Abschied für immer

27.7K 1.3K 147
                                    

"Ich bin wirklich zu Hause!", wiederholte ich und eine Träne rollte mir über die Wange. Schluchzend riskierte ich einen Blick zu Adrien. Er beobachtete mich um notfalls schnell genug reagieren zu können.
Wie in Trance löste ich meinen Sicherheitsgurt und fasste nach dem Türgriff. Doch im gleichen Moment schnappte die Zentralverriegelung nach unten.
Doch das bemerkte ich erst, nachdem ich wie eine Irre Minutenlang versucht hatte auszusteigen.
"Lass mich hier raus!", flüsterte ich und wurde immer lauter.
"Lass mich hier raus! LASS MICH HIER RAUS!"
Ich sah, dass er mit sich rang.
"Bitte!", wisperte ich und hörte wie er seufzte.
"Ich hätte dich nicht herbringen dürfen. Es war ein Fehler.", sagte er dann irgendwann leise.
Seine Hand wanderte zum Zündschlüssel.
"Nein!", fuhr ich auf und fing sie ab, bevor seine Finger den Schlüssel erreichen konnten.
"Bitte.", setzte ich leiser hinterher.
Sein Blick wanderte zu meiner Hand, die seine festhielt und von dort zu mir. Er blickte mir tief in die Augen und ich konnte den Schmerz sehen.
"Das hier ist mein Zuhause. Meine Familie. Ich gehöre hierher.", versuchte ich ihn zu überzeugen. Meine Stimme brach endgültig und die Tränen flossen ungehindert über mein Gesicht. Ich wollte, dass er mich gehenließ. Ich wollte nach Hause. Weg von ihm. Nein, dass stimmte nicht. Weg von ihm wollte ich nicht.
"Ich weiß.", wisperte er und schloss die Augen.
Einige Zeit war es totenstill im Wagen nur mein aufgebrachter Atem und meine unterdrückten Schluchzer waren zu hören.
Ich wandte meinen Blick ab, ließ seine Hand los und sah erneut zu meinem Haus. Meine Mutter blickte aus dem Fenster und kurz war es als begegneten sich unsere Blicke. Sie Kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können. So etwas wie Hoffnung zeichnete sich auf ihrem müden Gesicht ab. Dann entschied sie wohl, dass es bloß Einbildung war und so räumte sie weiter Geschirr in die Schränke.
"Ich bin hier, Ma.", wisperte ich und blinzelte.
"Ach verdammt!" Adrien schlug auf das Lenkrad. Erschreckt fuhr ich herum und sah ihn verwirrt an.
Als er mich sah, wurde sein Blick sofort weicher. Seine Hände schlossen sich um mein Gesicht.
"Es tut mir leid, Talia! Ich hätte dir das nicht nehmen dürfen. Ich bin so ein Idiot. Du warst glücklich, oder?", fragte er. Ich nickte vorsichtig.
"Du hast deine Familie geliebt, oder?"
Erneut nickte ich leicht.
"Du warst zufrieden so wie alles war, nicht?"
Abermals bewegte mein Kopf sich auf und ab.
"Du willst wieder zurück, oder?"
Ich zögerte.
Er bemerkte es und musterte mich verwundert.
Drei, vielleicht vier Minuten sahen wir einander einfach nur schweigend in die Augen und versuchten beide mein Zögern richtig zu interpretieren.
"Ich möchte, dass du weißt dass deine Mutter jeden Monat eine gewisse Summe Geld anonym überwiesen bekommt. Sie denkt es kommt von dir.", erzählte er dann und erneut brachen die Tränen über mich herein.
Mit seinen Daumen wischte er sie sanft weg und lächelte mir aufmunternd zu.
"Deine Schwester erinnert sich an nichts mehr, es macht also wenig Sinn gleich irgendetwas über eine Entführung zu erwähnen, verstanden?", wollte er wissen.
Ich schloss die Augen und nickte wieder.
"Gut. Dann geh zu ihnen.", hörte ich ihn sagen und öffnete meine Augen wieder.
