging verwirrt in die Küche. Schon im Flur kroch mir ein komischer Geruch in die Nase. Als würde etwas anbrennen.
Im gleichen Moment in dem ich die Küche betrat erkannte ich den Auslöser dafür und reagierte sofort. Rafael stand hustend vor einer brennenden Pfanne und überlegte was er tun sollte. Hallo? Seine Pfanne brennt! Alles ist voll Rauch! Da steht man nicht da und überlegt was mach macht! Schnell schnappte ich mir ein großes Geschirrtuch, das zu meinem Glück auch noch feucht war, schuppste ihn zur Seite und erstickte die großen Flammen. Dann nahm ich die qualmende Pfanne und trug sie an ihm vorbei auf die Terrasse und stellte sie da auf den Steinfließen ab. Danach flüchtete ich hustend zurück in die Küche und riss alle Fenster auf.
„Was hast du gemacht?", hustete ich mehr, als das ich schimpfte und sah Rafael böse an.
Er zuckte mit den Achseln. „Weiß ich auch nicht. Ich wollte Frühstück für dich machen.", verteidigte er sich.
Ich winkte ab und trank schnell einen Schluck Wasser um meinen verrauchten Hals etwas zu beruhigen.
„Und warum fackelst du dann dabei die halbe Küche ab?", fuhr ich ihn an, musste mich aber zusammenreißen um nicht laut zu lachen. Er stand da, die Hände um einen Kochlöffel geklammert und blickte zu Boden. Wie ein kleiner Junge, der gerade Ärger von seiner Mutter bekam.
„Es tut mir leid.", nuschelte er und legte den Holzlöffel ganz vorsichtig auf die Arbeitsfläche. Und ab diesem Moment schaffte ich es nicht mehr ernst zu bleiben und begann laut zu lachen. Wobei ich mehr hustete als lachte. Der Rauch hatte seine Spuren hinterlassen.
Verwirrt sah er mich an.
„Ist schon gut.", versicherte ich und stützte mich auf den Knien ab. „Gleich geht's wieder!"
Und als es dann wirklich wieder ging, beseitigte ich erst einmal die letzten Spuren von Rafaels Aktion und warf ihm jedes Mal einen bösen Blick zu, wenn er sich bewegte um mir zu helfen.
Nachdem das geschafft war, machte ich mir ein einfaches Brot und schenkte mir ein Glas frischen Orangensaft ein.
„Möchtest du auch etwas?", fragte ich ihn. Natürlich nur der Höflichkeit halber. Ich hatte nicht vor etwas abzugeben.
„Du weißt doch, dass wir nicht essen. Also warum fragst du?" Er saß auf einem der hohen Barhocker und ließ mich nicht aus den Augen.
Ich nahm meinen Teller und das Glas und setzte mich ihm gegenüber.
„Ich wusste nicht, dass ihr nichts esst.", gestand ich und nippte an meinem Saft.
Zweifelnd zog er eine Augenbraue in die Höhe. „Aha!"
„Heißt das ihr wollt nichts essen, oder ihr könnt es nicht?", wollte ich wissen und biss in mein Brot.
Als er antwortete leuchteten seine Augen wie bei einem Junkie der sich gerade einen Schuss gegeben hat. „Wir können schon. Es ist nur so, dass der Appetit auf menschliches Essen recht schnell vergeht. Wenn du einmal von einer Seele probiert hast willst du nie wieder etwas anderes."
Ich verschluckte mich an meinem Getränk und spuckte alles aus. „WAS?"
Unkontrolliert hustete ich und hatte das Gefühl zu ersticken, bis Rafael mir einmal kräftig auf den Rücken klopfte.
„Ja... Es ist schwer zu beschreiben... Aber es gibt dir so einen unbeschreiblichen Kik... Als wärst du unbesiegbar. Es ist als wärst du high und kommst von dieser Droge nie wieder los.", versuchte er zu erklären aber es klang echt wahnsinnig. Hätte ich nicht gesehen wozu diese Wesen fähig waren, so hätte ich jetzt einen Lachkrampf bekommen und wäre wahrscheinlich daran erstickt.
„Für uns gibt es nur einen einzigen Weg um uns von diesem „Etwas" in uns zu befreien.", fuhr er dann fort. „Wir müssen unsere Seelengefährtin finden. Nur sie ist in der Lage dazu unseren Hunger zu stillen. Aber sie muss dazu einen Teil ihrer Seele freiwillig geben. Nur dann sind wir in Lage ein normales - menschliches - Leben zu führen. Solange wir dieses Mädchen nicht gefunden haben, müssen wir weiterziehen und uns das nehmen das uns zusteht."
„Du lügst!", behauptete ich leise und kniff die Augen ein Stück zusammen.