"Du... Du meinst... Ich darf...", stotterte ich.
"Unter einer Bedingung.", stoppte er meine Euphorie.
In diesem Augenblick hätte ich alles getan. Alles! Nur um meine Familie ein letztes Mal in den Armen zu halten.
"Es gibt nur diesen einen Abend. Du wirst sie danach nie Wiedersehen. Du gehst da rein und verkaufst mich als deine große Liebe mit der du überstürzt durchgebrannt bist. Du sagst ihnen es geht dir gut und du hast einen nicht schlecht bezahlten Job. Deshalb auch die Überweisungen. Du wirst nichts über die Entführung, Flügel, Vampire oder sonstiges das mit mir zu tun hat erzählen. Du spielst eine gute, verliebte Tochter die einen letzten Abend mit ihrer Familie verbringt und du wirst ohne ein einziges Wort dieses Haus wieder verlassen. Verstanden?", zählte er auf und ich stimmte sofort zu.
"Okay. Dann geh. Ich bin hinter dir. Vergiss das nicht!", erinnerte er mich, ehe er mir die letzten Tränen aus dem Gesicht wischte und mir eine Haarsträhne hinters Ohr strich.
Die Türen wurden wieder freigegeben und ich holte tief Luft, ehe ich ausstieg. Die kalte Nachtluft umspielte meine Nase und es war fast wie die Nacht in der alles begonnen hatte.
Adrien kam um das Auto herum und führte mich in Richtung Haus. Mit jedem Schritt fühlten sich meine Füße schwerer an und mir wurde klar, dass dies ein Abschied war. Ein Abschied für immer.
Als wir vor der Haustüre standen, erinnerte Adrien mich nochmal an die Bedingungen. Doch das war überflüssig. Ich wusste was für eine Rolle ich spielen sollte.
Dann klingelte er.
Es kam mir vor als dauerte es Stunden bis sich die Türe öffnete. Mein Herz klopfte laut und ich fürchtete schon, dass er es hören könnte.
Die Tür schwang auf und das Gesicht meiner Schwester tauchte dahinter auf.
"Warum machst du die Tür auf, Mary? Ich hab dir doch gesagt, du sollst vorher Mama fragen.", wies ich sie liebevoll zurecht und kämpfte mit den Tränen.
Wie erstarrt blickte sie zu mir auf. Dann fing sie an zu weinen.
Ich ging in die Knie und zog sie an mich.
"Mary.", flüsterte ich und küsste sie auf die Stirn. "Es ist alles gut. Ich bin hier."
Ihr kleiner Körper wurde von Schluchzern geschüttelt und sie flüsterte immer und immer wieder meinen Namen. Und mir wurde bewusst, dass dies das letzte Mal war, dass ich sie so sehen würde.
"Mary? Wer ist da?", drang die Stimme meiner Ma aus der Küche und kurz darauf stand sie im Flur.
Das Glas in ihrer Hand, fiel zu Boden und zersprang in unzählig viele kleine Scherben.
"Talia?", fragte sie leise. Ich löste mich von meiner Schwester und nahm meine Mutter in den Arm.
Irgendwann löste sie sich von mir und strich mir besorgt über die Wangen. "Wo warst du? Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Tu mir so etwas nicht an, Kind.", sprach sie und zog mich erneut in eine lange Umarmung. Die Tränen in ihren Augen waren nicht zu übersehen, als wir uns das zweite Mal trennten.
Ein Räuspern erinnerte mich wieder daran, dass das hier die Realität war und kein Traum.
Meine Mutter fuhr sich über die Augen und ich sah kurz zu Adrien. Er stand im Türrahmen und hatte alles genauestens beobachtet. Ich machte einen Schritt zurück und auch meine Mutter bemerkte jetzt wohl die Scherben die bei meinem Schritt klirrten.
"Mama, das ist Adrien.", stellte ich ihn dann vor und er setzte sein bestes Schwiegersohnlächeln auf und reichte ihr die Hand.
"Schön sie kennenzulernen, Miss.", sagte er und schien sich zu entspannen, als Mary die Tür hinter ihm schloss.
"Andrea.", Bot meine Ma ihm an und er nickte freundlich.
"Adrien, das ist meine Kleine Schwester Mary.", machte ich die beiden ebenfalls bekannt und auch wenn es mir ziemlich missfiel, dass Adrien meine Schwester nett anlächelte, sagte ich nichts.
Danach herrschte einige Minuten betretenes Schweigen im Flur, ehe meine Mutter uns anbot, im Wohnzimmer Platz zu nehmen.
Ich zog die Schuhe aus und stellte sie in die Garderobe. So wie immer. Adrien tat es mir gleich. Meine Ma beseitigte schnell alle Scherben und kam dann zu uns.
Adrien und ich saßen eng nebeneinander auf der Couch und er nahm meine Hand und drückte sie.
Mary holte ein paar Gläser und Getränke aus der Küche und stellte sie vor uns auf den Tisch.
"Talia wo warst du?", begann meine Mutter dann. Und sie war ziemlich wütend. Aber es war ihr nicht zu verübeln.
"Zwei Monate! Zwei Monate kein Lebenszeichen! Kein Brief! Kein Anruf! Nichts! Kannst du dir vorstellen wie viel Angst ich hatte?"
"Mam...", versuchte ich sie zu unterbrechen. Aber sie hatte wohl gerade erst angefangen.
"Nichts Mama! Talia. Verdammte acht Wochen lang habe ich geglaubt du seist tot! ACHT WOCHEN LANG!", schrie sie und ich schloss die Augen. Ich wollte dass nicht hören. Es war ja nicht meine Schuld.
"Andrea. Vielleicht würden Sie sich weniger aufregen, wenn Sie ihrer Tochter erst einmal zuhören würden.", unterbrach Adrien sie und ich atmete tief durch.
Und dann erzählte ich ihr das, was ich ihr erzählen sollte. Ich erzählte ihr irgendetwas davon, dass ich hier in einem Club jemanden kennengelernt hatte und er mich mit in seine Heimat nahm, weil er mir etwas von großer Liebe erzählt hatte und dann aber verlobt war. Ich wusste nicht genau was ich ihr eigentlich sagte.
Mein Herz schrie und es fiel mir schwer meiner Mutter so direkt ins Gesicht zu lügen, aber was sollte ich tun? Ihnen die Wahrheit erzählen und ihren Tod riskieren? Nein definitiv nicht!
"Das heißt sie wohnt bei Ihnen, Adrien?", fragte meine Ma und fasste meinen Bericht so knapp zusammen.
"Ja. Ich fand Ihre Tochter eines Nachts am Straßenrand und bot ihr an bei mir zu bleiben, solange sie nicht wüsste wohin.", antwortete er und trank einen Schluck.
"Und so ist es dann wohl passiert.", beendete ich. Adrien beugte sich vor und küsste mich auf die Wange. Ich hielt die Luft an und versuchte krampfhaft nicht rot anzulaufen. Die Stelle an der seine Lippen meine Wange berührt hatten, kribbelte angenehm und ich musste mich ernsthaft zusammenreißen um ihn nicht verlegen anzusehen. Stattdessen schickte ich ihm einen drohenden Blick, als meine Ma gerade einmal nicht hinsah. Doch er zwinkerte mir nur wissend zu. Er wusste, dass es mir gefallen hatte. So ein Mistkerl! Was bildete der sich eigentlich ein?
"Aber du hättest doch wenigstens anrufen können.", Beharrte meine Mutter.
"Ja Ma. Ich weiß, es tut mir leid, okay? Nicht an unserem letzten Abend.", sagte ich und seufzte.
Ich konnte es ihr nicht sagen. Ich durfte es nicht.
Adrien zog warnend eine Augenbraue in die Höhe. Innerlich verdrehte ich die Augen. Keine Sorge ich erinnere mich an unsere Abmachung, dachte ich und zeigte ihm unter dem Tisch den Mittelfinger und grinste ihn 'verliebt' an.
"Letzter Abend?", hinterfragte meine Mutter verwirrt.
"Ähm ja.", brachte ich nur hervor und Adrien kam mir zur Hilfe.
"Wissen Sie Andrea, Ihre Tochter wohnt ja bereits bei mir, aber wir wollten es nun offiziell machen und ihre letzten Sachen abholen. Falls das für Sie in Ordnung wäre. Ein Freund von mir wohnt hier um die Ecke, den wollten wir später noch besuchen und morgen früh geht's dann wieder zurück."
Ein Freund? Was für ein Freund? Gab es den überhaupt? Wer wusste schon was Adrien de Manincor wieder plante.
Ein leicht verbrannter Geruch riss meine Mutter aus ihren Gedanken. Sie sprang fluchend auf und rannte in die Küche.
Mary und ich tauschten einen Blick. Das war so typisch Ma. Mary kicherte und ich stieg mit ein. Es war fast wie früher. Aber nur fast. Denn eine Person hier am Tisch gehörte nicht hierher. Wobei ich zugeben musste, dass es ein schönes Gefühl war, ihn so nah bei mir zu wissen.
"Wir sollten deine Sachen packen.", kam es auch direkt von diesem Jemand.
Ich nickte. "Hey Mary willst du mir helfen mein Zeug zu packen?", fragte ich sie und sie sprang sofort auf und lief vor uns nach oben.
"Das ist das erste Mal, dass ich mich mit Einladung frei in diesem Haus bewege.", flüsterte Adrien mir zu, während wir die Treppe erklommen. Ich konnte sein Kichern hören. Keuchend drehte ich mich zu ihm um. "Wie oft warst du denn bitte schon hier drin?"
"Ein paar Mal.", gestand er grinsend. Ich zog nur verständnislos die Augenbrauen in die Stirn und drehte mich um, als ich bemerkte dass wir stehen geblieben waren. Und das ziemlich nah bei ihm.
Gott sei Dank, konnte er so nicht mehr sehen wie ich rot wurde.
Was machte er nur mit mir?! Am besten stach ich mir die Augen aus um seine Schönheit nicht mehr zu sehen. Denn sie machte mich verlegen. Oder war es doch eher die faszinierende Persönlichkeit die hinter diesem Aussehen stand? Wahrscheinlich beides zusammen.
In meinem Zimmer angekommen überfiel mich ein beklemmendes Gefühl. Klar hatte ich gewusst, dass ich irgendwann ausziehen würde, aber so? Nein, so hatte ich mir das definitiv nicht vorgestellt.
"Kleidung brauchst du nicht.", stellte Adrien fest und ließ sich wie selbstverständlich auf mein Bett fallen.
Ich ersparte es mir irgendetwas dazu zu sagen. Momentan hatte er die besseren Karten in der Hand. Aber nur jetzt gerade.
"Stimmt, da hat ein kleiner Stalker bereits ganze Arbeit geleistet.", provozierte ich und holte meine Reisetasche aus dem Flur.
Er knurrte nur und seine Augen glühten gefährlich. Aber hier hatte ich Heimrecht! Zumindest ein bisschen...
"Ich hab's nicht nötig dir hinterher zu laufen!", stellte er klar und stand wieder auf.
"Ach wirklich? Und warum kannst du mich dann nicht einfach gehen lassen?", entgegnete ich und knallte frustriert meine Tasche auf den Boden.
"Du weißt, dass das nicht geht!", brummte er und ging vor ein paar Bildern auf und ab.
Vor einem hielt er abrupt inne.
Was hatte er denn jetzt? Er kannte alle diese Fotos doch mit Sicherheit.
"Wer ist das?", fragte er dann. Ich ging zu ihm und folgte seinem Blick. Er deutete auf ein Foto auf dem ich neben einem Jungen stand der nur etwas älter als ich war.
"Oh das ist Mikey.", sagte ich dann knapp.
"Wer ist Mikey?", wollte er jetzt wissen.
"Mein bester Freund. Und bevor du fragst: Wir waren nicht zusammen, er war drei Jahre älter und von ihm hab ich alles über Autos gelernt, was ich jetzt weiß. Er hat mich in die Rennszene gebracht.", erklärte ich schnell.
"Und wie alt warst du da?", hakte Adrien nach. Ich verdrehte die Augen. "16."
Eigentlich wollte ich nicht über Mikey reden. Er hat mich einfach im Stich gelassen. So wie mein Dad. Er hatte gesagt die kleinen Stadtrennen würden ihm nicht mehr reichen und am nächsten Tag war er weg. Einfach so. Wenige Monate später hab ich eine Karte aus Der USA bekommen. Ihm geht es gut und er macht jetzt wohl "die richtig Fette Kohle".
"Er hat versprochen mich nachzuholen.", dachte ich und presste die Lippen zusammen, als ich merkte, dass ich das eben laut gesagt hatte.
"Wie war das?" Adriens Züge hatten sich verfinstert und er starrte mich wütend an.
"Oh... Oh nein... Er... Er hat mir geschrieben, dass er mich nachholen würde, wenn er sich einen Namen gemacht hatte. Er sagte mein Talent dürfe nicht verloren gehen und dass Amerika das richtige wäre um aus mir eine einmalige Fahrerin zu machen.", versuchte ich ihn zu beruhigen und es klappte tatsächlich. Seine Wut verflog mit einem Schlag und er sah mich liebevoll an.
"Dann solltest du das Bild vielleicht mitnehmen. Es wird dich immer an deine Anfänge erinnern.", schlug er vor und gab es mir. Der Schwarze Holzrahmen lag kalt in meiner Hand.
"Ich weiß nicht.", zierte ich mich. Es würde auch an Zuhause erinnern. An meine Vergangenheit.
"Dann nehme ich es. Ich finde es sehr schön.", sagte er und legte es in meine Tasche.
Ich schüttelte den Kopf und sah mich um. Ich hatte nie wirklich viel besessen und jetzt wo es so weit war, wollte ich mich trotzdem von nichts trennen.
Schweren Herzens nahm ich ein Bild von Cassie und mir und legte es zu dem anderen. Ein Foto von Mary und Ma ebenfalls.
"Darf ich meine Musikanlage mitnehmen?", fragte ich zögerlich. Ich hatte sie selbst gebaut. In eine alte Autoanlage hatte ich neue, verdammt teure Boxen eingebaut und mit meiner IPod-Station verbunden.
Er warf einen skeptischen Blick auf die Konstruktion ehe er zustimmte. Außerdem so schlecht sah sie gar nicht aus. Wirklich nicht. Man sah gar nicht dass sie selbstgebaut war!
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich nicht mehr gebraucht, aber Adrien bestand darauf, dass ich meinen IPod, Meine Lieblingskopfhörer, meinen Rucksack und mein Skateboard mitnahm.
Es waren alles Sachen die mir etwas bedeuteten, aber von denen ich es mir nicht eingestehen wollte,, dass ich sie vermissen würde. Das Skateboard zum Beispiel. Ich hatte es auf meiner Abschlussfahrt gekauft und auch wenn ich nur noch ganz selten damit fuhr, ich liebte es. Seit der ersten Fahrt. Vor einigen Jahren hatte ich die originalen Skateboardrollen gegen die eines Longboards eingetauscht und es war das Beste was ich jemals damit gemacht hatte.
Offenbar wusste Adrien was ich mit diesen Sachen verband, sonst hätte er es ja gar nicht erst vorgeschlagen. Für die restlichen Sachen holte ich sechs große Kartons aus dem Keller. Meine Mutter half mir. Sie hatte Tränen in den Augen.
Als wir wieder hochkamen lag Mary auf meinem Bett und quietschte laut. Adrien lag halb auf halb neben ihr und kitzelte sie.
Ma und ich blieben im Türrahmen stehen und beobachteten die zwei einige Zeit lang.
"Adrien scheint ein toller Mann zu sein.", flüsterte sie mir zu.
Ich zuckte zusammen, allerdings nicht wegen dem was sie gesagt hatte sondern wegen dem was ich darauf erwiderte: "Das ist er."
Mary hatte Mutter und mich offensichtlich entdeckt, denn sie kreischte und rief meinen Namen und dass ich ihr helfen sollte.
Ich gab Mama meine Sachen und ging zu ihr und wollte sie unter Adrien rausziehen, doch dieser regierte zu schnell für mich und zog mich auch aufs Bett.
"So Mary. Jetzt ist deine Schwester dran! Hilfst du mir?", fragte er meine Schwester, deren Haare in alle Richtungen abstanden.
Sie nickte wild. "Worauf du sich verlassen kannst."
Und noch bevor ich reagieren konnte, kitzelten die beiden mich durch und ich konnte nicht anders als lachen. "Hört auf!", lachte ich.
"Bi... Bitte!"
Mir war bewusst, dass die Person dessen raues Lachen durch mein Zimmer hallte noch Immer Adrien de Manincor war, aber der Moment war so schön. Und ich beschloss ihn einfach so zu genießen wie er war. Mit Adrien.
Irgendwann hatte ich es geschafft mir ein Kissen zu schnappen und schlug es nun Adrien über den Kopf. Er sah mich verwirrt an ehe er versuchte meine Arme festzuhalten, damit ich das auch ja nicht nochmal machen konnte.
"Meine schöne Frisur!", heulte er auf.
"Welche Frisur?", fragte meine kleine Schwester und lachte.
Ertappt blickte Adrien sie an und vergaß für einem Moment mich festzuhalten.
"Du!", rief er lachend und zeigte auf Mary. Meine Schwester floh quiekend in ihr Zimmer. Meine Mutter wich ihr lachend aus.
"Lass sie in Ruhe!", brüllte ich und warf mit dem Kissen nach ihm.
Es traf ihn am Hinterkopf.
Langsam drehte er sich um und ich sprang blitzschnell auf die Füße als ich den Schalk in seinen Augen aufblitzen sah.
Ein helles Quietschen entkam meinen Lippen und ich wollte ebenfalls aus dem Raum flüchten, als er nach mir griff. Doch ich war zu langsam. Er erwischte mich und seine Arme Schlangen sich um meine Hüfte. Allerdings übersähen wir beide die Pappkartons und fielen kopfüber hinein. Ich schrie seinen Namen und schloss die Augen.
Als ich sie wieder öffnete blickte ich direkt in Adriens. Gemeinsam waren wir zwischen den Kartons gelandet. Er über mir. Unsere Nasenspitzen berührten sich.
Seine Lippen waren so nah. Mein Blick wanderte von dort in seine Augen. Um uns herum war es ruhig. Ich biss mir auf die Unterlippe und hoffte er würde mich küssen! Moment! WAS? Ich wünschte mir einen Kuss von ihm?! Da lief gerade aber etwas gehörig falsch!
Oder?
Nein, ich wollte dass er mich küsste. Seine Wangen waren leicht gerötet und sein Atem ging ein wenig schneller als sonst.
Seine Lippen kamen noch näher.
"Küssen! Küssen! Küssen!", rief meine kleine Schwester in diesem Moment, klatschte in die Hände und wir fuhren auseinander.
Adrien half mir aus den Kartons und stand mit hochrotem Kopf neben mir. Ma und Mary lachten nur. Wahrscheinlich war ich genauso rot.
Das war peinlich. Ein Teil von mir war froh, das Mary uns unterbrochen hatte während der andere - der größere - sich über die Störung ärgerte weil er so gehofft hatte, das er mich küssen würde.
Was war nur los mit mir?
"Ich bring deine Sachen runter. Ein Bekannter von mir wartete dort und wird uns deine Sachen zuschicken. Lass dir Zeit, überleg ob du alles hast. Wir werden nicht zurückkommen.", hauchte er mir im Vorbeigehen ins Ohr.
Und dann so, dass die anderen es hören konnten sagte er "Ich warte am Auto, Schatz." Danach drückte er mir behutsam die Lippen auf die Wange und ich erstarrte wieder. Er hatte mich Schatz genannt! Und mit einen Kuss auf die Wange gegeben! Der Adrien-Fanclub in meinem Herzen schrie laut und rannte wie verrückt auf der Stelle und am liebsten hätte ich das Gleiche getan. Stattdessen schaffte ich es nur gerade so meine Fassade aufrecht zu erhalten und ein "Tu das. Bis gleich!" zu erwidern.
Dann nahm er meine Tasche und ging an dem Rest meiner Familie vorbei in den Flur. Bevor er im Treppenhaus verschwand drehte er sich noch einmal um und sah mich an. In seinen Augen lag ein Unbekanntes Glitzern und um seine Lippen ein leichtes Lächeln. Er sah glücklich aus.
Er schüttelte den Kopf war keine Sekunde später verschwunden. Ich fuhr mir mit den Händen übers Gesicht und hoffte dass das alles gerade nicht passierte, denn sonst war ich auf dem besten Weg mich in ihn zu verlieben.
"Er liebt dich sehr. Das sieht man.", sagte meine Mutter und lächelte wissend.
Aber es war absurd. Warum sollte Adrien mich lieben? Mich? Warum tat ich das hier überhaupt alles? Er war draußen! Ich könnte ihnen die Wahrheit sagen. Aber ich brachte es nicht übers Herz. Ich konnte es nicht! Aber wollte ich es überhaupt? Antworten auf meine Fragen bekam ich natürlich nicht. Zumindest nicht jetzt. Nicht von meiner Mutter.
"Und den Rest willst du wirklich nicht mitnehmen?", fragte sie und wirkte betrübt.
"Nein Ma. Ich geh in ein neues Leben, da brauche ich all diese Sachen nicht mehr.", antwortete ich und half ihr meine letzten Sachen in Kartons zu räumen. Wahrscheinlich würde sie diese später auf den Dachboden bringen. Und was würde mit meinem Zimmer passieren? Vielleicht würde Mary hier einziehen. Es war größer als ihr eigenes und es würde Sinn machen.
Ich würde es nie erfahren, denn es war das letzte Mal, dass ich dieses Haus von innen sah.
Gemeinsam gingen wir die Treppen runter.
Ma wollte wissen wie ich mir meine Zukunft vorstellte und ich erzählte ihr einfach das, was sie sich immer für mich gewünscht hatte. Denn ich hatte um ehrlich zu sein keine Ahnung wie meine Zukunft aussehen würde.
An der Haustüre blieb ich stehen. Adrien stand mit verschränkten Armen neben der Beifahrertür und beobachtete uns.
Und jetzt war der Moment da von dem ich den ganzen Abend gehofft hatte, er würde nicht kommen.
"Mein kleines Mädchen. Gott, ich kann es einfach nicht glauben, dass du schon so groß bist und ausziehst!", schluchzte meine Mutter.
"Nicht Mama! Sonst muss ich auch weinen!", schimpfte ich und weinte trotzdem.
Dann fiel sie mir in die Arme. "Oh Mann Talia! Ich hab dich so lieb."
"Ich doch auch Ma! Und egal was passiert. Behalt mich so in Erinnerung wie ich jetzt bin. Versprich es mir!"! forderte ich.
"Talia!", sagte sie verwirrt. "Es ist doch nur ein Umzug."
"Für mich ist es viel mehr. Ich werde dich mir vergessen.", erklärte ich und drückte meine vergessliche, immer überarbeitete Mutter ein letztes Mal an mich.
Danach ging ich wieder in die Knie und sah meine kleine Schwester an.
"Musst du wirklich schon gehen?", Fragte sie und ich lachte.
"Ja Süße. Aber ich will dass du dich immer an mich erinnert. An unsere Teepartys mit Mr. Dumbels und Fräulein Elizabeth, ja?" Mr. Dumbels und Fräulein Elizabeth waren Marys Lieblingskuscheltiere.
"Aber wer macht den jetzt mit mir Teepartys, wenn du nicht mehr hier bist? Wer sagt den dann Mr. Dumbels, dass er nett sein soll? Das geht nur mit dir." Kleine Tränen rannten ihr über die Wangen.
Ich lächelte. "Mary du bist alt genug um ihn zu zeigen wo's langgeht wenn er wieder einen Keks zu viel geklaut hat. Aber Pass gut auf die Beiden auf, hörst du? Und auf Mama auch, ja? Wenn ich nicht mehr da bin musst du das machen." Tränen liefen mein Gesicht hinab, als ich das kleine Ding an mich zog.
"Ich hab doch lieb Talia.", flüstere sie und schlang ihre kleinen Arme um meinen Hals.
"Bleib schön bei Mama, okay?", meinte ich und stand auf. Ein letztes Mal sah ich die beiden an und schenkte ihnen ein kleines Lächeln. Dann drehte ich mich um und ging. Adrien kam mir entgegen und führte mich. Meine Tränen flossen unaufhaltsam. Ich würde meine Familie nie wieder sehen. Dieser eine Satz meißelte sich in meinen Kopf ein.
"Talia!", rief meine kleine Schwester im selben Moment in dem ich mich ins Auto setzten wollte.
Ich drehte mich um. Mary kam mit flatternden Haaren die Auffahrt entlanggerannt.
"Warte!"
Ich lief ihr entgegen und wir trafen und in der Mitte. Mit einem verweinten Gesicht, drückte sie mir Mr. Dumbels entgegen.
"Nimm ihn mit. Er kann auf dich aufpassen.", forderte sie mich auf. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen.
"Nein Mary. Er gehört dir. Behalt ihn.", verlangte ich und weinte nur noch mehr, weil mich ihre Geste so berührte.
"Nein! Er hat mir gesagt, dass bei dir sein möchte. Wenn Adrien seine Flügel ausfährt kann er dich vielleicht beschützen.", sagte sie leise und sah an mir vorbei zu Adrien.
"Du weißt es?", fragte ich still.
"Mhm. Ich hab vorhin als du mit Mama die Kartons geholt hast mit ihm darüber geredet. Er hat gesagt, dass er dich sehr mag und dir nicht wehtun wird. Er hat es mir versprochen!", erklärte sie stolz.
"Aber du darfst es niemandem sagen!", erinnerte ich sie und strich ihr über den Kopf.
"Ich weiß. Das hat er auch gesagt.", meinte sie und nahm meine Hand. Dann setzte sie Mr. Dumbels darauf.
Mr. Dumbels war ein mittelgroßer weißer Bär mit langen schlaksigen Gliedmaßen und großen blauen Augen.
"Danke.", weinte ich und drückte beide an mich.
"Kommst du jemals wieder?", fragte sie.
Ich konnte meine Mutter anlügen, aber nicht meine kleine Schwester.
"Ich weiß es nicht. Aber du darfst die Hoffnung darauf niemals aufgeben! Niemals! Versprichst du mir das?" Meine Tränen wurden mehr und mehr und wollten einfach nicht versiegen. Ich würde sie so vermissen. Meine kleine, tapfere Mary.
"Ich verspreche es." Sie nickte und legte ihre Hand auf ihr kleines Herz. Ich stand auf legte meine Hand ebenfalls auf mein Herz. "Tief in deinem Herzen bin ich immer bei dir!", versprach ich. "Du musst nur daran glauben. Und jetzt geh zurück zu Mama. Sie braucht dich."
Ein allerletztes Mal zog ich sie zu mir, ehe sie zurück zu unserer Mutter lief und ihre Hand nahm.
Ich stieg ein und Adrien schloss die Türe. Keine Minute später erwachte der Motor zum Leben und mir wurde bewusst, dass ich sie nie Wiedersehen würde.
Mein Herz schmerzte und ich atmete flach. Die Tränen kamen lautlos.
Adrien wendete und ich verrenkte mich um einen letzten Blick auf meine Familie werfen. So lange es noch ging. Bis zum Ende der Straße konnte ich die Umrisse der zwei sehen. Dann bog Adrien ab und sie waren fort.
Weg.
Für immer.

Schwingen der NachtWhere stories live. Discover now