„Glaub es oder nicht Talia. Aber auch wir müssen uns von etwas ernähren und der Pakt besagt nun einmal, dass unsere Nahrung aus menschlichen Seelen besteht." Er zuckte mit den Achseln, legte seinen Ellenbogen auf den Tisch, stütze sein Kinn darauf und sah mich durchdringend an.
„Und Sebastian?", fragte ich und erinnerte mich an jene Nacht. „Er hat gesagt mein Blut rieche gut. Von meiner Seele hat er nichts gewollt." Hoffte ich jedenfalls.
„Du musst wissen, wir waren nicht immer so. Es gibt zwei „Urväter" unserer Sorte. Nassim und..."
„Adrien!", riet ich und lag richtig.
„... Adrien, ja. Sie waren einst beste Freunde und wie junge Männer ihrer Zeit nun mal waren, wollten sie niemals altern und beschäftigten sich mit schwarzer Magie. Große Egos und so..." Er lächelte. „Jedenfalls hat ihr Zauber geklappt und sie schworen das Böse selber herauf. Den Teufel. Luzifer. Nenn ihn wie du willst. Fakt ist, er kam und sie besiegelten einen Pakt. Nassim und all seine Gefolgsleute würden sich von Blut ernähren, die sogenannten Vampire. Und Adrien stimmte zu sich von Seelen zu nähren. Im Gegenzug versprach Luzifer ihnen Unsterblichkeit und unmenschliche Kräfte. Es war ein blutiger Pakt. Nassim und Adrien waren besessen von ewiger Jugend und Schönheit. Außerdem forderte Luzifer, dass Cam ebenfalls einer seiner Dämonen wurde und Adrien unterzeichnete das Urteil seines Bruders.
Tja aber die Nassim und Adrien stritten sich. Darum wer der Mächtigere war und sie bemerkten erst ein paar Jahrhunderte später wie einsam das Leben als Schattenwesen war und in was für eine Falle des Bösen sie getappt waren. Sie flehten den Teufel an es rückgängig zu machen. Aber dieser lachte nur. Nach ein paar weiteren Jahren hatte er Mitleid und gab ihnen eine Chance von dem Fluch loszukommen. Wenn sie das Mädchen fanden, das hinter die Masken sehen konnte. Was nicht passieren würde, seiner Meinung nach. Immerhin waren sie Monster. Dämonen. Schattenwesen. Die in ihrer Dummheit einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatten. Nassim flüchtete vor sich selbst weit weg und was aus Adrien geworden ist weißt du ja.", beendete er und ich stellte fest, dass das einzige Geräusch im Raum das Ticken der Wanduhr und mein eigener Atem war.
Deswegen hatte er all die Frauen entführt. Er war es leid dieses Wesen zu sein. Er wollte nicht mehr so leben. Er bereute seine Tat.
Wie in Trance erhob ich mich und räumte alles auf. Das waren Informationen die ich erst einmal verdauen musste.
„Warum ich?", fragte ich dann leise irgendwann und drehte mich zu ihm um.
„Weil du anders bist, Talia. Ich weiß, dass mein Boss etwas für dich empfindet. Er will nur das Beste für dich.", behauptete Rafael und sein weicher besorgter Blick zeigte mir, dass er die Wahrheit sprach.
„Wenn er nur das Beste für mich will, warum lässt er mich dann nicht gehen?", bohrte ich weiter und Tränen stiegen mir in die Augen.
„Sebastian hat Nassim von dir erzählt. Er sucht nach dir. Weil du anders bist. Weil du hinter diese Maske sehen kannst. Nassim braucht dich genauso wie Adrien. Nur will Nassim Adrien zusätzlich leiden sehen. Und das schafft er am besten, wenn er Adriens wertvollsten Besitz verletzt und für sich verwendet.", erklärte er als wäre es das normalste der Welt.
„Seit du aufgetaucht bist, passiert etwas mit Adrien. Er braucht mehr Seelen. Du veränderst ihn. Aber momentan noch nicht ins Positive und genau das macht mir Angst. Was meinst du wohl, warum er jetzt weg ist. Er will dich nicht verletzten und deswegen sucht er sich lieber andere Opfer.", erzählte er und kam zu mir. „Einen Lackschaden behebt er selber."
Ich spürte wie meine Welt schwankte und mein Kreislauf sich zu verabschieden drohte.
Ich klammerte mich an der Arbeitsfläche der Küche fest und versuchte ruhig zu bleiben. Das waren zu viele Informationen auf einmal. Mir wurde schlecht. Alles drehte sich. Adrien... Nassim... Blut... Seelen... Cam... Luzifer...
Das letzte, das ich mitbekam, war dass ich fiel und Rafael fluchend sein Handy aus der Tasche zog und danach auf mich einredete.
„Komm schon Talia. Bleib wach. Adrien ist gleich hier."
Mehr hörte ich nicht, da mich das Schwarz der Bewusstlosigkeit bereits verschlungen hatte.

Schwingen der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt